Abgrund-Variationen
„For you my love!“an der Schauburg, „Der Weltverbesserer“am Teamtheater
Sechs Shakespearedramen –an einem Abend? Doch, das geht, und auch noch in gut anderthalb Stunden. Nach den Erfolgen mit „intimate stranger“und „secret garden“hat die Regisseurin und Choreographin Johanna Richter zum dritten Mal ein Tanztheaterprojekt für die Schauburg entwickelt, zusammen mit Tim Bergmann, Saša Kekez, Búi Rouch, Moritz Ostruschnjak und Jannis Spengler. Drei sind Schauspieler, zwei Tänzer, aber das verspielt sich bei diesem Workout, den sie auf dem roten Quadrat veranstalten, das Bühnenbildner Mark Rosinski in einen Requisitenfundus gelegt hat. Hier treffen sich die fünf alerten Anzugträger, die wir zuvor schon aus dem Video-Intro als exaltierte Poser kennen. Das Video wiederholt sich am Ende, die Akteure werden an der Rampe sitzen: abgekämpft, verschwitzt, heftig pumpend. Es war knapp, die letzten beiden Kampf-Paraphrasen über Macbeth und Richard III. haben sie in eine Gewaltspirale gezogen, in eigene Abgründe geführt. Aber sie haben die Kurve gekriegt, Erleichterung, Umarmung. Die Haltung einer Figur in körperliche Bewegung umsetzen: sie beginnen ihre Suche bei bei Romeo und Julia, der Liebe, die aus zwei verfeindeten Familien wächst und tödlich endet. Bei Hamlet betont der Witz (dänische, sächsische, bayerische Kommentare, eine happy tänzelnde Ophelia) durchaus, dass der Bierernst an diesem Abend Grenzen haben darf. Der fünfstündige Lear gerinnt auf fünf Minuten, zum Plot aus dem Off verrenkt man die Figuren in standesgemäße Attitüden. Doch die Kämpfe – auch mal gepusht von einem Sportkommentator –nehmen zu. Sie fallen sich an, wechseln blitzschnell die Rollen und umgarnen sich, springen von der Nähe in die Distanz und wieder zurück, holen sich – unterstützt von Barjazz bis Moviesound – was sie brauchen aus Turniertanz und Pas de deux, spießen sich in Zeitlupe auf oder krachen die Schwertklingen gegeneinander, dass es schmerzt. Ein physisches Ereignis, tobender Applaus.
Den Abgrund am Teamtheater personifiziert ein graubärtiger Zausel. Der Herr wähnt sich unter Gleichgesinnten, zahllose Porträts von Geistes- und sonstigen Größen – Rousseau, Lennon, Che Geuvara, Weizsäcker, Conchita Wurst etc. – schmücken sein Heim wandbreit, und er thront davor: primus inter pares in abgewohntem Sessel. Das Straubinger „Theater Plan B“gastiert wieder in München, diesmal mit einem Thomas-Bernhard-Stück von 1980. Auch „Der Weltverbesserer“ist eine Figur, wie sie so nur der legendäre Österreicher kann: eine überhebliche, egoman bramarbasierende Tiradenschleuder. Titus Horst gibt ihn schlecht zu Fuß und im Morgenmantel, er beherrscht die Bernhard-Tonleiter rauf und runter: wehleidig winselnd, arrogant ätzend, Hypochonder, Größenwahnsinniger. So wartet er auf die Verleihung des Ehrendoktors, umschlurft von seiner Frau. Evelyn Plank (im Trainingshausanzug) zieht ihm Socken an, hebt Tabletten auf, lässt sich belehren. Wenige Worte radebrecht sie, in einem polnischen Deutsch, sonst wimmert sie ihren Brass nach innen oder bleibt tonlos. Regisseur Andreas Wiedermann aber lässt sie ab und an wissende Blicke ins Publikum schicken. Und spätestens, wenn sie aus dem Off sprachgewandt die eintreffenden Honoratioren intoniert, entpuppt sich das Ganze als ihre finale Show für einen grauenhaften Gatten, als ein Endspiel für eine Ehe, in der Zynismus längst die Liebe ersetzt hat. Viel Beifall nach 90 Minuten.