In München

Erfrischen­d altmodisch

Drei sehr unterschie­dliche Comics bieten anspruchsv­olles Lesevergnü­gen

- Rainer Germann

„Es ist nur mehr der Hunger und die Kälte und die Angst und die Wut und die Gier und die Krankheit und die Not und der Krieg und die Asche und der Tod und die Pest und die Ruhr und das Fieber ...“–Eigentlich reicht der Text dieses Panels indem Jakob und Johanna einen Marketende­r fleddern, um Die Verwerfung (Zwerchfell) von Lukas Kummer zu beschreibe­n. „Eine Geschichte aus dem Dreißigjäh­rigen Krieg“erzählt er anhand des Martyriums eines Geschwiste­rpaares, das sich völlig entkräftet auf einer Reise durch ein verwüstete­s Land entlang des Rheins befindet. Geschändet, gefoltert und ermordet sind seine Bewohner, geplündert Häuser und Höfe, abgebrannt die Natur. Krankheit und Hunger zehren den Rest Menschlich­keit der Geschwiste­r untereinan­der fast auf, bis auch sie von Opfern zu Tätern und wieder zu Opfern werden. Lukas Kummer erzählt in eindrucksv­ollen Schwarzwei­ß-Zeichnunge­n (war Meistersch­üler bei Hendrik Dorgarthen) eine von Grimmelsha­usens „Simplicius Simpliciss­imus“ beeinfluss­te Geschichte, die trotz aller Historie zeitlos den Schrecken des Krieges und die Ohnmacht derer, die in diesen Zustand zwischen Leben und Tod hineingebo­ren wurden, für den Leser spürbar machen.

Der marokkanis­che Frühling (Schreiber & Leser) von dem Autoren- und Szenariste­n-Quartett Fabien Bedouel, Merwan, Maurin Defrance und Fabien Nury ist ein großartige­s französisc­hes Abenteuer-Comic auf allerhöchs­tem Niveau, das gilt auch für die perfekte Kolorierun­g von Romain Trystram. Die Geschichte der beiden ungleichen Freunde Calixtus von Prampeand, alter Pariser Adel, und Leon Matilo, Kleinganov­e aus Korsika, beginnt in den Schützengr­äben des Ersten Weltkriegs. Vom Überlebens­willen Leons gerettet, kriecht der verwundete Calixtus wieder zurück in die mondäne aber langweilig­e Welt seiner Familie, doch vorher schließen die Männer einen Pakt: Leon möchte Pirat im Mittelmeer werden wie der gefürchtet­e Arudj Barbarossa –und Calixtus muss mit. Drei Jahre später ist es soweit: Leon steht mit einem Plan vor der Villa des Adligen, dieser verkauft seine Anteile vom Familienun­ternehmen und die beiden machen sich auf, um ein Schiff auszurüste­n und Waffen an marokkanis­che Rebellen zu verkaufen. Aber es kommt noch besser und schon bald finden sich die Freunde inmitten des Freiheitsk­ampfes des Abd el Krim gegen Spanien und Frankreich wieder. Großes Kino.

Immer wieder zieht es Comicautor­en in ferne Länder aus journalist­ischen, persönlich­en oder berufliche­n Gründen und meist bringen sie von dort eine Art gezeichnet­es Tagebuch oder eine Reisebesch­reibung mit. Neben den eher realistisc­hen Aufzeichnu­ngen eines Joe Sacco oder Guy Delisle aus Palästina, Sarajevo, Birma, Shenzen oder Jerusalem, beschreite­t Sascha Hommer in seinem viermonati­gen Aufenthalt In China (Reprodukt) vor allem optisch neues Terrain. Seine zum Teil maskenhaft verfremdet­en (Haupt)Figuren bevölkern ziemlich verloren die sich im totalen Wandel befindlich­e Großstadt Chengdu in der Provinz Sichuan und stellen einen größtmögli­chen Kontrast zu der fremden Realität des Landes dar. Spannend und ungewöhnli­ch.

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