Demontage einer Gemeinschaft
Konventionelle „Hexenjagd“: Tina Lanik inszeniert Arthur Miller am Residenztheater
Lang ist der Beifall am Ende, sehr lang, und irgendwie klingt er, als wolle er über die Maximilianstraße hinübertönen, wo Matthias Lilienthals Münchner Bastelspiele in Kammer 1, 2 und 3 nicht bei allen Besuchern gleichen Jubel auslösen. Arthur Millers „Hexenjagd“nun am Residenztheater wirkt jedenfalls wie ein dreistündiger trotziger Gegenentwurf zu Postdramatik und Performance: unerschrocken erzählt Regisseurin Tina Lanik konventionell und Bild für Bild ein richtiges Theaterstück, zum Höhepunkt hin immer spannender, naturalistisch-psychologisch, mit Mut zum Pathos, ohne vorinstallierte Andock-Order fürs Heute. Und das scheint – wenige Buhs – anzukommen. Das Stück basiert auf realen Vorkommnissen 1692 im Ort Salem in Massachusetts, darauf konzentriert sich auch die Aufführung (ohne Verweis, dass „Hexenjagd“1953 Anti-Statement zur Kommunistenhatz in den USA der McCarthy-Zeit war). Und sie beginnt vor dem Text, mit dem spiritistischen Meeting einiger Mädchen im Wald: zusammengedrängt, blutend, lasziv, kotzend, ums Feuer tanzend. Dazu die unheilvolle Töne von Polly Lapovskajas Stimme, die ein Vocoder verfremdet. Fertig ist das Bild: so sehen Hexen aus.
Harte Blacks segmentieren dieses erste Bild, und das bleibt so, wie der klagend bis bedrohliche Gesang, wie die nächtliche Stimmung, wie die grauschwarzen Kostüme (nur die Mädchen tragen auch mal Weiß), die eine alte, ländliche Welt zitieren. Es ist eine Art Fabrikhalle, in der Bühnenbildner Stefan Hageneier spielen lässt, wenige Möbel und heruntergelassene Plastikfolien machen aus dem anthrazit verwaschenen Ambiente Wohn- oder Gerichtsort. Ein dunkel beseelter Raum, in dem fromm tuende, tatsächlich aber Menschen verachtende Puritaner ihre fatales Recht einfordern.
Das gelingt intensiv, stellenweise aber auch ganz schön langatmig, denn Lanik schaut sehr genau hin, wie aus übersteigerter Gläubigkeit, Ehebruch, Rache und Bedeutungsgeilheit ein Klima aus Angst, Generalverdacht und gottbegründetem Größenwahn wächst, wo keiner mehr sicher ist und jeder der nächste Schuldige sein kann. So erstarrt eine Gemeinschaft (was die Regie in bewegungsarme Bilder übersetzt), so demontiert sich die Mitmenschlichkeit. Exorzisten wie John Hale (Thomas Lettow) bohren fies, bis die Mädchen endlich denunzieren, führende Politiker wie Gouverneur-Stellvertreter Danforth (Norman Hacker) wissen, wie Urteile – und in diesen satanischen Zeiten heißt das: Todesurteile – zu erlangen sind. Die Frauen streuen Verleumdungen wie Abigail Williams (Valerie Tscheplanowa) mit dem verletzten Gefühl der Ex-Geliebten. Oder sie sind zu feige, das tödliche Rad aufzuhalten wie Mary Warren (Valerie Pachner).
John Proctor, bewusst als seltener Kirchgänger etabliert, durchschaut früh die frömmelnde Hysterie. Thomas Loibl, nun fest ans Resi zurückgekehrt, kommt etwas cowboyhaft daher, er spielt den Bauern bodenständig, wuchtig, aber auch mit feinem Sinn, die Gewissensnot zerreißt ihn förmlich vor Gericht. Er, der Ehebrecher, spürt sehr wohl, was hinter der Würde los, hinter der sich Sibylle Canonica als seine Frau versteckt. Die Bravos des Abends gibt es für die Schauspieler, für eine durch die Bank beeindruckende Ensembleleistung. Parallelen in die Aktualität aber zu assoziieren – laut Programmheft hatte man das wohl im Auge (wir seien „hysterisch damit beschäftigt, den Rechtsstaat aufzuweichen“, heißt es da) – , das bleibt der Abend schuldig.