Wenn der Henker Lederhosen trägt
Schockierendes vom anderen Ende der Welt. Und aus der unmittelbaren blutrünstigen Nachbarschaft
Trauernde Soldatenmütter, Rotkreuzschwestern, Opfer: Wenn über die Frauen im Zweiten Weltkrieg gesprochen wird, sind die Rollen verteilt. Was jedoch nur wenig wissen: Allein in der Wehrmacht haben eine halbe Million Kriegerinnen gekämpft, in der Roten Armee waren es sogar etwa Million Frauen. An diese möchte die Produktion Der Krieg hat kein weibliches Gesicht nach dem Werk der nobelpreisgekrönten Autorin Swetlana Alexijewitsch erinnern. Sie lässt die Frauen zu Wort kommen, die die Geschichtsschreibung in den Hintergrund gedrängt hat (Akademietheater, ab 26.2.)
Ebenfalls vergessen und verdrängt: das bizarr-grausame Folterregime der Pinochet-Ära in Chile. Ein besonders widerwärtiger Ort dort muss die Enklave „Villa Baviera“am Fuße der Anden gewesen sein. Dort wahrte man nach außen hin den verstörenden Schein: Besucher konnten Schwarzbrot und Würste essen und wurden von Personal in Dirndl und Lederhosen bedient. Tatsächlich verbarg sich hinter der folkloristischen Fassade ein Horrorregime – mit systematischen Kindsmissbrauch. Hierin zogen sich die Todesschwadrone zurück, noch heute feiert man dort gespenstische Heimatabende. Die Berliner Perfomer vom Kollektiv Monster Truck erinnern an das Treiben in der Villa, dafür haben sie Erfahrungen zusammengetragen, die die Opfer mit „den Deutschen“gemacht haben. Heraus kommt mit Welcome to Germany ein Abend zwischen Dokumentartheater und surrealer Installation. (Kammerspiele, 2. und 3.3.)
Ein theatraler Grenzgänger – auch einer des sogenannten guten Geschmacks – war schon immer Alexej Sagerer. Nun meldet er sich nach „Reine Pornografie“(2006), „Reines Trinken – Gottsuche“(2008), „Voressen“(2009) und „Allerweltsmahl“(2011) mit seiner Langzeitstudie Liebe mich! Wiederhole mich! zurück. Im Kern dreht sich die performative Produktion um Sagerers Zusammenarbeit mit Johannes Oppenauer, der schon 2011 wusste, dass er sterben würde. Oppenauer war sich sicher, dass er sich nicht in irgendeine Form von Pflege zurückziehen würde. Im Gegenteil: Er ging eine intensive Beziehung mit einer 18-Jährigen ein. Ihre Verbundenheit war bis zum Ende so körperlich wie der Tod. Im Juni 2012 heirateten sie, wenig später verschlechterte sich Oppenauers Gesundheitszustand. Sagerer filmte sein Sterben – bis zum letzten Atemzug. (Die Säulenhalle, Arnulfstr. 62, 24., 26. und 27.2.)
Dass Carmen sterben wird, wissen alle Opernfans. Und auch die Leser von Prosper Mérimées gleichnamiger Novelle. Doch was passiert vorher mit den handelnden Personen? Was motiviert sie? Warum nimmt das Geschehen unausweichlich seinen Lauf? Diesen Fragen stellten sich die jungen Sängerinnen und Sänger der Carmen Assassinée-Produktion, die die berühmte Opern-Ermordung psychologisch aufrollt. Als Publikum stolpert man staunend in eine Welt voller Sehnsucht, Fremdheit, Leidenschaft und Gewalt. (Prinzregententheater, ab 18.2.)
Ziemlich Drastisches spielt sich auch im traditionsreichen Hotel Paradiso ab, das von der Familie Flöz, einer in Berlin beheimateten internationalen Theatergruppe aus Schauspielern, Musikern, Tänzern, Regisseuren, Maskenbauern, Lichtdesignern, Kostümbildnern und Dramaturgen betrieben wird. Hoch oben in den Bergen verspricht die Herberge mit den vier Sternen nichts Geringeres als die Linderung seelischer und körperlicher Nöte. Einer Heilquelle sei Dank. Doch tatsächlich herrscht hinter den Hotelmauern das Chaos: Dienstmädchen bestehlen die Gäste, der Sohn des Hauses liefert sich mit seiner Schwester einen erbitterten Kampf um die Führung des Betriebs. Und die Köche zerschneiden nicht nur Schweinehälften. Als sich die ersten Todesfälle ereignen, scheint der Niedergang des Hotels nicht mehr aufzuhalten. Jeder Reiseführer weiß: Leichen sind schlecht fürs Geschäft. Und trotzdem ein Garant für einen grandiosen, clownesken Abend mit schwarzem Humor, stürmischen Gefühlen und viel Melancholie. (Prinzregetentheater, 22.2./23.2.)
Turbulent gefordert wird das Publikum auch beim Hair-Wiedersehen – und das nicht nur, weil natürlich alle aus voller Kehle mitsingen müssen. Galt MacDermots „American Tribal Love Rock Musical“erschütterte bei seiner Premiere 1967 alle konservativen Sehgewohnheiten. Die München Premiere in der Brienner Straße war ein großer Skandal. Nun haben Gil Mehmert und Melissa King das haarige Spektakel neu in Szene gesetzt – als Gärtnerplatz-Produktion. (Reithalle, ab 25.2.)
Wer die US-Kinogeschichte liebt, kam natürlich auch nicht um den Klassiker „Magnolien aus Stahl“herum, in der von den schnodderigen Damen aus dem Provinznest Jonesboro in Louisiana und ihrem bemerkenswert wackerem Kampf mit den Widrigkeiten des Alltags – und ihren treu- bis nutzlosen Ehemännern – erzählt wird. Zitate wie „Ich bin nicht verrückt. Nur seit 40 Jahren schlecht gelaunt“sollten ohnehin ihren Weg in den Schatz der Redensarten gefunden haben. Unter den Trockenhauben im Schönheitssalon von Doralee bekommen die Gatten ihr Fett ab. Stahlblumen teilt das Leid – mit Lachen. (Forum 2, 26. bis 28.2., danach Einstein Kultur, 4. bis 6.3.)
Ins zeitgenössische Kino geschafft hat es auch Yasmina Rezas bitterböser Nachbarschaftseskalationsklassiker Der Gott des Gemetzels. Dafür finden sich zwei halbwegs zivilisierte Ehepaare zum Krisen-Nachmittagsklatsch ein. Zuvor hatte der elfjährige Ferdinand seinem gleichaltrigen Spielgefährten Bruno zwei Schneidezähne ausgeschlagen.
Die Eltern bemühen sich um Klärung des Falls – und springen sich selbst kurze Zeit später an ihre Gurgeln. (Fraunhofer, ab 18.2.)
Ebenfalls gekonnt zwischen Boulevardstück und galliger Gesellschaftssatire changiert die AntiKult-Produktion Venedig im Schnee. Hier treffen sich Jean-Luc und Christophe, zwei Freunde aus Uni-Zeiten, nach langer Zeit wieder. Beim gemeinsamen Abendessen mit ihren Partnerinnen stellt sich schnell heraus: Abgesehen von Oberflächlichkeiten hat man wenig gemeinsam. Und weil es so wenig zu erzählen gibt, greift die zuvor so wortkarge Gastgeberin Patricia zu einem Trick. Sie schmiegt sich behaglich in eine Lügengeschichte rein. Sie schlüpft in die Rolle einer hilfsbedürftigen Migrantin. Das Stück beginnt vermeintlich harmlos, zieht dann die Spannungsschraube aber gnadenlos an. (Kulturzentrum 2411, 19. und 20.2., danach Pasinger Fabrik, 25. bis 27.2.)
Noch eine Spur härter läuft natürlich Das Experiment ab, das Kinogänger ebenfalls aus der deutschen Produktion von Oliver Hirschbiegel kennen könnten. Hier sind nur wenige Fixdaten vorgegeben: 14 Tage. 14 Männer. 200 Euro Tagesgage. Für eine sozialwissenschaftliche Untersuchung lassen sich die Probanden in einem von Kameras perfekt überwachten Gefängnislabor einsperren. Was die Versuchsratten nicht wissen: Sie werden erbarmungsloser Willkür ausgesetzt. (Leo 17, 16. bis 20.2.)
In die Richter-Rolle wird das Publikum im beklemmenden Terror-Stück nach Ferdinand von Schirach gedrängt. Abgeurteilt werden muss ein Kampfpilot, der ein vollbesetztes Linienflugzeug abschoss, das in die voll besetzte Allianz-Arena krachen sollte. (Metropoltheater, ab 19.2.
Mit den eigenen Dämonen muss sich auch Christoph Bochdansky aus Wien auseinandersetzen. Genau gesagt mit dem titelgebenden Monstrum Der Dämon. Selbiger war lange genug eingesperrt. Nun sieht er seine Chance gekommen, sich eines Körpers zu bemächtigen. Bochdanskys Körper! Heraus kommt ein schräges Puppenstück für Erwachsene. (Stadtmuseum, 20.2.)
Mit Urängsten spielt natürlich ebenfalls die Theaterschule Yorick, die sich sehr frei des E.T.A.-HoffmannSchauerklassikers Der Sandmann angeeignet hat. Wieder ins Leben gerufen wird die Geschichte einer alten Frau, die Kinder damit erschreckt, wenn sie vom Nachtmonster erzählt, das abends den Kleinen ihre Augen blutig kratzt. (Festspielhaus, 19.2.)
Ähnlich düster, aber auch poetisch märchenhaft geht es in der Alles fliesst-Aufführung zu, die sich selbst als „musikalischer Tiefenrausch“bezeichnet. Bruno Hetzendorfer führt dabei mythologische Männer- und Frauenfiguren zusammen, die versuchen, die nasse Grenze zu überwinden. Also kommen Nixen, Undinen und die Loreley mit fliegenden Holländern und namenlosen liebestollen Fischern zusammen. (Theater Und so fort, 25. bis 27.2.)
Bleiben zum Schluss die Fetten Männer im Rock. Nicky Silver spinnt einen Familienkonflikt bis zu einem grotesken Ende aus. Filmemacher Howard, Phyllis, seine angeblich so kultiviert Frau, und Bishop, der stotternde Sohn, landen nach einem Flugzeugabsturz auf einer einsamen Insel. Dort müssen sie Reste von Würde bewahren – angesichts der Verlockungen durch Inzest und Kannibalismus. Starker Tobak! (Pasinger Fabrik, 19. bis 21.2.)