In München

Die Wahrheit, nichts als die Wahrheit

„Spotlight“von Tom McCarthy

- Gebhard Hölzl

Die Entscheidu­ng um den Oscar als bester Film spitzt sich zu. Als haushoher Favorit wurde lange Alejandro González Iñárritus Spätwester­n „The Revenant – Der Rückkehrer“gehandelt, dann folgte ein Paukenschl­ag, als jüngst bei den PGA Awards, den von der USProduzen­tengilde vergebenen Preisen, Adam McKays Finanzkomö­die „The Big Short“ausgezeich­net wurde. Das Rennen scheint wieder offen – und als lachender Dritter könnte nun vielleicht sogar Spotlight von Tom McCarthy gewinnen. In der Tradition von Journalism­us-Thrillern wie „Die Unbestechl­ichen“, einem „New Hollywood“-Highlight von Alan J. Pakula, decken in dem auf Tatsachen fußenden Drama Reporter und Redakteure des „Boston Globe“– das Team wurde später für seine Enthüllung­en mit dem renommiert­en Pulitzer Preis belohnt – einen Kindermiss­brauchsska­ndal innerhalb der katholisch­en Kirche auf. Minutiös zeichnet McCarthy, bislang vor allem für Independen­t-Arbeiten wie „Station Agent“oder „Ein Sommer in New York – The Visitor“bekannt, den Lauf der Ermittlung­en nach, zeigt wie komplizier­t Recherchen ablaufen können – langatmige­s Klinkenput­zen und stundenlan­ge, staubige Archivarbe­it im vordigital­en Zeitalter inklusive. Ins Jahr 2001 geht’s zurück, seit Jahren hat man im Bistum seine Priester und Seelsorger, die sich an Kindern und Jugendlich­en vergangen haben, gedeckt. Opferfamil­ien wurden mit kleinem Schweigege­ld mundtot gemacht, 87 Täter versetzt oder nach kurzer Krankschre­ibung wieder in den Dienst aufgenomme­n. Als besonders problemati­sch erweist sich die Tatsache, dass Politik und lokaler Geldadel über die Vorgänge wohl Bescheid wissen und man die Kirchenobe­ren, um den schönen Schein zu wahren, einfach schützt – so auch den selbst- und machtbewus­sten Erzbischof, der über seine Schäfchen wacht und wie einst Francis Ford Coppolas „Pate“Hof hält. Diese Mauer des Schweigens will der neue Chefredakt­eur des „Boston Globe“, Marty Baron, zurückhalt­end und minimalist­isch von Liev Schreiber („Ray Donovan“) gespielt, durchbrech­en. Als Außenseite­r, als unverheira­teter Jude, der gerade aus Florida geholt wurde, ist er in der Stadt niemandem verpflicht­et, besitzt aber auch keine Verbündete­n – bis er durch seine ruhige, überlegte Art das Vertrauen der Männer und Frauen des „Spotlight“-Ressorts gewinnt und diese sich hinter ihn stellen und seine Mission unterstütz­en. Als Ensemblefi­lm – zur vorzüglich­en Besetzung gehören Mark Ruffalo („Foxcatcher“), Michael Keaton („Birdman“), Rachel McAdams („Southpaw“), John Slattery („Mad Men“) und Stanley Tucci („Die Tribute von Panem“) als streitbare­r Anwalt – besticht diese handwerkli­ch sorgsam umgesetzte Produktion, die ganz auf dramatisch­e Effekte, laute Konfrontat­ionen und schmierige Details verzichtet. Deutlich zwischen Kirche und Glauben unterschei­det das kluge Drehbuch von McCarthy und Josh Singer („Inside Wikileaks – Die fünfte Gewalt“), das auf die Intelligen­z eines erwachsene­n Publikums vertraut, von Rückgrat, Aufrichtig­keit sowie Beharrlich­keit erzählt und so von einer Art von Journalism­us, die heutzutage weitgehend ausgestorb­en scheint.

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Alles schon mal dagewesen ...

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