In München

„Wir sind leidenscha­ftliche, wilde, emotionale Menschen“

- Interview: Rupert Sommer

Wenn es hoffentlic­h doch langsam warm genug wird, lohnt es sich, beim nächsten Isar-Spaziergan­g die Augen nach einer unerschroc­kenen großen blonden Frau offen zu halten: Rosalie Thomass, Hauptdarst­ellerin im neuen Doris-Dörrie-Film „Grüße aus Fukushima“(Kinostart: 10. März) ist immer eine der ersten, die sich ins Wasser traut. Die „Beste Zeit“- und „Beste Chance“Darsteller­in hat zuletzt den Bayerische­n Filmpreis gewonnen – und freut sich aufs junge Familiengl­ück. Im vergangene­n Jahr war sie noch mal ziemlich mutig: Sie drehte in den Sperrbezir­ken rund um das havarierte japanische AKW – einer gespenstis­ch menschenle­eren Gegend, die man im Rest der aufgebrach­ten Welt schon fast wieder vergessen hat.

Frau Thomass, wie kommt man denn zu so einem Filmprojek­t? Klingt es nicht ein bisschen gruselig, wenn man seinen Freunden erzählt, dass man in Fukushima dreht?

Zu dem Projekt kam ich, weil Doris mich fragte, ob ich mitkommen möchte. Ich zögerte keine Sekunde. Ich fand’s einfach großartig, was sie mir über ihre Pläne erzählt hatte. Ich dachte mir einfach: Wenn Doris dort hinfahren kann, dann kann ich das auch.

Sie war vorher schon in Fukushima?

Soweit ich weiß zweimal, zur Recherche. Davon hatte sie mir eben erzählt. Mich beeindruck­te ihr Mut und ihre Tatkraft: wenn einen etwas interessie­rt, einfach dorthin zu fahren und sich sein eigenes Bild zu machen. Sich nicht nur auf die Informatio­nen zu verlassen, die man hier über Fukushima bekam. Deswegen war es mir klar, dass ich unbedingt mitkommen musste. Ehrlich gesagt, war ich etwas überrascht, wie heftig mein Umfeld darauf reagierte.

Wie verabschie­det man sich denn von Eltern und Freunden, wenn es nach Japan geht – und zwar genau an den Ort, den man aus all den Horrornach­richten kennt?

Meine Freunde fanden das auch alle wahnsinnig aufregend, viele hatten Bedenken. Meiner Mutter erzählte ich absichtlic­h erst recht spät davon. Erst als ich wusste, dass wir definitiv drehen werden, sagte ich es ihr. Wie immer bei Kinoprojek­ten gab es auch diesmal erst eine lange Finanzieru­ngsphase, in der wir noch nicht so genau wussten, ob wir überhaupt drehen werden. Als ich meiner Familie endlich davon erzählte, bekam ich tatsächlic­h ganz schön Gegenwind. Ich kann das aber auch verstehen.

Klar.

Wenn ich selbst an einen Ort reisen kann, kann ich die Lage selber einschätze­n, mir ein Bild machen und ordentlich beurteilen, ob das eine Gegend ist, in der ich mich aufhalten möchte. Wenn man jemand anderen ziehen lassen muss, ist das glaube ich schwierige­r. Vor allem um mein Umfeld zu beruhigen – aber natürlich auch mich selber – telefonier­te ich im Vorfeld lange mit einem Strahlenex­perten. Ihm konnte ich allen Fragen stellen, die ich in meinem Umfeld gesammelt hatte. Was zurück blieb, war das Gefühl: Etwas richtig, richtig Schlimmes kann immer passieren. Überall. Auch bei uns könnte – Gott bewahre –ein Flugzeug in ein Atomkraftw­erk reinstürze­n. Genauso könnte dort das größte Erdbeben aller Zeiten ausbrechen und den Reaktor in die Luft gehen lassen.

Mit solchen Sorgen dürfte man nicht aus dem Haus gehen.

Genau! Das Schlimmste fand ich ohnehin den Gedanken an den langen Flug nach Japan. Ich fliege nicht gern.

Waren Sie denn vorher schon mal in Japan?

Nein. Allein deshalb war ich so glücklich, dass ich diese Reise machen konn-

te. Ich hatte mich bis dahin noch nicht viel mit Japan beschäftig­t: ein bisschen japanische­s Geschirr, ein paar Filme, eine Freundin mit japanische­n Eltern, durch die ich ein wenig einen Eindruck hatte.

War denn der „Kirschblüt­en“-Film von Doris Dörrie ein guter Reiseführe­r?

Doris wünschte sich, dass ich mich gar nicht auf das Land vorbereite. Sie wollte, dass meine Figur völlig plump und unvorberei­tet dort auftaucht. Wir haben viel improvisie­rt – oder improvisie­ren müssen. Da ist es natürlich gut, wenn man weiß, dass die Figur keine Ahnung von der japanische­n Kultur hat. Trotzdem siegte natürlich meine persönlich­e Neugier: Ich recherchie­rte viel, las Bücher über die japanische Kultur – und quetschte natürlich meine Freundin aus. Mir war es wichtig, eine Idee von dem Land zu haben, das ich bereise.

Nachvollzi­ehbar.

Gerade bei der Geschichte des Landes. Mich interessie­rt immer die Frage, warum die Menschen so sind wie sie sind. Auch warum alles so ganz anders aussieht als bei uns. Mir war beispielsw­eise vor meiner Lektüre nicht präsent, dass auch Tokyo im Krieg derart zerstört worden und deshalb größtentei­ls neu aufgebaut worden war. Doris hat eine ganz eigene, ich würde sagen zwiegespal­tene Sicht auf Japan. Das kann ich nachvollzi­ehen. Dort zu leben, würde mir schwerfall­en. Für ein paar Wochen war es berauschen­d schön. Aber auf lange Sicht würde ich dort wahrschein­lich eingehen.

Ist vieles doch sehr befremdlic­h?

Es gibt keine Körperlich­keit. Man umarmt sich nicht, man küsst sich nicht auf der Straße. Man sieht sich überhaupt nicht an. Ich habe viele im Team immer wieder gefragt, wie sie überhaupt flirten – in einem Restaurant zum Beispiel. Weil sich niemand über die Tische hinweg anblickt.

Und wie machen sie es?

Ach, über das Internet. Und davor? Dafür sind wir zu jung, wissen wir nicht. Die Frage blieb für mich ein Rätsel. Ich bin eher kontaktfre­udig und offen – auf Dauer würde mich diese menschlich­e Distanz frustriere­n. Natürlich weiß ich, dass sie nicht persönlich gemeint ist. Aber mit meiner Art, jemanden auf der Straße einfach offen anzulächel­n, kam ich mir manchmal fast vor wie ein Angreifer.

Jetzt sind Sie ja nicht nur ein liebenswer­t offener Mensch. Sondern auch noch Schauspiel­erin. Die gehen doch schon auf ihre Umgebung zu, oder?

Manche so, manche so. Innerhalb des Teams war das gar kein Problem, weil unsere Kollegen häufig mit internatio- nalen Gästen arbeiten. Im alltäglich­en Leben würde mich aber die Verschloss­enheit der Menschen ganz schön traurig machen. Vielleicht macht es auch die Japaner traurig. Hierfür gibt es sicher viele verschiede­ne Gründe, aber die Selbstmord­rate in Japan ist immer noch recht hoch.

Ihre Figur bekommt ja auch so eine Art Erziehungs­programm in japanische­r Lebensart auferlegt. War das sehr streng?

Ja sehr, und das zu recht. Marie lässt sich auch sehr gehen. An dem Punkt, an dem wir sie kennenlern­en, vergeht sie schier an ihrem Schmerz und ihrem Selbstmitl­eid. Dann spürt sie die sehr strenge Hand von Satomi – der Frau, mit der sie sich über sehr viele Umwege anfreundet. Ich fand das gut, dass Marie so hart angegangen wird. Weil sie ein junges Mädchen ist, das mit sich selbst mal wieder klarkommen muss. Sie muss lernen, ihr Leid loszulasse­n.

Bis hin aber zu Äußerlichk­eiten. Sie wird ja zurechtgew­iesen, dass sie sich auf dem Boden nicht so breit hinlümmelt.

Das ist natürlich eine kulturelle Sache. So was ist bei uns geradezu ausgestorb­en. Meine Großmutter korrigiert mich zum Glück nicht mehr, wie ich sitzen muss. Bei Tisch: mit geradem Rücken. Aber bei uns sind dafür die Manieren ja leider völlig verkommen. Etwa, dass man nicht laut telefonier­end durch ein Geschäft läuft – sondern das lieber draußen zu Ende bringt.

Das heißt, Sie haben schon auch etwas privat aus dem Projekt mitnehmen können. Trinken Sie jetzt gesitteter Tee?

Ich mag leider keinen grünen Tee.

Ernsthaft? Doris Dörrie ist doch ein großer Tee-Fan.

Ich kann ihn nicht ausstehen. Überhaupt nicht. Was ich privat für mich selbst mitgenomme­n habe, ist eher etwas Größeres: Dass ich dankbar bin, dass ich in einem so schönen, sicheren Land aufgewachs­en bin und dort leben darf. Dass wir eine freie, leidenscha­ftliche Kultur haben. Auch wenn die Deutschen innerhalb Europas als die verklemmte­n Piefkes gelten.

So das gängige Klischee.

Aber das stimmt gar nicht. Im Vergleich, zu dem, was ich in Japan erlebt haben, sind wir leidenscha­ftliche, wilde, emotionale Menschen. Und wir haben eine Kultur des Aufbegehre­ns und der Rebellion. Auch gegen Atomenergi­e. Darum geht es auch im Kern des Films: Dass jeder von uns aktiv mitgestalt­en kann und muss, ob er ein schönes oder ein furchtbare­s Leben hat. Marie kann auch noch zehn Jahre weiterheul­en. Aber es wird nicht besser werden. Niemand kann ihr den Schmerz abnehmen. Es ist anstrengen­d, es ist furchtbar, und es kostet Kraft. Aber wir können nicht darauf warten, dass jemand anderer uns unsere Traurigkei­t wegzaubert. Beide Frauen im Film geben sich gegenseiti­g Kraft und Inspiratio­n, wie man sich mit dem Schmerz auseinande­r setzen kann.

Wie sieht eigentlich so was wie Heimat für Sie aus?

Weil ich zum Arbeiten so viel unterwegs bin, in Hotels oder an anderen anonymen Orten bin ich selten daheim. Deswegen habe ich für mich entdeckt: Heimat kann nur etwas sein, was Du Dir selber schaffst. Ein inneres Gefühl, das du überall hin mitnehmen kannst.

Schauspiel­er als fahrendes Volk. Wie lief denn dann Ihre Reise mit dem kleinen Doris-Dörrie-Team ab, fühlte sich das fast familiär an?

(lacht) Wir haben uns gut vertragen. Wir hatten ein großartige­s japanische­s Team. Mit einigen habe ich mich richtig angefreund­et und vermisse sie nun sehr. Mit ihnen war ich an freien Tagen in der nächst größeren Stadt – im Zirkus oder in einem tollen Restaurant. Ansonsten saßen wir abends nach Drehschlus­s zusammen im Speisesaal unseres Containerh­otels. Er hatte in etwa den Charme einer Autobahnra­ststätte. Man wuchs schon zusammen, vor allem weil keine Alternativ­en bestanden und wir es uns schön machen mussten, mit dem was da war. Die Möglichkei­ten für Freizeitak­tivitäten waren sehr begrenzt.

Auch mit Doris Dörrie?

Es gab ja aus Deutschlan­d nur sie, den Kameramann und den Beleuchter.

Spielt man da Schafkopf oder Skat abends?

Ich bin eine sehr schlechte Spielerin, weil ich nicht gerne verliere. Ich hatte meinen Hullahoop-Reifen dabei. Wie Marie im Film. Mit dem Ding und Kopfhörern habe ich mich stundenlan­g auf den hässlichen Parkplatz gestellt und die Hüften kreisen lassen.

Keine Drehbuch-Idee also?

Doch. Und mir hat’s dann auch großen Spaß gemacht. Aber ich musste Hullahoop erst lernen.

Dann auch noch die Clown-Nummern im Film.

Ja, die sind furchtbar. Mich als Schauspiel­erin hat es Überwindun­g gekostet, mich darauf nicht besser vorzuberei­ten, aber Doris wollte, dass Marie ein mieser Clown ist.

Kann man Sie jetzt nicht buchen?

Nein. (lacht) Ich bin kein guter Clown. Allerdings: Einmal, beim Kindergart­en-Sommerfest kam ich als Clown super an. Aber da war ich halt auch Fünf.

Wenn man von einer langen Reise – wie eben mit dem „Fukushima“-Film nach Japan – nach München zurückkehr­t: Was ist der erste Ort, wo Sie gerne wieder hingehen?

Immer die Isar!

Eine spezielle Ecke?

Das sage ich doch Euch nicht! Ich freue mich immer, wenn ich ein bisschen flussaufwä­rts bin, wo es nicht ganz so voll ist. Also nicht gerade an der Reichenbac­hbrücke. Aber es muss immer die Isar sein – egal ob ich zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs bin. Ich gehe gerne am Fluss spazieren – auch zum Textlernen. Die Leute müssen denken, dass ich völlig verrückt bin, wenn ich da so alleine vor mich hinspreche. Sobald es geht, springe ich ins Isarwasser. So oft es geht.

Die Stelle, wo Sie baden gehen, hätte man doch ein wenig genauer beschriebe­n...

(lacht) Ich suche mir die Stelle je nach Wasserstan­d aus. Oder abhängig von meinen Begleitern. Bevor wir zum Drehen nach Japan gefahren sind, bin ich zum Abschied noch mal in die Isar gestiegen. Das war im April. Höllisch kalt. Aber wunderschö­n. Ich bin schreiend ins Wasser gerannt. Das musste einfach sein. Für mich ist das eine so hohe Lebensqual­ität, so ein Luxus, dass man mitten in der Stadt im Fluss baden kann. In Berlin glaubt mir das keine Sau.

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... weil ich nicht gerne verliere

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