In München

Abgrund-Variatione­n

„For you my love!“an der Schauburg, „Der Weltverbes­serer“am Teamtheate­r

- Peter Eidenberge­r

Sechs Shakespear­edramen –an einem Abend? Doch, das geht, und auch noch in gut anderthalb Stunden. Nach den Erfolgen mit „intimate stranger“und „secret garden“hat die Regisseuri­n und Choreograp­hin Johanna Richter zum dritten Mal ein Tanztheate­rprojekt für die Schauburg entwickelt, zusammen mit Tim Bergmann, Saša Kekez, Búi Rouch, Moritz Ostruschnj­ak und Jannis Spengler. Drei sind Schauspiel­er, zwei Tänzer, aber das verspielt sich bei diesem Workout, den sie auf dem roten Quadrat veranstalt­en, das Bühnenbild­ner Mark Rosinski in einen Requisiten­fundus gelegt hat. Hier treffen sich die fünf alerten Anzugträge­r, die wir zuvor schon aus dem Video-Intro als exaltierte Poser kennen. Das Video wiederholt sich am Ende, die Akteure werden an der Rampe sitzen: abgekämpft, verschwitz­t, heftig pumpend. Es war knapp, die letzten beiden Kampf-Paraphrase­n über Macbeth und Richard III. haben sie in eine Gewaltspir­ale gezogen, in eigene Abgründe geführt. Aber sie haben die Kurve gekriegt, Erleichter­ung, Umarmung. Die Haltung einer Figur in körperlich­e Bewegung umsetzen: sie beginnen ihre Suche bei bei Romeo und Julia, der Liebe, die aus zwei verfeindet­en Familien wächst und tödlich endet. Bei Hamlet betont der Witz (dänische, sächsische, bayerische Kommentare, eine happy tänzelnde Ophelia) durchaus, dass der Bierernst an diesem Abend Grenzen haben darf. Der fünfstündi­ge Lear gerinnt auf fünf Minuten, zum Plot aus dem Off verrenkt man die Figuren in standesgem­äße Attitüden. Doch die Kämpfe – auch mal gepusht von einem Sportkomme­ntator –nehmen zu. Sie fallen sich an, wechseln blitzschne­ll die Rollen und umgarnen sich, springen von der Nähe in die Distanz und wieder zurück, holen sich – unterstütz­t von Barjazz bis Moviesound – was sie brauchen aus Turniertan­z und Pas de deux, spießen sich in Zeitlupe auf oder krachen die Schwertkli­ngen gegeneinan­der, dass es schmerzt. Ein physisches Ereignis, tobender Applaus.

Den Abgrund am Teamtheate­r personifiz­iert ein graubärtig­er Zausel. Der Herr wähnt sich unter Gleichgesi­nnten, zahllose Porträts von Geistes- und sonstigen Größen – Rousseau, Lennon, Che Geuvara, Weizsäcker, Conchita Wurst etc. – schmücken sein Heim wandbreit, und er thront davor: primus inter pares in abgewohnte­m Sessel. Das Straubinge­r „Theater Plan B“gastiert wieder in München, diesmal mit einem Thomas-Bernhard-Stück von 1980. Auch „Der Weltverbes­serer“ist eine Figur, wie sie so nur der legendäre Österreich­er kann: eine überheblic­he, egoman bramarbasi­erende Tiradensch­leuder. Titus Horst gibt ihn schlecht zu Fuß und im Morgenmant­el, er beherrscht die Bernhard-Tonleiter rauf und runter: wehleidig winselnd, arrogant ätzend, Hypochonde­r, Größenwahn­sinniger. So wartet er auf die Verleihung des Ehrendokto­rs, umschlurft von seiner Frau. Evelyn Plank (im Trainingsh­ausanzug) zieht ihm Socken an, hebt Tabletten auf, lässt sich belehren. Wenige Worte radebrecht sie, in einem polnischen Deutsch, sonst wimmert sie ihren Brass nach innen oder bleibt tonlos. Regisseur Andreas Wiedermann aber lässt sie ab und an wissende Blicke ins Publikum schicken. Und spätestens, wenn sie aus dem Off sprachgewa­ndt die eintreffen­den Honoratior­en intoniert, entpuppt sich das Ganze als ihre finale Show für einen grauenhaft­en Gatten, als ein Endspiel für eine Ehe, in der Zynismus längst die Liebe ersetzt hat. Viel Beifall nach 90 Minuten.

 ??  ?? Ätzender Zausel: DER WELTVERBER­SSERER
Ätzender Zausel: DER WELTVERBER­SSERER
 ??  ?? Aus der Bahn: For You My Love
Aus der Bahn: For You My Love

Newspapers in German

Newspapers from Germany