„Ihr müsst besser sein als die Erwachsenen“
Eveline Kubitz und Patricia Bodensohn
Noch keine Idee für die Osterferien? Warum nicht mal beim Radio reinschnuppern? Eine gute Gelegenheit dafür bietet der SprecherAufruf für den Wettbewerb „Prix Jeunesse“. Immer an Rampensäuen interessiert ist Patricia Bodensohn, die beim Feierwerk-Ableger Südpolstation in Neuperlach mit jungen Radio-Machern die wöchentliche Sendung „Südpolshow“(samstags zwischen 9 und 10 Uhr auf Radio Feierwerk 92,4) produziert. Zusammen mit der Radio Feierwerk-Chefin Eveline Kubitz sucht sie noch sprech- und schauspielfreudige Talente zwischen vier und 99 Jahren, die mit ihr ausländische Filmen für das weltweit größte TV-Festival für Kinder- und Jugendprogramme synchronisieren. Kein schlechter Einstieg für den Einsatz am Mikro. Radio Feierwerk, nicht nur als Szene-Station beliebt, führt auch die Jüngsten ans Radiomachen heran. Die meisten Eltern, so Eveline Kubitz, schätzen es sehr, wenn die Kinder auf einen Schlag ihren Redebedarf loswerden. Und staunen dann, was für selbstbewusste Kiddies die Radioarbeit aus ihnen macht. Alle Infos für Mitmacher und Unterstützer: radio.feierwerk-foerderer.de
Wie viele Stunden läuft bei Ihnen denn privat Radio. Sind Sie AudioJunkies?
Eveline Kubitz: Total! Radio läuft andauernd. Beim Kochen und Putzen höre ich FM4 übers Internet. Aber auch ganz viel aus anderen Ländern – vor allem Podcasts. Beim Radeln ist es „This American Life“– ein unglaubliches USProgramm von Kollegen, die unfassbar gut erzählen können. Da versuche ich immer etwas abzuspicken, wie die das so machen und davon etwas auf hier zu übertragen.
Das heißt, Sie müssen Ihr Telefon deutlich lauter stellen, damit man Sie überhaupt mal an die Strippe bekommt?
Eveline Kubitz: Äh ja. Oder man muss es öfter probieren.
Man kann auch Radio hören, selbst wenn man es selber macht? Oder registrieren Sie dann nicht immer Pannen, die den Kollegen unterlaufen?
Evelin Kubitz: Bei Fehlern ist man sehr gnädig, wenn man selber Radio macht. Und die Fehler selbst auch schon oft gemacht hat. Aber klar: Mir fällt so was viel schneller auf – auch bei den Sprechern im Fernsehen. Mein Freund beschwert sich schon, dass er mit mir gar nicht mehr die „Tagesschau“schauen kann, weil ich mich immer über unglückliche Schnitte aufrege. Die Produktion ist halt mein Steckenpferd. Und er möchte einfach mal ungestört
fernsehen. Aber man kann sich von der Radio-Arbeit der anderen halt auch großartig inspirieren lassen. Es gibt so tolle Sachen da draußen.
Anliegen, die Ihr Freund an Sie heranträgt, müssen immer ordentlich formuliert und deutlich gesprochen sein, oder?
Eveline Kubitz: Natürlich. Dramaturgisch ausgereift – sonst geht da gar nichts.
Wie kamen Sie denn überhaupt zum Radio? Das ist ja nicht das erste Medium, das jedem so einfallen würde. Wie kann man denn junge Leute fürs Radio und dann auch fürs RadioMachen begeistern?
Eveline Kubitz: Ich glaube, man muss selbst eine Leidenschaft für das Medium in sich tragen, um die Kinder und Jugendlichen, die hier reinkommen, dafür zu begeistern. Die merken, dass wir für Radio brennen. Bei der Patricia ist es genauso. Das steckt schon an. Dann führt man sie so langsam an die Dinge heran, die möglich sind. Die Beitragsformen sind ja ähnlich wie man sie vom Fernsehen kennt: Man führt mal Interviews, man lernt Bands oder irgendwelche Stars kennen. Vor kurzem waren die Kids beim FC Ingolstadt und sprachen mit den Fußballern. Das sind Highlights! Wenn sie dann hören, was man daraus machen kann – mit Geräuschen, Dramaturgie, Spannungsbögen – oder erst-
malig ihre Stimme hören, wenn sie live moderieren, dann sind sie hin und weg. Vor allem auch deswegen, weil man das Ergebnis den Eltern, Freunden sowie Oma und Opa ja auch gleich vorspielen kann. In den meisten Fällen haben wir die Kids dann schon für immer für uns gewonnen.
Dass Kinder sich gerne mitteilen wollen, wissen Eltern am besten. Gibt es denn so etwas wie eine typische Radio-Persönlichkeit?
Eveline Kubitz: Auch bei den erwachsenen Sendungsmachern sind es vor allem Menschen, die Freude daran haben, wenn ihnen mal jemand ordentlich zuhört. Die wollen sich und ihre Szene zeigen und freuen sich, wenn sie hier einen Platz finden, an dem sie das auf kreative Weise machen können – ohne dass wir ihnen viel reinreden. Bei den Kindern ist es recht unterschiedlich. Oft sehen die Eltern unser cooles Angebot. Bei den Schnupperterminen merken wir dann rasch, dass die Kids eigentlich noch mega-schüchtern sind. Nach und nach tauen sie aber auf und entwickeln das Selbstbewusstsein, etwas erzählen zu wollen und das extrem stolz nach außen zu tragen.
Den ersten Schock, seine Stimme mal ganz anders zu hören, gibt es aber immer noch? Da fällt man ja manchmal vom Stuhl.
Patricia Bodensohn: Die Kinder sind da eher unerschrockener als die Erwachsenen. Die finden das wahnsinnig witzig. Oft habe ich aber das Gefühl, die erkennen sich dann gar nicht wirklich selbst.
Bei Radio denkt man zuerst einmal an Technik – an Sachen, die man erst mal lernen und beherrschen muss. Vielleicht hat man sogar Sorge, dass man im Studio etwas kaputt macht. Eine große Hürde?
Eveline Kubitz: Gar nicht. Die sind super neugierig. Wir lassen die Kids auch immer gleich Knöpfchen drücken und die Regler hoch und runter fahren. Berührungsängste haben die Jüngeren gar nicht. Die laufen ja ohnehin alle mit Smartphones oder MP3-Playern durch die Gegend. Außerdem sind sie ja immer in Begleitung von Pädagogen aus unserem Team und können die Fragen, wenn sie etwas wissen wollen. Wir geben unseren jungen Besuchern immer gleich die Geräte in die Hand – und haben damit weder schlechte Erfahrungen gemacht noch gespürt, dass sie sich dadurch überfordert fühlen. Patricia Bodensohn: Unsere Radio-Kids sind total verantwortungsbewusst. (lacht) Wenn mal was runterfällt, dann eher bei den Älteren ab 20. Oder bei unseren Praktikanten. Bei den Kindern ist mir in 20 Jahren noch nie was passiert.
In einem Radio-Studio muss aber doch alles seinen Platz haben?
Patricia Bodensohn:(lacht) Wir führen schon ein Regiment. Die Kids brauchen klare Ansagen. Es motiviert sie total, wenn sie wissen, es geht um was. Das ist der große Vorteil der Sendezeit, die wir haben – dass es kein Spiel ist. Wir machen wirklich Radio. Was wir produzieren, geht auf Sendung. Die Kiddies haben eine Deadline, sie gehen zum Interview, machen eine Moderation und dann geht das raus. So sind sie sehr konzentriert bei der Sache. Oft habe ich bei mir in der Südpolstation Schulklassen zu Besuch. (lacht) Da erkennen die Lehrer ihre Kinder manchmal gar nicht mehr wieder. Weil sie so ruhig und motiviert sind. Ich sag scherzhaft immer: Bei mir ist es schlimmer als in der Schule. Weil die Kids sich oft nicht hektisch bewegen – und nicht ins Mikro schnaufen – dürfen. Und das funktioniert trotzdem. Sie wollen gefordert werden. Eveline Kubitz: Es gibt auch einen pädagogischen Joker: Wir hatten kürzlich eine Hortgruppe mit schwer erziehbaren Kindern hier. Die sind ziemlich wild hier reingestürmt. Aber sobald sie unsere Kopfhörer aufgesetzt hatten, sind sie total bei der Sache. Nicht eingeschüchtert, aber voll konzentriert. Irgendwie auch demütig unserem Projekt gegenüber. Und das obwohl sie kurz vorher den Laden halb auseinander genommen hatten. Ich muss gar nicht meine Muskeln spielen lassen: Es reicht, wenn ich ein Knöpfchen drücke – und die Kinder sich über ihre Kopfhörer zum ersten Mal selbst hören.
Wie oft verblüffte es Sie selbst noch, wie unbedarft anders Kinder Fragen stellen – und manchmal vielleicht Erwachsenen Sachen aus den Rippen leiern, die diese gar nicht erzählen wollten?
Eveline Kubitz: Immer wieder faszinierend. Wir haben in jedem Kindermagazin einen Studiogast. Da können wir ihnen im Vorfeld zur Inspiration so viele Fragen vorlegen, wie wir wollen. Und dann haben sie plötzlich ihre ganz eigenen Fragen. Super witzig und spannend für alle Beteiligten. Kids haben eine ganz andere Perspektive auf die Welt.
Und die kriegen auch maulfaule Fußballer zum Reden?
Eveline Kubitz: Auf jeden Fall. Da kann man nur staunen.
Patricia Bodensohn: Allerdings ist es vielleicht eine romantische Erfahrung, dass Kinder einfach so darauf losbabbeln. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sie viel zu wenig nach ihrer Meinung gefragt werden. In der Schule kommt das viel zu kurz. Kinder im Radio gibt es schon lange. Viele benutzen ihre Stimmen aber als eine Art „Dekoration“, nehmen sie aber nicht wirklich ernst. Den „Ach wie süß“-Bonus gibt’s bei mir nicht. Ich sage meinen Kids immer: Ihr müsst besser sein als die erwachsenen Journalisten!
Verändern sich die Kinder denn, wenn sie das erste Mal Radio gemacht haben. Fragen sie auch im „echten Leben“hartnäckiger nach und werden neugieriger?
Eveline Kubitz: Na klar. Die Kinder sind zunächst immer super höflich. Oft haben sie aber das Gefühl, sie dürfen gar nicht kritisch sein – und haben plötzlich eine harte Frage, wenn das Interview schon rum ist. Ich spüre das auch, dass Kinder oft klagen: Uns fragt ja keiner. Ich finde schön, wenn es oft fruchtet, dass man ihnen sagt, dass sie durchaus kritischer sein dürfen. Und dass sie beim nächsten Mal einer Band richtig auf den Zahn fühlen.
Liegt das auch an den eigenen HörErfahrungen? Was man so im Auto dudeln hört, ist ja oft ziemlich weichgespült. Vor allem bei Privatsendern.
Eveline Kubitz: Wir wollen ein anderes Radio machen. Inhaltlich anders. Bei Schul-Workshops erfahren wir immer als erstes, dass sie Radio Gong, Antenne Bayern, Energy hören. Wenn sie so sozialisiert wurden, ist es schwierig. Dann muss man ihnen schon erst mal beibringen, was Journalismus eigentlich ist. Wir wollen unseren Mitarbeitern neue Horizonte aufzeichnen – auch durch Themen, die mal etwas tiefgründiger und sperriger sind. Die Kinder sind auch Multiplikatoren. Sie können ihren Gleichaltrigen erzählen, dass man auch ganz anders über Flüchtlinge nachdenken und sprechen kann. Oder über kaputte Ehen und anstehende Scheidungen. Es geht eben nicht immer nur um den lustigen Kinofilm.
Wie ist es denn bei den etwas Älteren? Da gibt es ja sicher einige, die der Stadt eine andere Stimme geben wollen. Wie schwer ist es, deren Anliegen und Engagement wirklich auf Sendung zu bringen, wenn sie mal auf den Tisch hauen wollen?
Eveline Kubitz: In unserer Jugendredaktion geht es mit 16 oder 17 Jahren los. Die haben total konkrete Vorstellungen. Meistens wollen die am liebsten crossmedial arbeiten und jedes Interview am besten auch noch per Video drehen. Das ist eine Generation, die medial denkt. Bei den Themen wissen sie genau, über welche Band sie eine Reportage machen wollen. Auch Politik und Soziales ist ihnen oft ein echtes Anliegen. Das ist uns sehr willkommen: Wo gibt’s einen Platz dafür, wenn nicht hier im Feierwerk?
Was muss man denn mitbringen, wenn man Sie dafür gewinnen möchte, selbst ans Mikro zu dürfen?
Eveline Kubitz: Es muss Begeisterung für das Medium – und für die Sache – rüberkommen. Dann sind wir sehr offen. Pauschal gesehen, darf jeder erst mal mitmachen. Wir klopfen natürlich ab, was die Sprecher inhaltlich vorhaben – dass da keine Dinge vorkommen, die mit Sexismus oder Rassismus zu tun haben. Wer für Radio brennt, steht bei uns schon fast im Studio.
Sind das dann junge Leute, die bei Ihnen mit zwei Plastiktüten voller IndieCDs auftauchen?
Eveline Kubitz: (lacht) Leider davon zu wenige. Durch unsere Spendenaktion wollen wir nicht nur Unterstützer finden. Es geht auch darum, bekannter zu werden. Mit der Botschaft: Hier gibt es einen Platz, wo Deine Stimme wichtig ist! Ich fände es cool, wenn jemand hier mit seiner Plattensammlung aufkreuzt. Und dann quatscht man mal, was sie oder er sich so vorstellt.
Patricia Bodensohn: Bei mir in Neuperlach ist die Situation etwas anders – besonders bei der Musik. Meine Kinder sind zwischen acht und 16 Jahre alt. Die Musikauswahl machen die Kinder selber. (lacht) Da sehe ich mich dann auch mit Helene Fischer & Co. konfrontiert. Das ist bei mir unterhalb der Schmerzgrenze und wir müssen Lösungen finden. Zum Glück gibt’s ja auch Versionen wie „Bargeldlos durch die Nacht“. Oder ich mache ihnen den Vorschlag, dass wir doch mal was Cooles fahren – und dann führen wir ein Interview mit Jesper Munk. Interview: Rupert Sommer