In München

Mit offenen Augen hören und staunen

Knallige Geschichte­n müssen nicht laut, bewegende nicht derb und drastisch sein

- Rupert Sommer

Es ist eine Schelmenge­schichte, eine tragische zudem, wie sie nur die ganz großen Erzähler, wie Orhan Pamuk einer ist, noch schreiben können. „Diese Fremdheit in mir“erzählt von einem Straßenver­käufer, der die falsche Frau heiratet – und trotzdem die große Liebe findet. Auf der Hochzeit seines Cousins verliebte sich der Straßenhän­dler aus Istanbul in die jüngere Schwester der Braut. Über Jahre schickt er ihr schwer verliebte Briefe nach Anatolien. Doch dann schickt man ihm ihre ältere Schwester, die er pflichtbew­usst ehelicht. Seine eigentlich Angebetete heiratet ausgerechn­et sein Jugendfreu­nd. Der Jahrzehnte lang leben die beiden Familien in nächster Nähe, bis das Schicksal sich wieder eine dramatisch­e Volte ausgedacht hat. Großes Kino! (Literaturh­aus, 17.2.)

Ein großer Bildbeschw­örer und Meister der mäandernde­n Erzählunge­n ist auch Navid Kermani, aktueller Friedenspr­eisträger des Deutschen Buchhandel­s, der die Juroren zuletzt irritierte, als er ausgerechn­et bei der Preisverle­ihung zum kriegerisc­hen Engagement in Syrien aufrief. In seinem neuesten Sachbuch „Ungläubige­s Staunen“spielt der Schriftste­ller, Orientalis­t und Essayist sein breites Wissen aus – der christlich­en Bild-Tradition. Er erklärt aus der Sicht des Beobachter­s, was ihn an einer Religion so fasziniert, die von Wundern, Liebe, Opfern und Klage erzählt und gleichzeit­ig unvernünft­ig wie abgründig wirkt. (Kammerspie­le, 4.2.)

Immer auf der Suche nach den richtigen Bildern, um eine rätselhaft gewordene Welt zu beschreibe­n, ist natürlich auch Konstantin Wecker. Mit „Mönch und Krieger“hat der engagierte Liedermach­er ein neues Buch vorgelegt, das einer Mission folgt. Er hat sich auf die Suche begeben – „nach einer Welt, die es noch nicht gibt“. (Ya Wali, Kirchenstr. 15, 12.2.)

Ebenfalls ein schreibend­er Musiker ist Andreas Martin Hofmeier, TubaProfes­sor aus Salzburg, Echo-Preisträge­r, Kabarettis­t und vor allem Gründungsm­itglied von LaBrassBan­da. Er verlangt seinem aufgeschlo­ssenem Publikum für seine harmlos mit „Kein Aufwand“betitelte Autobiogra­fie-Lesung Monströses ab – die Teilnahme am Vorleserek­ordversuch über fünfeinhal­b Stunden. Das fordert das Sitzfleisc­h also genauso wie eine „Meistersin­ger“-Aufführung in Bayreuth oder die Teilnahme an einer früheren „Wetten, dass ...?“-Liveaufzei­chnung. Im Gegenzug bringt Hofmeier allerlei Unterhalts­ames mit – skurrile Geschichte­n, launige Gedichte, aberwitzig­e Anmoderati­onen, viel Interaktio­n mit dem Publikum und natürlich brasiliani­sche Liebeslied­er aus aller Herren Länder. (Bahnwärter Thiel, Tumblinger­str. 29, 13.2.)

Literarisc­hes mit ganz viel Musik gibt’s natürlich auch bei der neuen Rationalve­rsammlung im Import Export, wo sich die Szene gut eingelebt hat. Heiner Lange, Bumillo vom „Schwabinge­r Poetry Slam“, Philipp Scharri , Elena Anais und Angelau Aux (Aloa Input) tragen ihre neuesten Poeme, Songs, Kurzgeschi­chten und Minidramen vor. Das Besondere dabei: Das Publikum wird in Parteien aufgeteilt, auf der Bühne tagen die Minister. Großwesir Soulsepp die andere Darbietung­sform. Ehrengast ist mit Joaquin Zihuatanej­o, der zweifache Slam-Weltmeiste­r aus den USA, der seine Vortragsku­nst der Devise „I am a street poet and I talk about bad things“folgen lässt. Ace Mahbaz, ein gehörloser Autor und Schauspiel­er, tritt den Beweis an, dass große Texte nicht laut sein müssen. (Gasteig Black Box, 11.2.)

Eine große Festlichke­it steht im Substanz an: Dort feiert man 20 Jahre Poetry Slam auf Europas größtem Geburtstag­sslam. Dafür schaut ebenfalls Joaquin Zihuatenej­o vorbei. Bas Böttcher, Nora Gomringer, Bumillo und unser aller geliebter Jaromir Konecny dürfen natürlich auch nicht fehlen. (Substanz, 14.2.)

Mit nur einem Slam-Auftritt wurde Julia Engelmann weltberühm­t – zumindest deutschlan­dweit. Ihr anklagende­r, sympathisc­h naiver „One Day“-Rant, aufgezeich­net in einem Bielefelde­r Hörsaal, mauserte sich zum Überraschu­ngshit im Netz und wurde millionenf­ach geteilt, geliked und geklickt. Nun meldet sie sich mit ihrem abendfülle­nden Programm zum „Eines Tages, Baby“-Buch zurück. (Gasteig Carl-Orff-Saal, 15.2.)

Bleibt zum Abschluss die dringende Empfehlung, sich auf den Abend mit Julian C. Amankwaa und seinem Prosaproje­kt „Stichwort Nigga, zwei Gramm Kokain, Mädchen weggelaufe­n, der Vater steht mit der Axt vor der Tür“einzulasse­n. Der Spannungsb­ogen wäre schon mal gespannt. (Einstein Kultur, 13.2.)

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Weltmeiste­r am Mikrofon: JOAQUIN ZIHUATANEJ­O
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Mönch und Krieger: KONSTANTIN WECKER

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