60s Garage Punk Meltdown Vol. 1
Spaß, Krach, Drive und wenn’s nach mir geht eine Portion Deepness- das macht guten 60s Garage Punk aus. Mitunter großartige Songs, die kein Mensch kennt, hochenergetische Performances, so ungestüm wie eine wilde TeenagerNacht. Historisch gesehen geht es um circa 20.000 junge Bands, die zwischen 1964 und 1968 in den USA, inspiriert durch die Bands der „British Invasion“, Beatles, Stones, Kinks etc. anfingen in den Garagen ihrer Eltern zu musizieren, auf HighschoolFeten spielten und zumeist nicht weit über die Grenzen ihres Heimatorts hinauskamen. Eine extrem lokale Szene. Die meisten Bands veröffentlichten nur eine Single, also zwei Songs von je zwei Minuten, in die sie alles legten, was sie hatten, ihre ganze Energie, ihre Gefühle und Musikalität. Das wurde dann von einem lokalen Mini-Label veröffentlicht, oder gleich von ihnen selber. „Indie“in Reinkultur. Oft haben diese Singles bezeichnenderweise die Nummern 001 oder 101. Davon wurden dann 500 Stück gepresst, und nicht selten landete ein Großteil von ihnen nach ein paar Jahren im Müll. In den frühen 70er Jahren, als sich die Musiklandschaft völlig verändert hatte, kleine Labels fast vollständig eingegangen waren, Teenager mit Retortenbands wie den Bay City Rollers abgespeist wurden, die großen Labels den Markt völlig beherrschten mit großen Acts wie Led Zeppelin, Genesis, Pink Floyd etc., waren es Musikjournalisten, darunter Lester Bangs und Greg Shaw, und Plattensammler, die die besondere Qualität der unbekannten 60s-Bands wiederentdeckten, bzw. weiterhin liebten. Sie nannten es „Punk“. Greg Shaw, der auch den Begriff „Power Pop“ins Leben rief, verwendete den Begriff „Punk“seit spätestens 1974 in Artikeln über Bands der 60er Jahre. Joey Ramone, Sänger der ersten „offiziellen“Punk-Band, zum Thema: “When we started up in March of ’74, it was because the bands we loved, the rock ’n’ roll that we knew, had disappeared. We were playing music for ourselves.” Es dauerte noch ein paar Jahre, Jahre in denen Punk die Musiklandschaft, diesmal von unten nach oben, umkrempelte, bis der originale Punk der 60er Jahre einem breiteren, allerdings immer noch kleinen Publikum zugänglich gemacht wurde. Und zwar durch LP-Compilations, auf denen 14 bis 18 Stücke zusammengefasst wurden, von jeder Band ein Song, der einzige (bzw. der eine von zwei Songs), den sie jemals veröffentlicht hatten. Die Compilations hießen Pebbles, Back From The Grave, Texas Punk usw., und nachdem sich immer wieder Leute beschwerten, dass da ja nicht alle Songs der Oberknaller seien, kam die Einteilung in Killer (= Oberknaller) und Filler (= Füllmaterial) auf. Manche Labels warben mit dem Slogan „All killer- no filler!“Anstatt jetzt eine dieser Compilations zu besprechen und fortwährend zwischen Killern und Fillern hin und her zu stolpern, bastle ich mir einfach eine eigene Compilation und nenne sie „60s Garage Punk Meltdown“. Meltdown bedeutet laut Dictionary zugleich Nervenzusammenbruch, Kernschmelze, Chaos, Ausraster und Trotzanfall, was Ausdruck und Gemütslage dieser Auswahl ganz gut wiedergibt. Die Original-Singles sind oft sehr teuer oder gar nicht erhältlich. Von einigen sind nur zwei oder drei Exemplare weltweit bekannt. Also erstmal auf youtube reinhören und bei Gefallen downloaden, ansonsten gibt es sie auf diversen Compilations. Wenn mir ein netter Mensch spaßeshalber ein Exemplar dieser Zusammenstellung hier brennen würde, lade ich ihn gern auf ein Bier ein.
„60s Garage Punk Meltdown Vol.1“
(woast scho: All killer- no filler!)
Side One The Nomads –Thoughts Of
A Madman
Es gab mindestens zwölf Bands dieses Namens, die eine Single veröffentlichten. Diese hier kam aus Mount Airy, einem völlig abgelegenen Kaff in North Carolina, und brachte es immerhin auf zwei Singles. Der Sänger war glühender Bob Dylan-Verehrer und wollte textlich etwas Ähnliches zustande bringen. Herausgekommen ist ein brachiales Kleinod roher Punk-Attitüde, mit einer Atmosphäre wie in einem Psycho-Thriller. Der Sänger legt ultra-cool los und rastet am Ende total aus: „I’m going insane!“
The Burgundy Runn – Stop!
Einer meiner Lieblingssongs, nicht nur dieses Genres. Tolle Melodie, super Energie. Ich liebe die Stimme, die Gitarren, die ganze Produktion, einschließlich des Tamburins, das von vorn bis hinten in voller Lautstärke durchrasselt.
State Of Mind – Move
Kein krasser Punk-Style, sondern eine
groovige Nummer, die eher soft daherkommt, aber hypnotisch nach vorne schiebt. Eigentlich ganz simpel, aber unglaublich cool und sexy.
Cirkit – Yesterday We Laughed
Frontaler Fuzz-Einsatz, deutlich psychedelisch angehaucht. Auf seltsame Weise modern, was vermutlich an der Art des Gesangs liegt. The Chob – We’re Pretty Quick Oberoberknaller. Nicht nur „pretty“quick, sondern Vollgas. Der Sänger schwankt zwischen Sprechgesang, Schreien und In-den-(mit Sicherheit nicht vorhandenen)-Bart-Nuscheln. Kein britisches oder sonstiges Vorbild mehr erkennbar, völlig eigenständiger Sound.
The Graveyard Five – Marble Orchard
Zwei Typen auf einem Friedhof hören die Wölfe heulen. „Hey Steve, gib mir mal ne Kippe.“Kein Wunder, dass der Song mit einem Herzpochen beginnt. 60s Garage Goth vom Feinsten.
The Swamp Rats – No Friend Of Mine
Großartige Band aus Pittsburgh. Rechtmäßige Vorläufer der Stooges. Fetter und verzerrter geht’s nicht, zumindest damals. 60s Hardcore. Davor hießen sie Fantastic Dee Jays, klangen völlig anders, aber auch klasse.
Side Two
The Sonics – Cinderella
Oberknaller, eh klar. „Cinderella“mit Sicherheit eine ihrer kompromisslosesten Manifestationen.
Dr. Spec’s Optical Illusion – She’s The One
Die Wucht aus New Orleans. Beide Seiten ihrer einzigen Single kriegen 10 Punkte auf dem Garage-o-meter von 1 bis 10. Das gezogene Einton-Riff von „She’s The One“ganz vorne in Sachen genialer Primitivität. Irgendjemand musste es machen. Dr. Spec was the one.
The Keggs – To Find Out
Holy grail. Total schief und trotzdem perfekt. Meine Theorie ist, dass es weniger um die verstimmten Gitarren geht, sondern dass sie schlichtweg keine Ahnung hatten was Tonarten sind. Und dabei etwas Einzigartiges am Rande des Abgrunds installierten.
The Dovers – She’s Not Just Anybody
Veröffentlichten vier Singles, acht Songs, alle super. Sehr melodiös, mit berückendem Gesang und großartigem Bandsound. „The Third Eye“kam gleichzeitig mit „Eight Miles High“von den Byrds raus und gilt als einer der ersten Psychedelic-Songs. Hut ab vor diesen Kids aus Santa Barbara!
The Banshees – Project Blue
Noch ein Einton-Gitarrenriff. Diesmal kommt es in gewitterartigen Kaskaden über den Zuhörer hereingebrochen. Ein Song von hochgradig hypnotisch-dynamischer Energie.
The Caretakers Of Deception – Cuttin’ Grass
Deep Garage Punk. Extrem hypnotisierender Wirbelsturm, der mich fast ein bisschen an CAN erinnnert, nur dreimal so schnell und ein viertel so lang. Wahnsinns Performance. Wie Leute in ein Studio gehen können (konnten), und so etwas aufnehmen ...
Denny Belline & The Rich Kids – Money Isn’t Everything
Cooles Statement zum Abschluss. Sehr soulige Garage-Nummer mit viel Orgel und garantierter Tanzlust. It’s party time! Der Autor ist Sänger und Gitarrist bei The Royal Flares (60s Garage Punk), Der Englische Garten (Gitarrenpop) und Oktober Folk Club (Jug Band Music). Er legt alle paar Monate mit Rudi Sandbiller 60s und 50s Garage Rock’n’Roll auf (Fr., 26.2., Unter Deck) und spielt Anfang März mit den Royal Flares (Do.10.3., Unter Deck).