Bis die Hütte kocht
Gil Mehmerts mitreißendes „Hair“-Happening in der Reithalle
Manchmal schlägt das Schicksal schon grausam zu. In der Pause macht sich ein Zuschauer auf den Heimweg, und kopfschüttelnd raunzt er an einem vorbei: „So viele Hippies, das ist ja nicht zu ertragen ...“So viele Hippies – damit war wirklich nur schwer zu rechnen, bei „Hair“. Das Ende der Renovierung des eigenen Hauses verzögert sich noch, und so rockt das Team vom Gärtnerplatztheater nun mit „so vie- len Hippies“eben die Reithalle. Und das ordentlich. Bis die Hütte kocht. Was Galt MacDermont (Musik), Gerome Ragni und James Rado (Text) sich da 1967/68 ersonnen haben, war revolutionär. Verzicht auf die klassische Handlungsdramaturgie, ein „theatrales Happening“, fast nur aus Songs bestehend, das sich mit jeder neuen Produktion weiterentwickelt: ein freier Ansatz, typisch für die 60er. Wie unerhört damals vieles war, von Langhaarigen und Nackten auf der Bühne mal ganz abgesehen, das ruft das Programmheft gut gemacht in Erinnerung. Die NoGos der Sixties machen auch noch mal klar, warum „Hair“bei der deutschen Premiere 1968 als „Schockmusical“galt. Das ist lange vorbei, das Oratorium der Flower-Power-Zeit aber ist es geblieben. Und von dieser kurzen Ära erzählt Regisseur Gil Mehmert, durchaus differenziert, mit Witz und Übertreibung, aber auch mit Ironie und Ernst, vor allem aber: ohne Verklärung. Überlegt zitiert das Szenenbild von Jens Kilian das WoodstockFestival, also Höhepunkt und Anfang vom Ende der Hippie-Bewegung: über der Bühne für die Band das legendäre Segeldach, der gelbe Stahl der Beleuchtungstürme. Unter den Afro- und Langhaarperücken flattern die Kostüme von Dagmar Morell, und die dürften Besitzern von SecondHand-Läden neidvoll die Augen wässern: gestreifte Schlaghosen, Pumphosen im Indian Style, Fransenjacken, Chiffonhemden, Blümchenkleider, Häkelponchos, Paisley-Bandanas – was sich der Hippie halt als Kleidung so zusammenprotestiert hat, Hauptsache weit weg vom Establishment. Der Star ist an diesem Abend die Mannschaft. Mag Dominik Hees als Oberhippie Berger dank Stellung und Größe ein bisschen herausragen: die Gruppe macht’s. Das verdeutlicht auch die Choreographie von Melissa King: keine großen Solos, viel aus dem handelsüblichen Flippen zur Musik entwickelt, Hände waven, Arme fliegen, die Türme werden erklettert – Happening ist angesagt, das Gemeinsame, und nicht die akrobatische Show. Neben dem zentralen Strang um Claude (David Jakobs), der sich von seinen Spießereltern und ihren plastikgeschonten Brokatpolstern emanzipiert, dann aber in Vietnam fällt, ploppt so ziemlich alles auf, was für die Sixties steht: sexuelle Befreiung, AntiKriegs-Demo, Drogen, spirituelle Erfahrungen, Kampf gegen Rassismus. Uncle Sam stelzt vorbei, die Supremes soulen, ein Jeep wird vorbeigeschickt, darin Liz Taylor, Andy Warhol und Jackie Onassis: die lassen sich die Hippie-Welt erklären –netter Einfall, nur die Dialoge (leider nicht selten ein Musical-Problem) versumpfen im Plakativen. Die Live-Band (musikalische Leitung: Jeff Frohner, Andreas Partilla) lässt’s genauso satt krachen wie psychedelisch schmurgeln, in den englischen Songs überzeugen die Stimmen, in den Chören wie solistisch, ausnahmslos – im Main Cast sind das noch Victor Hugo Barreto, Lars Schmidt, Christina Platten, Dionne Wudu, Ruth Fuchs, Dagmar Hellberg. Und natürlich Bettina Mönch, deren Sheila spüren lässt, was die Liebe der Hippies einem dann doch nicht gab. Am Ende: Jubel, Standing Ovations, tanzende Zuschauer.