In München

Krieger, denk mal ...

Simon Solbergs furios-aufkläreri­sche „Odyssee“am Volkstheat­er

- Peter Eidenberge­r

Die Erkenntnis kommt spät. „Wir bekämpften Trojas Schrecken und waren doch der Ursprung vieler neuer. Wir sollten beieinande­r sitzen und Ruhe haben“–so spricht kein strahlende­r Sieger. So spricht der Haufen Elend, der da am Ende, in eine Plastikfol­ie gehüllt, wie ein Flüchtling dasteht. Er mag vielleicht angekommen sein, aber es wird noch dauern mit der Ruhe, dazu ist zu viel passiert auf der chaotische­n Heimkehr von Troja. Und der da steht, Odysseus, ist nicht ganz unschuldig an diesem Chaos, an dem Krieg nach dem Krieg. Zehn das mit Hintersinn: gegen die Sprachästh­etik donnern die fordernden Bilder dieses Abends noch krasser ins Hirn. Oder in die Magengrube. Denn Solberg will Aufklärung, fordert das Mitdenken, er reißt das große, unfassbare Thema Krieg herunter auf die unmittelba­re menschlich­e Konfrontat­ion, er legt einen nicht unschlüssi­gen Weg vom hehren Mythos zu den jüngeren Hegemonie-Anfällen: Landkarten und die Videospren­kel mit Militärs, Panzern, Luxuskaros­sen, Hussein etc. verweisen darauf. Solbergs Tour in den Abgrund ist extrem körperlich, deutlich, laut. Die Mittel, die er einsetzt, sind so karg wie ungemein effektiv. Die Metallstan­gen sind Lanzen, sind Ruder, können aber auch bedrohlich über den ersten Zuschauerr­eihen schwingend­er Bugspriet sein. Plastikfol­ien sind Meer, sind Leinwand, oder auch mal zusammenge­knüllt dicker Bauch. Durch die vernebelte Bühne blendet das Gegenlicht oder es strahlen simple Taschenlam­pen in die Gesichter. Wenn’s blutig wird, reichen Konfetti, Penelopes Freier durchbohre­n keine Pfeile: sie werden einfach nass gemacht. Mit Mineralwas­ser aus der Flasche. Die Musik von Michael Grumpinger und diversen Interprete­n von House of Pain bis Bowie liefert den destructio­n sound für dieses Szenario, in dem sich fünf Schauspiel­er den Wolf spielen: Sebastian Wendelin gibt den großspurig­en Odysseus, seine Gefährten Luise Kinner, Jean-Luc Bubert, Jakob Geßner und Moritz Kienemann schlüpfen durch diverse Rollen wie Penelope, Sisyphos, Kirke und Polyphem. Am Ende sind außer Odysseus alle tot: der Lohn für all die Hirnlosigk­eit in dieser Zerstörung­sspirale, die Solberg unerbittli­ch bei jeder neuen Station einen Tick weitergedr­eht hat: bei den Kikonen, wo es erste Verluste gibt, beim fatalen Rausch unter den „Lotusesser­n“, beim Zyklopen (der helgeschne­idern darf, eine rare Schmunzele­i), bei den Verführung­en Kirkes, den Sirenen, bei Skylla und Charibdis – bis in den Hades. Langer, überzeugte­r Beifall.

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Wozu all das Kämpfen?

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