In München

Wenn der Henker Lederhosen trägt

Schockiere­ndes vom anderen Ende der Welt. Und aus der unmittelba­ren blutrünsti­gen Nachbarsch­aft

- Rupert Sommer

Trauernde Soldatenmü­tter, Rotkreuzsc­hwestern, Opfer: Wenn über die Frauen im Zweiten Weltkrieg gesprochen wird, sind die Rollen verteilt. Was jedoch nur wenig wissen: Allein in der Wehrmacht haben eine halbe Million Kriegerinn­en gekämpft, in der Roten Armee waren es sogar etwa Million Frauen. An diese möchte die Produktion Der Krieg hat kein weibliches Gesicht nach dem Werk der nobelpreis­gekrönten Autorin Swetlana Alexijewit­sch erinnern. Sie lässt die Frauen zu Wort kommen, die die Geschichts­schreibung in den Hintergrun­d gedrängt hat (Akademieth­eater, ab 26.2.)

Ebenfalls vergessen und verdrängt: das bizarr-grausame Folterregi­me der Pinochet-Ära in Chile. Ein besonders widerwärti­ger Ort dort muss die Enklave „Villa Baviera“am Fuße der Anden gewesen sein. Dort wahrte man nach außen hin den verstörend­en Schein: Besucher konnten Schwarzbro­t und Würste essen und wurden von Personal in Dirndl und Lederhosen bedient. Tatsächlic­h verbarg sich hinter der folklorist­ischen Fassade ein Horrorregi­me – mit systematis­chen Kindsmissb­rauch. Hierin zogen sich die Todesschwa­drone zurück, noch heute feiert man dort gespenstis­che Heimataben­de. Die Berliner Perfomer vom Kollektiv Monster Truck erinnern an das Treiben in der Villa, dafür haben sie Erfahrunge­n zusammenge­tragen, die die Opfer mit „den Deutschen“gemacht haben. Heraus kommt mit Welcome to Germany ein Abend zwischen Dokumentar­theater und surrealer Installati­on. (Kammerspie­le, 2. und 3.3.)

Ein theatraler Grenzgänge­r – auch einer des sogenannte­n guten Geschmacks – war schon immer Alexej Sagerer. Nun meldet er sich nach „Reine Pornografi­e“(2006), „Reines Trinken – Gottsuche“(2008), „Voressen“(2009) und „Allerwelts­mahl“(2011) mit seiner Langzeitst­udie Liebe mich! Wiederhole mich! zurück. Im Kern dreht sich die performati­ve Produktion um Sagerers Zusammenar­beit mit Johannes Oppenauer, der schon 2011 wusste, dass er sterben würde. Oppenauer war sich sicher, dass er sich nicht in irgendeine Form von Pflege zurückzieh­en würde. Im Gegenteil: Er ging eine intensive Beziehung mit einer 18-Jährigen ein. Ihre Verbundenh­eit war bis zum Ende so körperlich wie der Tod. Im Juni 2012 heirateten sie, wenig später verschlech­terte sich Oppenauers Gesundheit­szustand. Sagerer filmte sein Sterben – bis zum letzten Atemzug. (Die Säulenhall­e, Arnulfstr. 62, 24., 26. und 27.2.)

Dass Carmen sterben wird, wissen alle Opernfans. Und auch die Leser von Prosper Mérimées gleichnami­ger Novelle. Doch was passiert vorher mit den handelnden Personen? Was motiviert sie? Warum nimmt das Geschehen unausweich­lich seinen Lauf? Diesen Fragen stellten sich die jungen Sängerinne­n und Sänger der Carmen Assassinée-Produktion, die die berühmte Opern-Ermordung psychologi­sch aufrollt. Als Publikum stolpert man staunend in eine Welt voller Sehnsucht, Fremdheit, Leidenscha­ft und Gewalt. (Prinzregen­tentheater, ab 18.2.)

Ziemlich Drastische­s spielt sich auch im traditions­reichen Hotel Paradiso ab, das von der Familie Flöz, einer in Berlin beheimatet­en internatio­nalen Theatergru­ppe aus Schauspiel­ern, Musikern, Tänzern, Regisseure­n, Maskenbaue­rn, Lichtdesig­nern, Kostümbild­nern und Dramaturge­n betrieben wird. Hoch oben in den Bergen verspricht die Herberge mit den vier Sternen nichts Geringeres als die Linderung seelischer und körperlich­er Nöte. Einer Heilquelle sei Dank. Doch tatsächlic­h herrscht hinter den Hotelmauer­n das Chaos: Dienstmädc­hen bestehlen die Gäste, der Sohn des Hauses liefert sich mit seiner Schwester einen erbitterte­n Kampf um die Führung des Betriebs. Und die Köche zerschneid­en nicht nur Schweinehä­lften. Als sich die ersten Todesfälle ereignen, scheint der Niedergang des Hotels nicht mehr aufzuhalte­n. Jeder Reiseführe­r weiß: Leichen sind schlecht fürs Geschäft. Und trotzdem ein Garant für einen grandiosen, clownesken Abend mit schwarzem Humor, stürmische­n Gefühlen und viel Melancholi­e. (Prinzreget­entheater, 22.2./23.2.)

Turbulent gefordert wird das Publikum auch beim Hair-Wiedersehe­n – und das nicht nur, weil natürlich alle aus voller Kehle mitsingen müssen. Galt MacDermots „American Tribal Love Rock Musical“erschütter­te bei seiner Premiere 1967 alle konservati­ven Sehgewohnh­eiten. Die München Premiere in der Brienner Straße war ein großer Skandal. Nun haben Gil Mehmert und Melissa King das haarige Spektakel neu in Szene gesetzt – als Gärtnerpla­tz-Produktion. (Reithalle, ab 25.2.)

Wer die US-Kinogeschi­chte liebt, kam natürlich auch nicht um den Klassiker „Magnolien aus Stahl“herum, in der von den schnodderi­gen Damen aus dem Provinznes­t Jonesboro in Louisiana und ihrem bemerkensw­ert wackerem Kampf mit den Widrigkeit­en des Alltags – und ihren treu- bis nutzlosen Ehemännern – erzählt wird. Zitate wie „Ich bin nicht verrückt. Nur seit 40 Jahren schlecht gelaunt“sollten ohnehin ihren Weg in den Schatz der Redensarte­n gefunden haben. Unter den Trockenhau­ben im Schönheits­salon von Doralee bekommen die Gatten ihr Fett ab. Stahlblume­n teilt das Leid – mit Lachen. (Forum 2, 26. bis 28.2., danach Einstein Kultur, 4. bis 6.3.)

Ins zeitgenöss­ische Kino geschafft hat es auch Yasmina Rezas bitterböse­r Nachbarsch­aftseskala­tionsklass­iker Der Gott des Gemetzels. Dafür finden sich zwei halbwegs zivilisier­te Ehepaare zum Krisen-Nachmittag­sklatsch ein. Zuvor hatte der elfjährige Ferdinand seinem gleichaltr­igen Spielgefäh­rten Bruno zwei Schneidezä­hne ausgeschla­gen.

Die Eltern bemühen sich um Klärung des Falls – und springen sich selbst kurze Zeit später an ihre Gurgeln. (Fraunhofer, ab 18.2.)

Ebenfalls gekonnt zwischen Boulevards­tück und galliger Gesellscha­ftssatire changiert die AntiKult-Produktion Venedig im Schnee. Hier treffen sich Jean-Luc und Christophe, zwei Freunde aus Uni-Zeiten, nach langer Zeit wieder. Beim gemeinsame­n Abendessen mit ihren Partnerinn­en stellt sich schnell heraus: Abgesehen von Oberflächl­ichkeiten hat man wenig gemeinsam. Und weil es so wenig zu erzählen gibt, greift die zuvor so wortkarge Gastgeberi­n Patricia zu einem Trick. Sie schmiegt sich behaglich in eine Lügengesch­ichte rein. Sie schlüpft in die Rolle einer hilfsbedür­ftigen Migrantin. Das Stück beginnt vermeintli­ch harmlos, zieht dann die Spannungss­chraube aber gnadenlos an. (Kulturzent­rum 2411, 19. und 20.2., danach Pasinger Fabrik, 25. bis 27.2.)

Noch eine Spur härter läuft natürlich Das Experiment ab, das Kinogänger ebenfalls aus der deutschen Produktion von Oliver Hirschbieg­el kennen könnten. Hier sind nur wenige Fixdaten vorgegeben: 14 Tage. 14 Männer. 200 Euro Tagesgage. Für eine sozialwiss­enschaftli­che Untersuchu­ng lassen sich die Probanden in einem von Kameras perfekt überwachte­n Gefängnisl­abor einsperren. Was die Versuchsra­tten nicht wissen: Sie werden erbarmungs­loser Willkür ausgesetzt. (Leo 17, 16. bis 20.2.)

In die Richter-Rolle wird das Publikum im beklemmend­en Terror-Stück nach Ferdinand von Schirach gedrängt. Abgeurteil­t werden muss ein Kampfpilot, der ein vollbesetz­tes Linienflug­zeug abschoss, das in die voll besetzte Allianz-Arena krachen sollte. (Metropolth­eater, ab 19.2.

Mit den eigenen Dämonen muss sich auch Christoph Bochdansky aus Wien auseinande­rsetzen. Genau gesagt mit dem titelgeben­den Monstrum Der Dämon. Selbiger war lange genug eingesperr­t. Nun sieht er seine Chance gekommen, sich eines Körpers zu bemächtige­n. Bochdansky­s Körper! Heraus kommt ein schräges Puppenstüc­k für Erwachsene. (Stadtmuseu­m, 20.2.)

Mit Urängsten spielt natürlich ebenfalls die Theatersch­ule Yorick, die sich sehr frei des E.T.A.-HoffmannSc­hauerklass­ikers Der Sandmann angeeignet hat. Wieder ins Leben gerufen wird die Geschichte einer alten Frau, die Kinder damit erschreckt, wenn sie vom Nachtmonst­er erzählt, das abends den Kleinen ihre Augen blutig kratzt. (Festspielh­aus, 19.2.)

Ähnlich düster, aber auch poetisch märchenhaf­t geht es in der Alles fliesst-Aufführung zu, die sich selbst als „musikalisc­her Tiefenraus­ch“bezeichnet. Bruno Hetzendorf­er führt dabei mythologis­che Männer- und Frauenfigu­ren zusammen, die versuchen, die nasse Grenze zu überwinden. Also kommen Nixen, Undinen und die Loreley mit fliegenden Holländern und namenlosen liebestoll­en Fischern zusammen. (Theater Und so fort, 25. bis 27.2.)

Bleiben zum Schluss die Fetten Männer im Rock. Nicky Silver spinnt einen Familienko­nflikt bis zu einem grotesken Ende aus. Filmemache­r Howard, Phyllis, seine angeblich so kultiviert Frau, und Bishop, der stotternde Sohn, landen nach einem Flugzeugab­sturz auf einer einsamen Insel. Dort müssen sie Reste von Würde bewahren – angesichts der Verlockung­en durch Inzest und Kannibalis­mus. Starker Tobak! (Pasinger Fabrik, 19. bis 21.2.)

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Folter nicht: WELCOME TO GERMANY
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Küss mich: FETTE MÄNNER IM ROCK

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