Nicht ohne meine Ziege
Krieg, Frieden, Zerstörung und bukolische Landliebe
Wie gut, dass man den kiloschweren Schmökern nicht selbst auf den Knien balancieren muss. Die englischsprachige Performer-Gruppe Gob Squad nimmt den Literaturfreunden eine schwere Last ab und arbeitet sich stellvertretend durch den Leo-Tolstoi-Klassiker War and Peace. Und das auf eine angemessen spielerische Art. In einer Art Salon, an einem angeblich „vom Frieden verwüsteten Ort“, versammelt sich eine Gruppe von Künstlern, die ihre Gespräche um „Krieg und Frieden“kreisen lassen. Dadurch erwacht der vor fast 150 Jahren geschrieben Roman, der sich mit Napoleons Feldzug in die Tiefen Russlands beschäftigt, zu neuem Leben. Es geht darum, Phänomene von Historie zu begreifen und aus dieser Perspektive diese neu zu erzählen. Dabei erlebt das Publikum im Laufe der Nacht eine schier nicht enden wollende Parade an Charakteren – 135 Handelnde zählt allein der Roman -, die über Tolstoi weit hinausgeht. Es wird getanzt, gezecht, geliebt. Und die Hitzköpfe duellieren sich. Außerdem zieht man in die Schlacht, und die Performer positionieren sich in Stellungen wie auf einem Strategie-Brettspiel. Immer wieder steht die Frage im Zentrum, wie Konflikte überhaupt entstehen können, wie sich das Individuum zur Gesellschaft verhalten soll und wie sich ein moralisch vertretbares Leben führen lässt – in einer Welt, die ethisch imperfekt ist. Oder anders: Wie können wir sorglos und träge vor uns hinwursteln, wenn unser vermeintlich „friedlicher“Lebensstil doch so viel Leid, Chaos und Zerstörung in der Welt verursacht? (Kammerspiele, ab 23.3.)
Apropos Zerstörung: Das Menetekel der jüngsten Moderne war sicher die Atomkatastrophe von Fukushima, die sich dieser Tage zum fünften Mal jährt. Die japanische Autorin und Regisseurin Misaki Setoyama war eine der ersten, die sich in Tokio dem allgemeinen Trend entgegenstellten, sich angesichts der Mensch-gemachten Apokalypse in seichtes Unterhaltungstheater zu flüchten. Ihr Hot Particle-Drama bezog bereits ein halbes Jahr nach dem GAU kritisch Stellung. Und das nicht auf der politischen oder sozialkritischen Ebene, sondern fast noch radikaler dadurch, dass sie sich eine sehr subjektive, persönliche Sichtweise zugesteht. (Giesinger Bahnhof, 17. und 18.3.)
Ebenfalls im Rahmen des kleinen deutsch-japanischen Theaterfestivals in Giesing kommt auch die Truppe TheaTrie in die Stadt. Kiru annya to U-Ko san – Bruder Sense und Frau U ist ein endzeitliches Stück, das an einem fast unbewohnbaren Ort spielt. Weiß gekleidete, aus der Zeit gefallene Menschen eint alle ein Wunsch: Sie wollen die geheimnisvolle Frau U wieder finden. Für die einen ist sie eine Köchin, für andere eine Betrügerin, für viele eine Freundin aus der Kindheit. Die Abwesenheit von Frau U wird zum Symbol eines großen Verlustes, den die Menschen erleiden mussten. Immer deutlicher wird, dass Fukushima einen Ort benennt, der für viele Japaner eine schmerzhaft vermisste Heimat war. (Giesinger Bahnhof, 19.3.)
Ebenfalls mit der oft so fremd und befremdlich wirkenden japanischen Kultur beschäftigt sich die performative Konzert-Installation Über ge setzt von Ruth Geiersberger (Performance), Martina Koppelstetter (Gesang) und Masako Ohta (Klang). Die drei Frauen reflektieren über den Moment, in dem Gedanken verschriftlicht werden. Was passiert mit dem Klang der Worte, wenn der Stift übers Papier fährt? Werden Gedanken so sicht- und hörbar? Hier öffnen sich Welten aus Zeichen, die ebenso ungewohnt wie seltsam vertraut erscheinen. (Grundschule an der Bazeillestr. 8, 17. bis 19.3.)
Ganz ähnlich gelagert der Ansatz, den das Klavier-Tanz-Duo aus Susanne Zäpfel und Thorsten Paetzold verfolgt. Ihr Dazwischen-Stück lotete den Raum aus, der sich zwischen den Dingen und ihren Bezeichnungen öffnet – zwischen den Zeilen, zwischen den Stühlen, zwischen zwei Menschen. (Einstein Kultur, 18.3.)
Und noch einmal Japan, bitte: Die Butoh-Tänzerin Aya Irizuki aus Tokio, die Filmfreunde aus Doris Dörries Kinofilm „Kirschblüten – Hanami“kennen könnten, gastiert dieser Tage in München. The Vermilion Bubbles heißt ihre neueste Choreografie, für die man natürlich mal wieder die Seele in den BaumelBetrieb hängen kann. Irizuki ist übrigens auch in einer Nebenrolle im neuen Dörrie-Film „Grüße aus Fukushima“zu sehen. (Pasinger Fabrik, 19. und 20.3.)
Noch ein Tanz, ein ganz besonderer: Die Choreografin Claudia Senoner und der Hamburger Komponist Michael Maierhof haben für ihre Performance Zonen 4.2. einen außergewöhnlichen Raum eingerichtet. Dort platzieren sie Plastikbecher, Nylonsaiten, viele leere Dosen, Besteck- und Stimmgabeln, Motoren aus elektrischen Zahnbürsten, Wäscheklammern und Putzschwämme. Das gesamte Arrangement ergibt ein riesiges Raum-Instrument, dessen Einzelteile sich verbinden, sich bewegen und gegenseitig beeinflussen. „Ich mag Systeme, die nicht starr sind“, sagt Maierhof über den kuriosen Resonanzraum, in dem sich neue Klänge erzeugen lassen. „Es geht mir um eine Form des Tanzes, die nicht auf Handlung fußt, sondern selbst Handlung wird“, sagt seine Kollegin. Spannendes Experiment! (Schwere Reiter, 19. und 20.3.)
Zurück zum Gegenständlichen: Die Groteske Die Polizei von Slawomir Mrozek erzählt von einer beklemmenden Zukunft. Das gesamte Volk steht geschlossen hinter der Regierung. Eben erst ist der letzte Regime-Gegner übergelaufen, die Gefängnisse stehen gähnend leer. Nicht einmal durch gezielte Provokation lassen sich die braven Bürger zu kritischen Äußerungen hinreißen. Die Staatsmacht muss handeln. „Ein jeder muss einmal irgendeine Bombe auf irgendeinen General werfen – das fordert der Organismus.“(Haus der Kleinen Künste, 18.3. bis 23.3.)
Absurd wirkt auch der Lebensentwurf von Jakob, der allerdings jegliche Konventionen des bürgerlichen Lebens ablehnt. Ihn widern „Bratkartoffeln mit Speck“an, das Glaubensbekenntnis seiner nach Höherem strebenden Kleinbürgerfamilie. Seine Protesthaltung bleibt resolut: Partout möchte er sich im Eugène-Ionesco-Stück Jakob oder der Gehorsam nicht verheiraten lassen. Dem Ehezwang kann er nur entkommen, wenn er überzogene Anforderungen an seine Heiratskandidatinnen stellt. Doch dann kommt Roberta um die Ecke. (Pasinger Fabrik, 18.3.)
Martin dagegen hat seine Liebe gefunden – und eckt genau deswegen an. Der erfolgreiche Architekt hat sich mit seiner Frau Stevie einen Traum erfüllt: Sie sind aufs Land gezogen und wollen dort ihren Lebensabend genießen, der über ein Vierteljahrhundert lang noch nie von einem Seitensprung überschattet war. Doch dann verliebt sich Martin – in ein Huftier. Edward Albees Die Ziege oder Wer ist Sylvia? erzählt von einer nicht ganz alltäglichen außerehelichen Beziehung. (Theater Und so fort, ab 26.3.)