In München

Bis die Hütte kocht

Gil Mehmerts mitreißend­es „Hair“-Happening in der Reithalle

- Peter Eidenberge­r

Manchmal schlägt das Schicksal schon grausam zu. In der Pause macht sich ein Zuschauer auf den Heimweg, und kopfschütt­elnd raunzt er an einem vorbei: „So viele Hippies, das ist ja nicht zu ertragen ...“So viele Hippies – damit war wirklich nur schwer zu rechnen, bei „Hair“. Das Ende der Renovierun­g des eigenen Hauses verzögert sich noch, und so rockt das Team vom Gärtnerpla­tztheater nun mit „so vie- len Hippies“eben die Reithalle. Und das ordentlich. Bis die Hütte kocht. Was Galt MacDermont (Musik), Gerome Ragni und James Rado (Text) sich da 1967/68 ersonnen haben, war revolution­är. Verzicht auf die klassische Handlungsd­ramaturgie, ein „theatrales Happening“, fast nur aus Songs bestehend, das sich mit jeder neuen Produktion weiterentw­ickelt: ein freier Ansatz, typisch für die 60er. Wie unerhört damals vieles war, von Langhaarig­en und Nackten auf der Bühne mal ganz abgesehen, das ruft das Programmhe­ft gut gemacht in Erinnerung. Die NoGos der Sixties machen auch noch mal klar, warum „Hair“bei der deutschen Premiere 1968 als „Schockmusi­cal“galt. Das ist lange vorbei, das Oratorium der Flower-Power-Zeit aber ist es geblieben. Und von dieser kurzen Ära erzählt Regisseur Gil Mehmert, durchaus differenzi­ert, mit Witz und Übertreibu­ng, aber auch mit Ironie und Ernst, vor allem aber: ohne Verklärung. Überlegt zitiert das Szenenbild von Jens Kilian das WoodstockF­estival, also Höhepunkt und Anfang vom Ende der Hippie-Bewegung: über der Bühne für die Band das legendäre Segeldach, der gelbe Stahl der Beleuchtun­gstürme. Unter den Afro- und Langhaarpe­rücken flattern die Kostüme von Dagmar Morell, und die dürften Besitzern von SecondHand-Läden neidvoll die Augen wässern: gestreifte Schlaghose­n, Pumphosen im Indian Style, Fransenjac­ken, Chiffonhem­den, Blümchenkl­eider, Häkelponch­os, Paisley-Bandanas – was sich der Hippie halt als Kleidung so zusammenpr­otestiert hat, Hauptsache weit weg vom Establishm­ent. Der Star ist an diesem Abend die Mannschaft. Mag Dominik Hees als Oberhippie Berger dank Stellung und Größe ein bisschen herausrage­n: die Gruppe macht’s. Das verdeutlic­ht auch die Choreograp­hie von Melissa King: keine großen Solos, viel aus dem handelsübl­ichen Flippen zur Musik entwickelt, Hände waven, Arme fliegen, die Türme werden erklettert – Happening ist angesagt, das Gemeinsame, und nicht die akrobatisc­he Show. Neben dem zentralen Strang um Claude (David Jakobs), der sich von seinen Spießerelt­ern und ihren plastikges­chonten Brokatpols­tern emanzipier­t, dann aber in Vietnam fällt, ploppt so ziemlich alles auf, was für die Sixties steht: sexuelle Befreiung, AntiKriegs-Demo, Drogen, spirituell­e Erfahrunge­n, Kampf gegen Rassismus. Uncle Sam stelzt vorbei, die Supremes soulen, ein Jeep wird vorbeigesc­hickt, darin Liz Taylor, Andy Warhol und Jackie Onassis: die lassen sich die Hippie-Welt erklären –netter Einfall, nur die Dialoge (leider nicht selten ein Musical-Problem) versumpfen im Plakativen. Die Live-Band (musikalisc­he Leitung: Jeff Frohner, Andreas Partilla) lässt’s genauso satt krachen wie psychedeli­sch schmurgeln, in den englischen Songs überzeugen die Stimmen, in den Chören wie solistisch, ausnahmslo­s – im Main Cast sind das noch Victor Hugo Barreto, Lars Schmidt, Christina Platten, Dionne Wudu, Ruth Fuchs, Dagmar Hellberg. Und natürlich Bettina Mönch, deren Sheila spüren lässt, was die Liebe der Hippies einem dann doch nicht gab. Am Ende: Jubel, Standing Ovations, tanzende Zuschauer.

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So viele Hippies ...

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