Ohne Zwischenraumbürste
Wie viel Lebensfreude steckt doch im Wilden und Sündigen
Jeder Moment im Leben ist kostbar. Auch der, den man über der Kloschüssel hängend verbringt. Das ist jedenfalls die Positiv-Maxime von Patrizia Moresco, von deren südländischem Temperament man sich dringend mal wieder wachrütteln lassen sollte. In ihrem neuen „Bissfest“-Programm wirft sie Fragen auf, die es in sich haben: Sie will endlich wissen, warum wir alle so schrecklich vernünftig geworden sind. Warum sich Prüderie und Puritanismus wie Efeu über die Friedhofsmauern zurück in unsere Leben schleichen. Wir verzichten auf wilden Sex und Kartoffel-Chips, machen Pilates, gehen früh schlafen, verdünnen Wein mit Wasser, fahren mit dem Tempomat und behüten wie Darth Vader unsere Kinder auf gummierten Spielplätzen. Allerorten sind wir bemüht, politisch korrekt durch den Alltag zu schleichen. Nur Moresco liefert den Gegenentwurf. Den wilden. Den sündigen. Verweigert Euch den Zwischenraumbürsten! (Lach- und Schießgesellschaft, 20.3.)
Dem allzu Angepassten möchte auch Werner Koczwara entsagen. Deswegen rüttelt er die Teufelchen in uns auf. Manchmal lohnt es sich doch, dem Alltag neue Sichtweisen abzugewinnen. Dafür hat er sich ein paar perfide Prüfungsfragen ausgedacht. Etwa jene: „Stellen Sie sich vor, Sie fahren mit einem 30-Tonner eine stark abschüssige Straße hinunter, als plötzlich die Bremsen versagen. Sie könnten nun nach links in eine Notausfahrt ausweichen. Dort steht aber eine Gruppe Investmentbanker. Direkt vor Ihnen steht auf der Straße ein Kinderchor und singt Weihnachtslieder. Wie entscheiden Sie sich?“Die Auswahl zwischen Gut und Böse ist bekanntlich knifflig. „Wenn Sie Ihre Großmutter mit einem Gewehr aus 500 Metern Entfernung treffen, dann sind Sie zwar ein guter Schütze, aber kein guter Enkel“, gibt uns Werner Koczwara zu bedenken. (Lach- und Schießgesellschaft, 22. bis 26.3.)
Die Devise „Trau, schau, wem“sollte man natürlich auch im gleichnamigen Programm von Markus Laymann beherzigen. Immerhin ist der gute Mann ein perfider Täuschungskünstler. Stets ist er auf der Suche nach zeitgemäßen Formen der Zauberei. Und heraus kommt ein großes (Ent-)Täuschungsmanöver. (Heppel & Ettlich, 20.3.)
Vielleicht braucht es den ganzheitlichen Blick von Bruno Hetzendorfer, um den Absurditäten des Alltags Herr zu werden. In seinem Solo „Vom Zauber des Augenblicks“singt und spielt er auf poetisch-skurrile Weise alle Varianten von Meditation, Orgasmus, Sehnsucht, Tod, Beziehungschaos, Weltuntergang und Paradieserfüllung durch. Da sollte für jeden etwas dabei sein. (Hofspielhaus, 18.3.)
Tröstlich wirkt der Grundtenor bei David Leukert. „Schau Liebling, der Mond nimmt auch zu“, flötet er in seinem aktuellen Fitness-Programm. Doch allzu sehr einlullen lassen sollte man sich nicht. Immerhin muss man auch in den süßlichsten Frauenzeitschriften zwischen den Zeilen lesen: „Wer schlanker werden will, muss abnehmen.“Trotzdem blickt Leukert versöhnlich in die Runde. „Ist die Politik mit Sigmar Gabriel weiblicher geworden“, will er wissen. Stellvertretend für den modernen Mitbürger stolpert der Berliner durch den Alltag der Gegenwart. (Lach- und Schießgesellschaft, 27. und 28.3.)
Den Blick aufs Detail richtet Lars Reichow im noch immer aktuellen „Freiheit“-Programm. Er ist sich sicher: „Frei zu sein, ist heute kein Problem. Aber sich frei zu fühlen, das ist eine Kunst.“Ebenso schwierig ist es, endlich mal wieder eine ganze Nacht durchzuschlafen, ohne aufs Klo gehen zu müssen, oder einen Kaffee zu trinken, ohne später die ganz große Entkalkung durchzuführen. Plötzlich streikt die Kaffeemaschine, die Leichtigkeit kommt abhanden, und der Flüchtling steht vor der Tür. (Lustspielhaus, 19.3.)
Einen ganzen Schwung Hoffnung kann man dagegen aus dem „Kitsch“-Solo von Berni Wagner mitnehmen. Der erst 1991 geborene Oberösterreicher steht mit beiden Beinen auf der Bühne und veranstaltet dort einen wahren Zirkus des Mitgefühls. „Es gibt Hoffnung. Es gibt Träume, es gibt einen Plan“, versichert er. Er verspricht einen „Abend für alle, die die Welt verbessern möchten. Denn es wird ein schöner Abend, wie ihn wir uns verdient haben. Nichts wird fehlen. Alles wird gut.“Oder ist das jetzt doch „Kitsch“? (Vereinsheim, 17.3.)
Seine Landsleute Christoph & Lollo täuschen auch gerne an. Ihre Lieblingsnummer:
geben sich auf der Bühne gerne als sympathische Dilettanten. Doch hört genauer hin: „Das ist Rock’n’Roll“, behaupten die beiden. Und damit haben sie Recht. Sie führen gekonnt tragikomische Geschichten, abgründigen Humor und Protestlieder zusammen. Von ihrem demonstrativen Understatement sollte man sich nicht irreführen lassen. Immerhin sind die beiden längst alte, erfahrene Hasen. Vor 20 Jahren fing für Christoph & Lollo alles in der Nische an – mit Schispringer-Liedern. Mittlerweile haben sie das Tor zur Welt etwas weiter aufgestoßen. Mittlerweile verarbeiten sie zwar vor allem, aber eben nicht mehr nur Schispringer-Interna zu großartigen Songs. (Lach- und Schießgesellschaft, 29.3.)
Mit niemandem in der Welt tauschen möchte Gloria Gray. In ihrem „Glanz & Gloria“-Programm blickt die Vollblut-Entertainerin gut gelaunt, spritzig und schwarzhumorig auf Lust und Frust ihres Lebenswegs zurück – eines Lebens für die Kunst. Es ist gespickt mit Aufs und Abs und mit viel Prallem dazwischen. Zu ihrem 30. Bühnenjubiläum lockt sie das Publikum diesmal in den Backstage-Bereich. Dort streut sie Pfefferkörner aus, die von der Unsicherheit und den Schattenseiten im Glitzerlicht erzählen. Garniert wird das Ganze mit Gray’schen Sticheleien. (Schlachthof, 26.3.)
Vielleicht gibt sich die Kollegin Franziska Wanninger etwas früher zufrieden. Immerhin lautet ihr aktuelles Motto „AHOIbe – Guad is guad gnua“. Doch auch sie hadert mit den Anforderungen einer auf Perfektion und Außenwirkung getrimmten Gesellschaft. Ist man wirklich ein besserer Mensch, wenn man auf dem Rasenmäherbulldog (mit Getränkehalter) einen veganen Pausensnack dabei hat? (Schlachthof, 17.3.)
Wie schnell man sich auf den Wecker gehen kann, davon erzählen die Herren Beier & Hang. Der eine – Max Beier – ist ein smarter Münchner Hamburger, der andere – David Hang – ein ewiger Grantler aus Niederbayern. Blöd nur, dass sich ausgerechnete diese beiden eine WG teilen. Und dort wird so viel „Schmutzige Wäsche“gewaschen, wie der aktuelle Programmtitel andeutet. (Heppel & Ettlich, 27.3.)
Etwas lernen kann man bekanntlich bei Sven Kemmler. Deswegen lohnt es sich, regelmäßig eine seiner „Englischstunden“zu besuchen. Hier bekommt man Shakespeares Werkzeug erklärt und blickt in Eminems Malkasten. Kemmler versteht sich dabei als Reiseleiter auf dem gefährlichen Weg in den Bedeutungsdschungel und in die Aussprachewüsten. Er selbst spricht fünf Dialekte und bis zu acht Akzente. Da sollte wenig schief gehen. (Hofspielhaus, 19.3.)
Bleibt zum Abschluss strahlende Wäsche, die man den Protagonisten mit Blicken von den wohlgeformten Leibern ziehen möchte. Evi & das Tier bringen in der Let’s Burlesque-Show mit ihrer Band The Glanz die Bühne zum Brennen. Sinnlich-sündige Lebensfreude, Musik und Erotik ist das explosive Gemisch. Gezündet wird es mit einem Schuss Wahnsinn. (Gasteig Carl-Orff-Saal, 20.3.)