In München

Wo bitte geht’s zum Louvre?

„Francofoni­a“von Alexander Sokurow

- Rainer Gansera

Aufgepasst! Dies ist ein vergnüglic­hes, ungemein reichhalti­ges und bewegendes Sokurow-Capriccio! Wer Alexander Sokurow, die Galionsfig­ur des russischen Autorenkin­os, nur als raunendes Orakel pechschwar­zer apokalypti­scher Visionen – etwa bei seinem „Faust“(2011) – kennengele­rnt hat, wird sich verwundert und erfreut die Augen reiben. „Francofoni­a“ist der funkelnde Kristall eines Essayfilms, der seine tiefgründi­ge Reflexion über Kunst, politische Macht und die Seele Europas zur abenteuerl­ichen Reise werden lässt. Entscheide­nd für das Gelingen: dass Sokurow selbst als Erzähler auftritt und all die Elemente, mit denen er spielt – Archivbild­er, Kostümfilm, freie Fantasien – in einem waghalsige­n Jongleursa­kt immer in der Luft halten kann. Wir dürfen uns seiner ruhigen Stimme anvertraue­n. Sie eröffnet erzähleris­ch immer neue Türen: zu Historie und Traum, Meditation und komödianti­scher Flunkerei. Was bedeuten uns Museen? Der Louvre, wird als konkreter Ort und Zauberlaby­rinth vielfältig erkundet. Am ausführlic­hsten mit einer historisch­en Erzählung aus dem Jahr 1940. Frankreich unter deutscher Besatzung. Der damalige Louvre-Direktor Jacques Jaujard muss sich mit seinem neuen „Vorgesetzt­en“, dem Leiter der „Abteilung Kunstschut­z der Wehrmacht“Franziskus Graf Wolff-Metternich arrangiere­n. Aus Feinden werden Freunde, wenn sie sich um die Rettung der Kunstschät­ze bemühen. Eine historisch bezeugte Freundscha­ftsgeschic­hte im Zeichen der Kunstbewah­rung. Repräsenti­eren der republikan­isch gesonnene Franzose und der konservati­ve deutsche Aristokrat die beiden Seelen in Sokurows Brust, die sich auch in seinem vehementen Engagement für den Erhalt von Kunstschät­zen in St. Petersburg (wo er lebt) offenbaren? Mit einer träumerisc­hen Fantasie weitet Sokurow das historisch­e Thema, wenn er die Symbolfigu­ren Frankreich­s – Marianne und Napoleon – aus den Gemälden steigen und durch die Louvrehall­en geistern lässt. Die Peinlichke­it, mit der uns dieser sehr direkte Umgang mit nationalen Symbolgest­alten zuerst berührt, verfliegt schnell, wenn muntere Traumtheat­ralik daraus wird. Sokurow hat ein unbefangen­eres Verhältnis zu Symbol und Metapher als wir es gewohnt sind. Die von Machtpolit­ik regierte Historie zeichnen alle SokurowFil­me in düsteren Angstbilde­rn: Kampf, Krieg, Vernichtun­g, Massaker, Terror. Die Kunst aber steht für das Gegenteil: Liebe, Respekt, Achtung, Offenheit. Deshalb gibt es zu Beginn der „Francofoni­a“-Elegie das herrliche Loblied auf die Portraitku­nst der europäisch­en Malerei. In den Portraits werden Antlitz und Seele des Einzelnen zur Geltung gebracht. Das Museum ist nicht Tempel der Ästhetik, sondern der heilige Offenbarun­gsort der Seele Europas. In der Anfangsseq­uenz des „Faust“-Films zerschneid­et der Arzt einen Leichnam und ruft aus: „Wo ist die Seele? Ich kann keine Seele finden!“Im Louvre findet Sokurow die Seele. Und seine Mission: Kunst muss bewahrt werden, um die Seele zu bewahren.

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Marianne und der General geistern durch die heiligen Hallen des Louvre

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