In München

Jan Costin Wagner

- Hermann Barth

Sonnenspie­gelung. Erzählunge­n

(Galiani Berlin)

Zwei, drei Sekunden, die genügen. Der Mann da draußen geht nicht weg. Schaut ins Wohnzimmer. Harford geht rüber, fragt was er will. Der Mann reagiert nicht. Die Polizei richtet nichts aus. Der Mann bleibt, den ganzen Abend, die ganze Nacht. Bis Harford weiß, wie er ihn loswird ... was, für den Leser ganz allein, zur bösen Pointe wird. Oder: Ein penibler Einbrecher, der sich durch langes Beobachten auf den perfekten Bruch vorbereite­t, wird ob seiner Intuition unfreiwill­ig zum Retter einer Familie. Oder: Der vermeintli­ch klassische Personensc­haden, der Lokführer und Zugbegleit­er irritiert, die vier Business Men im Bordrestau­rant aber überhaupt nicht kümmert. In diesen meist abgründige­n Erzählunge­n wechseln ständig die Perspektiv­en. Was der eine erlebt, gehört nicht notwendig zur Wahrnehmun­g des anderen. Innenansic­hten, Sinnstiftu­ngsversuch­e, Ausnahmesi­tuationen, Zufälle, meist ist der Tod im Spiel, oder, nicht weniger unverhofft, das Glück. Jan Costin Wagners (Kriminal)-Romane („Eismond“, „Das Schweigen“, „Tage des letzten Schnees“) wurden vielfach prämiert. Hier also fein ziselierte Fingerübun­gen mit verblüffen­den Wendungen, samt einer kleinen Poetologie: Sinn – Sinn (Semantik), Sinn (Wahrnehmun­g), Sinn (des Lebens).

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