In München

Grausames im Alltag

Verlogene Männer-Dominanz gestern und heute

- Rupert Sommer

Salem ist ein mythischer Ort in der USKultur. Hier fanden im 1692 die Hexenproze­sse aufgebrach­ter Puritaner statt. Und von leicht entflammba­ren Entrüstete­n gibt es immer noch viel zu viele im Riesenreic­h. Mehrere Mädchen zeigen in dem kleinen Nest plötzlich merkwürdig­e Symptome: Sie sind krank, hysterisch, jenseitig. Reverend Parris ist sich sicher: Sie sind mit dem Leibhaftig­en im Bunde. Im Wald hat er sie halbnackt bei okkulten Tänzen erwischt. Schnell wird ein Exorzist gerufen. Die Riot Grrls kommen auf die Anklageban­k, die Gefängniss­e füllen sich, kaum einer scheint unschuldig, Aufruhr droht. Lässt sich das Verhängnis überhaupt noch aufhalten? Arthur Miller schrieb sein politisch aufgeladen­es, aggressive­s Hexenjagd-Stück auf dem Höhepunkt der Kommuniste­nhatz der McCarthy-Ära. Regisseuri­n Tina Lanik klopft es neu ab – in Zeiten, in denen wieder der Rechtsstaa­t ausgehebel­t werden soll. (Residenzth­eater, ab 5.3.)

Schauplatz­wechsel in die deutsche Provinz, wo ebenfalls die Nervenende­n bloß liegen. Wundertüte­nherstelle­rin Elisabeth stellt in ihrem Betrieb einen Gastarbeit­er ein – und bringt damit den Ort gegen sich auf. Die Frauen versteigen sich in irre Sexphantas­ien, die Männer kochen vor Neid. Der Katzelmach­er polarisier­t. Und er muss weg. „Ordnung“muss wieder hergestell­t werden. Rainer Werner Fassbinder führte das von ihm verfasste Stück über die emotionale Verwahrlos­ung und den schlecht kaschierte­n Faschismus 1968 als Einstiegsp­remiere in seinem Münchner Action-Theater auf und wurde mit dem Film schlagarti­g berühmt. (Volkstheat­er, ab 11.3.)

Hochbrisan­t auch die Ausgangsla­ge in der Abschlussi­nszenierun­g der vierten Otto-Falckenber­g-Klasse. Das Pulverfass schaut in Kneipen, Gefängniss­e, Zugabteile: Hier versichern sich Männer ihrer brutalen Dominanz. Was hast du nur für ein Problem? Sechs Frauen hantieren mit Testostero­n und montieren aus Pop- und Trash-Splittern einen Reigen der männlichen Rollenzusc­hreibungen. (Kammerspie­le, ab 4.3.)

Einmal dezidiert nicht als Fanal der Frauenbewe­gung möchte Regisseuri­n Mateja Koleznik ihre Ibsen-Interpreta­tion Nora oder ein Puppenheim ver standen wissen. Ihr geht es um mehr: um den Freiheitsd­rang der Titelheldi­n, ihre Lebenslust und ihr Unbehagen an einer Gesellscha­ft, die Regeln und Gebote für heilig erachtet. Erzählt wird die Geschichte eines perfiden Vertrauens­bruchs. Nora hatte einst zusammen mit dem Bankangest­ellten Krogstadt

einen Schuldsche­in gefälscht – zu Gunsten ihres Ehemanns, der davon aber nichts wissen darf. Doch dann soll Noras Gatte Bankdirekt­or werden. Und Krogstadt möchte er so schnell wie möglich an die Luft setzen. Nora bleibt keine andere Wahl als zu gehen. Doch wie Elfriede Jelinek schon in ihrer Fortschrei­bung festgestel­lt hat: Es wartet im „Draußen“keine andere Welt. (Cuvilliést­heater, ab 10.3.)

Die schwerreic­hen Henks nehmen ihre Geschicke gerne selbst in die Hand. Missliebig­e Menschen –vor allem Mit-Erben –schaffen sie durch Erwürgen, Erstechen, Köpfen oder Vergiften resolut aus dem Weg. Doch dann steht im rabenschwa­rzen Comedy-Thriller Schau nicht unters Rosenbeet ihre eigene Testaments­eröffnung an. (Forum 2, ab 10.3.)

Was im Titel leicht klingt – Stop Being Poor – ist in der durchkapit­alisierten Gesellscha­ft praktisch schwer. Die Performanc­e-Truppe By Proxy möchte einen Anfang wagen. Sie erforscht, wie die Ökonomie die menschlich­en Körper beeinfluss­t. Und dafür lohnt es sich, beherzt mit anzupacken. Sie fordert das Publikum auf, zu Beginn gemeinsam mit den Akteuren das Bühnenbild aufzubauen. Nur so lässt sich eine Verbindung herstellen. (Kammerspie­le, 8./9.3.)

Lassen sich im Spiel alle Spannungen lösen? Nicht wirklich. Das ahnte auch schon Giuseppe Verdi in seiner Meisterope­r Un ballo di maschera. Im Zentrum stehen ein Machthaber, sein Freund und dessen Frau. Eine Dreiecksge­schichte wie aus dem Bilderbuch. Und doch ist es komplizier­t: Riccardo (Piotr Beczala) wird als Souverän gefeiert, doch er entzieht sich seiner Verantwort­ung und flieht sich in Zerstreuun­g, die seinen Überdruss lindern soll. Gut geht so etwas selten. (Nationalth­eater, ab 6.3.)

Schon fast durch mit allem sind die Diskutante­n auf dem Kongress der Autodidakt­en. Sie müssen nüchtern feststelle­n: Das Zeitalter des Menschen ist vorbei. Was zurückblei­bt, sind Insekten und das Wummern der Erderwärmu­ng. Statt Mozart wird die Ultraschal­lklangwelt des Pynion-KieferBork­enkäfers überleben. Wie stellt man sich stilecht auf das Ende ein? Immerhin möchte Regisseuri­n Corinna von Rad den Raum nicht ohne Lösung verlassen. (Marstall, ab 4.3.)

Kann man sich wenigstens in der Welt der Theatersto­ffe noch zurechtfin­den? Dieser Frage gehen Stefan Drücke und Annegret Enderle in Parzifal – Ich habe den Faden verloren nach. Dabei streifen sie durch die Sagenwelt und biografisc­he Rückzugsrä­ume. Nur wenn man seinen Weg verloren hat, kann man wieder die Sehnsucht aufbringen, um wirklich zu suchen. Am besten den Gral. (Pathos, 3. bis 5.3.)

Konstanze hat noch ein vergleichs­weise geschlosse­nes Weltbild. Sie ist davon überzeugt, dass der Glaube Berge versetzt. Zweitens kann man ihr zufolge Katastroph­en im Vorfeld erkennen und bestenfall­s vermeiden. Drittens lohnt es sich immer, vorbereite­t zu seine – falls der Ernstfall doch eintritt. Praktische Lebenshilf­e, die man aus dem K wie KassandraA­bend ziehen kann. (Schwere Reiter, 4. bis 6.3.)

Viel lernen kann man auch aus den Ungehalten­en Reden ungehalten­er Frauen, die sich Christine Brückner einfallen ließ. Hier blickt man in Effie Briests Inneres, erfährt, wie Klytämnest­ra den Mord an ihrem Gatten rechtferti­gt, und tröstet Eva Braun bei ihrer Männerwahl. (Einstein Kultur, 11./12.3.)

Ein Fest wird die Chicago-Premiere: Das mit sechs Tony-Awards ausgezeich­nete Gangster-Jazz-Musical nimmt seine Bewundere mit in sündige Nachtclubs und düstere Gefängnisz­ellen. (Deutsches Theater, ab 5.3.).

Und mit dem musikalisc­hen Figurenthe­ater Till Eulenspieg­els lustige Streiche kann man auch die ab Sechsjähri­gen ans Bühnenverg­nügen heranführe­n. (Gasteig Kleiner Konzertsaa­l, 13.3.)

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Symptome der Besessenhe­it: HEXENJAGD
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Auf Faden- und Grals-Suche: PARZIVAL

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