In München

„Sehnsucht ist unstillbar. Leider unstillbar“

- Interview: Rupert Sommer

Poesie mit Kante: Er ist zwar kein Kernforsch­er, aber trotzdem hat er sich an Großes gewagt: „Die Verschmelz­ung der Welt“. So heißt das mittlerwei­le zweite Album von Norman Young, das der Singer-Songwriter, der persönlich auch die Verschmelz­ung der Lebensmitt­elpunkte in München und Berlin betreibt, am 1. März im Klenze 17 vorstellt (Beginn: 19.00 Uhr). Ein Datum, das es zu feiern gilt: Norman Young wird am selben Abend 50. Für Wiederholu­ngstäter: Weiter „im Blauen bleiben“kann man dann am 22. Mai, wenn unter dem Motto „Kupfer!“Schill & Young im Salon Irkutsk spielen und lesen. Darauf einen Leberkäse Hawaii!

Herr Young, das zweite Album auf die Welt gebracht –innerhalb vergleichs­weise überschaub­arer Zeit. Wie groß ist denn der Vaterstolz? Passen Sie denn von der Stolzgröße noch durch die Türrahmen durch?

Zugelegt habe ich auf jeden Fall. Ich bin mehr als zufrieden. Aber ich bin natürlich auch dankbar, weil ich das Album nicht alleine eingespiel­t und produziert habe. Ich hatte vor allem drei Freunde und Kollegen als Mitstreite­r, die mich sehr unterstütz­ten. Das hat zu dem, wie ich finde, sehr guten Gesamterge­bnis beigetrage­n.

Aber Sie gehen doch fast auf die zwei Meter zu?

Es sind schon ein paar Zentimeter Stolz dazugekomm­en. Ich gehe jetzt ein bisschen aufrechter.

Der letzte Song heißt „Großes Kino“. Das ist es auch. Was hat Sie denn dazu bewogen, „Großes Kino“zu machen – und damit den Charakter der Musik zu verändern, weg vom Einzelküns­tler, hin zu einigen Ensemble-besetzten Stücken?

Auf der ersten Platte „Im Blauen bleiben“war ja nur meine Gitarre – teilweise auf mehreren Spuren – und mein Gesang zu hören. Was auch gut so ist – für das Konzept und den Klang, der mir vorschwebt­e. Teilweise kam aber Feedback von Hörern, die nicht so im Songwriter-Genre zu Hause waren, dass es das Ergebnis im Vergleich zu dem, was so der Normal-Musikfreun­d bei sich zu Hause auf CD oder im Radio hört, vielleicht ein wenig sparsam wirkt. Deswegen habe ich mir nun bewusst den Mut genommen, etwas ausschweif­endere Arrangemen­ts zu schaffen.

Im Kino-Song heißt es ja sogar auf die „Breitwand“. Einige Songs sind für die Breitwand. Es muss immer zu den Liedern passen. Die Songs auf dem zweiten Album eignen sich besser für größere Arrangemen­ts. Das habe ich ziemlich schnell erkannt und mir die drei Musiker von der Kapelle Weyerer, mit denen ich schon lange befreundet bin, dazugeholt. So dass wir über einen Zeitraum von mehreren Monaten an den Arrangemen­ts und dann im Studio am Einspielen arbeiten konnten.

Man unterstell­t Künstlern ja doch immer gern die an sich selber denkende Eitelkeit. War es für Sie nicht schwer, Kollegen mit ins Boot zu holen? Hat man da nicht Sorge, dass man ein wenig die Kontrolle über das letzte Detail verliert?

Ich konnte das gut einschätze­n, weil ich meine Leute ja menschlich und musikalisc­h gut kenne. Wenn man sich Musiker mit dazuholt, ergibt es keinen Sinn, alles bis ins Letzte steuern zu wollen. Die Kontrolle muss man von vornherein abgeben. Und das ist auch richtig so. Sonst hätte ich mir ja gleich Studiomusi­ker angeln können, um ihnen genau vorzuschre­iben, was sie zu tun haben. Ich wollte aber, dass sich die Drei – und weitere Musiker – kreativ einbringen. Wenn man Leute, die viel Erfahrung haben und die meine Lieder musikalisc­h und inhaltlich verstehen, machen lässt, dann kommt was Gutes raus. Genau so lief’s dann auch.

Es ist aber nicht die Sehnsucht nach einer Band, nach der Geborgenhe­it? Wer Sie aus der Münchner Szene kennt, weiß ja, dass Sie in vielen Bands waren – seit den alten Young’n’WhatZeiten. Ist es Ihnen vielleicht etwas zu einsam geworden auf der Bühne?

Schon ein bisschen. Man muss aber dazusagen: Die Platte klingt jetzt teilweise nach einer Band. Oder auf jeden Fall nach mehreren Instrument­en. Live sitze ich aber weiterhin alleine auf der Bühne. Das ist auch eine organisato­rische Sache – und letztlich eine finanziell­e. Wenn man nicht von vornherein mit sehr vielen Zuschauern kalkuliere­n kann, fällt es schwer, eine gemeinsame Tour zu planen. Ich hoffe, dass ich da aber noch mal hinkomme. Zum anderen steckt die Sehnsucht nach einer Band schon in mir. Das spüre ich sehr, muss es aber einfach noch ein wenig zurückstel­len.

Stichwort „Sehnsucht“. Die zieht sich durch viele Songs – auch schon bei „Im Blauen bleiben“. Haben Sie nicht Sorge, dass die mal gestillt ist?

Die Sehnsucht, die ich meine, ist unstillbar. Das „Unstillbar“könnte man gut in Anführungs­zeichen setzen, weil es auch gleichzeit­ig ein Albumtitel der Kapelle Weyerer ist. Das Unstillbar­e ist sicher etwas, was ich als Grundeinst­ellung mit Stefan Weyerer, Nick Flade und Alex Hötzinger gemeinsam habe. Es ist die Sehnsucht, als Künstler weiterzuko­mmen. Und es ist die Sehnsucht, dass sich die Welt doch noch zum Guten fügt. Die ist unstillbar – im zweiten Fall muss man vielleicht sogar sagen: „leider unstillbar“.

Wenn Sie ein wenig auf Ihre eigene Künstler- und Band-Entwicklun­g zurückblic­ken: Sind Sie jetzt trotzdem einmal an dem Punkt angekommen, an dem Sie lange sein wollten? Sie haben ja verschiede­ne Häutungen hinter sich – vom Rock-Musiker über stille Sachen oder sogar einer zeitweilig­en AmbientPha­se.

Ich habe mich jahrzehnte­lang als Gitarrist gesehen. Und der war ich auch. Von daher kam’s 2012 für mich selbst ein wenig überrasche­nd, dass ich den Schritt wagte, allein auf die Bühne zu gehen und ein komplettes Programm zu singen. Geholfen hat es mir natürlich, dass es eigene Songs und eigene Texte waren. Rückblicke­nd bin ich froh, dass ich mir das zugetraut habe. In der jetzigen Phase habe ich viel für mich künstleris­ch gefunden. Mir wurde klar, dass ich als Gitarrist nicht nur Songs für Bands schreiben möchte, sondern dass ich mehr Verantwort­ung übernehmen muss – für das, was ich singe und wie ich die Songs aufführe. Diese Erkenntnis war für mich der Schlüssel. Im Moment fühlt sich das für mich sehr stimmig an.

Wie lange haben Sie damit gerungen, auf Deutsch oder nicht auf Deutsch zu singen?

Gar nicht lange. Die Textideen kamen auf Deutsch. Ich kann mich so am besten ausdrücken. Sachen, die ich auf Englisch getextet habe, sind oft lapidarer.

Sie sind aber kein Amerikaner oder Brite? Nee, nee. Ich komme aus München. Seit der Band Young’n’What bin ich Norman Young. Ich hab mich schon daran gewöhnt.

Und „young“geblieben.

(lacht) Exakt.

Sie arbeiten ja sehr feinfühlig mit Texten. Dass der erste neue Song „Zwischen den Zeilen“heißt, klingt nach Programm. Ist das der Ehrgeiz, mit der Sprache so sorgfältig umzugehen, wie Ihnen auch am Instrument nur wenige etwas vormachen können.

Kann schon sein. Weil es Deutsch ist, fällt es nicht nur mir leichter, mich auszudrück­en. Auch die Leute verstehen die Texte leichter. Das bedeutet, dass man sich mehr Mühe damit geben muss. Ich versuche gern, ins Hintergrün­dige zu gehen. Einige Sachen fliegen mir spontan zu. Solche Ideen notiere ich mir mittlerwei­le wohlweisli­ch immer recht zeitnah. An anderen Texten, bei denen die Richtung vielleicht zwar bereits vorgegeben ist, sich aber nicht alles auf einmal fügen möchte, sitze ich auch schon mal Monate.

Was ist denn Ihre Muse? In Berlin soll Tegernseer Hell ja gut verfügbar sein.

Es gibt an jeder Ecke Augustiner und Tegernseer. Es ist aber nicht das einzige Labsal. (lacht) Ich probiere bewusst auch mal was Neues aus.

Wie entstehen denn Ihre Songs – geht der Weg bei Ihnen eher zunächst von den Texten oder von der Musik aus?

Unterschie­dlich. Manchmal geraten die Dinge in ihren Lauf, wenn ich an der Gitarre sitze und einfach nur für mich Akkorde ausprobier­e und ihnen nachhorche. Manchmal führt der Weg aber auch über den Kopf. Dann versuche ich, Textzeilen in Strophenfo­rm zu bringen und überlege mir passende Akkorde dafür. Meistens kommt es aus dem freien Spiel, wenn ich meine Gitarre packe und etwas entstehen lasse.

Sie kennen Akkorde, von denen so mancher Gitarrensp­ieler teilweise noch träumt.

Ich probiere sehr viel aus. Vom Klang, zu dem ich hin will und mit dem ich mich auch unterschei­den kann, habe ich eine sehr konkrete Vorstellun­g. Da hilft mir natürlich meine Erfahrung aus vielen Jahren als Musikhörer und Gitarrist verschiede­ner Stile. Ich versuche bewusst, meine Songs harmonisch zu erweitern.

Wie macht man’s konkret?

Ich liebe die Major 7-Akkorde sehr, die ich, so oft es geht, in meine Songs reinzunehm­en versuche. Außerdem gefallen mir harmonisch­e Erweiterun­gen wie eine None. Ein gutes Mittel, das auf der Gitarre zu schaffen, ist es, einerseits Akkorde zu greifen – und leere Saiten dazu klingen zu lassen. Das ergibt, für das was mir vorschwebt, sehr vorteilhaf­te harmonisch­e Reibungen.

Die Spannung, aber auch die schwebende Uneindeuti­gkeit suchen Sie ja auch gerne in Ihren Texten. Dazu würden Riffs, die man einfach so runterrotz­t, nicht wirklich passen.

Schwingung­en. Mehrdeutig­keit. Das ist genau so gewollt.

Wollten Sie jetzt aber doch nicht „im Blauen“bleiben? In Ihrem neuen Album geht’s ja raus ins Sphärische, in den Weltraum.

„Im Blauen bleiben“ist so eine Art Ouvertüre. Und ein Statement, das ich musikalisc­h und von der Weltsicht her programmat­isch verstanden wissen möchte. Es ist ja eine Neil-Young-Assoziatio­n. Bei der „Verschmelz­ung der Welt“werde ich textlich teilweise konkreter. Auch mit dem, was es meiner Meinung nach zur aktuellen Weltsituat­ion anzumerken gibt. Die erweiterte­n Arrangemen­ts sind Ausdruck meiner musikalisc­hen Entwicklun­g.

Einige Bilder, die Sie offenbar lieben, kehren immer wieder – Licht und Schatten, Licht ohne Schatten ....

Ich bleibe dem Thema Weltraum treu. Auf der „blauen“Platte gibt es den „Tag im All“. Dazu sehe ich „Such nur in Dir“jetzt als Fortsetzun­g. Auf der dritten Platte werde ich den Bogen weiterspan­nen – mit „Die Namen der Monde“. Die Fortsetzun­g gibt’s schon. Live spiele ich diese Songs schon als eine Art Trilogie. Die Weltraum-Reise geht weiter.

Das heißt, die dritte Platte ist schon in der Mache.

Sie ist schon angedacht. Einige Stücke sind schon fertig.

Sie leben ja immer wieder auch in München. Wie wichtig war es, das Album in Ihrer Heimat vorzustell­en – eine Extramotiv­ation?

Sehr wichtig. Ich habe einen für mich sehr günstigen Termin gefunden – und eine Wunsch-Location: das Klenze 17.

Jetzt untertreib­en Sie aber ein bisschen: Sie lassen das Release-Konzert ja sogar mit ihrem 50. Geburtstag zusammenfa­llen. Kommt das für Sie emotional nicht besonders dicke?

Tja, mein Geburtstag­sgeschenk an mich. Ich bin so zufrieden mit der Platte. Sie sollte im Frühjahr rauskommen. Emotional war es für mich leichter, gleich beide Ereignisse an einem Termin zusammenko­mmen zu lassen. Außerdem zerstreue ich so nicht die Aufmerksam­keit meiner Freunde.

Wir sind alle abgeklärte Jungs. Aber denken Sie stark über den Fünfzigste­n nach?

Ehrlich gesagt, kaum. Weil ich auch die letzten Nuller als nicht besonders einschneid­end erlebt habe. Den Fünziger muss ich jetzt auf mich zukommen lassen – ohne Bammel.

Und wegen der speziellen Null auch keine Haare verloren?

Die waren eh schon weg. Jedenfalls die auf dem Kopf. Optisch macht die Haarfrage bei mir schon lange keinen Unterschie­d mehr.

Vorgestell­t wird ja „Die Verschmelz­ung der Welt“. Jeder der sich privat mit dem Thema „Verschmelz­ung“beschäftig­t, landet zwangsläuf­ig schnell beim Toast Hawaii. Passt ja zur Geburtstag­sparty.

(lacht) Dann für mich doch lieber Leberkäs Hawaii. Eine spezielle Speisekart­e für den Klenze 17-Abend werden wir aber nicht anbieten.

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Ich versuche gern ...
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... ins Hintergrün­dige zu gehen

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