Mit offenen Augen hören und staunen
Knallige Geschichten müssen nicht laut, bewegende nicht derb und drastisch sein
Es ist eine Schelmengeschichte, eine tragische zudem, wie sie nur die ganz großen Erzähler, wie Orhan Pamuk einer ist, noch schreiben können. „Diese Fremdheit in mir“erzählt von einem Straßenverkäufer, der die falsche Frau heiratet – und trotzdem die große Liebe findet. Auf der Hochzeit seines Cousins verliebte sich der Straßenhändler aus Istanbul in die jüngere Schwester der Braut. Über Jahre schickt er ihr schwer verliebte Briefe nach Anatolien. Doch dann schickt man ihm ihre ältere Schwester, die er pflichtbewusst ehelicht. Seine eigentlich Angebetete heiratet ausgerechnet sein Jugendfreund. Der Jahrzehnte lang leben die beiden Familien in nächster Nähe, bis das Schicksal sich wieder eine dramatische Volte ausgedacht hat. Großes Kino! (Literaturhaus, 17.2.)
Ein großer Bildbeschwörer und Meister der mäandernden Erzählungen ist auch Navid Kermani, aktueller Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, der die Juroren zuletzt irritierte, als er ausgerechnet bei der Preisverleihung zum kriegerischen Engagement in Syrien aufrief. In seinem neuesten Sachbuch „Ungläubiges Staunen“spielt der Schriftsteller, Orientalist und Essayist sein breites Wissen aus – der christlichen Bild-Tradition. Er erklärt aus der Sicht des Beobachters, was ihn an einer Religion so fasziniert, die von Wundern, Liebe, Opfern und Klage erzählt und gleichzeitig unvernünftig wie abgründig wirkt. (Kammerspiele, 4.2.)
Immer auf der Suche nach den richtigen Bildern, um eine rätselhaft gewordene Welt zu beschreiben, ist natürlich auch Konstantin Wecker. Mit „Mönch und Krieger“hat der engagierte Liedermacher ein neues Buch vorgelegt, das einer Mission folgt. Er hat sich auf die Suche begeben – „nach einer Welt, die es noch nicht gibt“. (Ya Wali, Kirchenstr. 15, 12.2.)
Ebenfalls ein schreibender Musiker ist Andreas Martin Hofmeier, TubaProfessor aus Salzburg, Echo-Preisträger, Kabarettist und vor allem Gründungsmitglied von LaBrassBanda. Er verlangt seinem aufgeschlossenem Publikum für seine harmlos mit „Kein Aufwand“betitelte Autobiografie-Lesung Monströses ab – die Teilnahme am Vorleserekordversuch über fünfeinhalb Stunden. Das fordert das Sitzfleisch also genauso wie eine „Meistersinger“-Aufführung in Bayreuth oder die Teilnahme an einer früheren „Wetten, dass ...?“-Liveaufzeichnung. Im Gegenzug bringt Hofmeier allerlei Unterhaltsames mit – skurrile Geschichten, launige Gedichte, aberwitzige Anmoderationen, viel Interaktion mit dem Publikum und natürlich brasilianische Liebeslieder aus aller Herren Länder. (Bahnwärter Thiel, Tumblingerstr. 29, 13.2.)
Literarisches mit ganz viel Musik gibt’s natürlich auch bei der neuen Rationalversammlung im Import Export, wo sich die Szene gut eingelebt hat. Heiner Lange, Bumillo vom „Schwabinger Poetry Slam“, Philipp Scharri , Elena Anais und Angelau Aux (Aloa Input) tragen ihre neuesten Poeme, Songs, Kurzgeschichten und Minidramen vor. Das Besondere dabei: Das Publikum wird in Parteien aufgeteilt, auf der Bühne tagen die Minister. Großwesir Soulsepp die andere Darbietungsform. Ehrengast ist mit Joaquin Zihuatanejo, der zweifache Slam-Weltmeister aus den USA, der seine Vortragskunst der Devise „I am a street poet and I talk about bad things“folgen lässt. Ace Mahbaz, ein gehörloser Autor und Schauspieler, tritt den Beweis an, dass große Texte nicht laut sein müssen. (Gasteig Black Box, 11.2.)
Eine große Festlichkeit steht im Substanz an: Dort feiert man 20 Jahre Poetry Slam auf Europas größtem Geburtstagsslam. Dafür schaut ebenfalls Joaquin Zihuatenejo vorbei. Bas Böttcher, Nora Gomringer, Bumillo und unser aller geliebter Jaromir Konecny dürfen natürlich auch nicht fehlen. (Substanz, 14.2.)
Mit nur einem Slam-Auftritt wurde Julia Engelmann weltberühmt – zumindest deutschlandweit. Ihr anklagender, sympathisch naiver „One Day“-Rant, aufgezeichnet in einem Bielefelder Hörsaal, mauserte sich zum Überraschungshit im Netz und wurde millionenfach geteilt, geliked und geklickt. Nun meldet sie sich mit ihrem abendfüllenden Programm zum „Eines Tages, Baby“-Buch zurück. (Gasteig Carl-Orff-Saal, 15.2.)
Bleibt zum Abschluss die dringende Empfehlung, sich auf den Abend mit Julian C. Amankwaa und seinem Prosaprojekt „Stichwort Nigga, zwei Gramm Kokain, Mädchen weggelaufen, der Vater steht mit der Axt vor der Tür“einzulassen. Der Spannungsbogen wäre schon mal gespannt. (Einstein Kultur, 13.2.)