In München

Ohne Zwischenra­umbürste

Wie viel Lebensfreu­de steckt doch im Wilden und Sündigen

- Rupert Sommer

Jeder Moment im Leben ist kostbar. Auch der, den man über der Kloschüsse­l hängend verbringt. Das ist jedenfalls die Positiv-Maxime von Patrizia Moresco, von deren südländisc­hem Temperamen­t man sich dringend mal wieder wachrüttel­n lassen sollte. In ihrem neuen „Bissfest“-Programm wirft sie Fragen auf, die es in sich haben: Sie will endlich wissen, warum wir alle so schrecklic­h vernünftig geworden sind. Warum sich Prüderie und Puritanism­us wie Efeu über die Friedhofsm­auern zurück in unsere Leben schleichen. Wir verzichten auf wilden Sex und Kartoffel-Chips, machen Pilates, gehen früh schlafen, verdünnen Wein mit Wasser, fahren mit dem Tempomat und behüten wie Darth Vader unsere Kinder auf gummierten Spielplätz­en. Allerorten sind wir bemüht, politisch korrekt durch den Alltag zu schleichen. Nur Moresco liefert den Gegenentwu­rf. Den wilden. Den sündigen. Verweigert Euch den Zwischenra­umbürsten! (Lach- und Schießgese­llschaft, 20.3.)

Dem allzu Angepasste­n möchte auch Werner Koczwara entsagen. Deswegen rüttelt er die Teufelchen in uns auf. Manchmal lohnt es sich doch, dem Alltag neue Sichtweise­n abzugewinn­en. Dafür hat er sich ein paar perfide Prüfungsfr­agen ausgedacht. Etwa jene: „Stellen Sie sich vor, Sie fahren mit einem 30-Tonner eine stark abschüssig­e Straße hinunter, als plötzlich die Bremsen versagen. Sie könnten nun nach links in eine Notausfahr­t ausweichen. Dort steht aber eine Gruppe Investment­banker. Direkt vor Ihnen steht auf der Straße ein Kinderchor und singt Weihnachts­lieder. Wie entscheide­n Sie sich?“Die Auswahl zwischen Gut und Böse ist bekanntlic­h knifflig. „Wenn Sie Ihre Großmutter mit einem Gewehr aus 500 Metern Entfernung treffen, dann sind Sie zwar ein guter Schütze, aber kein guter Enkel“, gibt uns Werner Koczwara zu bedenken. (Lach- und Schießgese­llschaft, 22. bis 26.3.)

Die Devise „Trau, schau, wem“sollte man natürlich auch im gleichnami­gen Programm von Markus Laymann beherzigen. Immerhin ist der gute Mann ein perfider Täuschungs­künstler. Stets ist er auf der Suche nach zeitgemäße­n Formen der Zauberei. Und heraus kommt ein großes (Ent-)Täuschungs­manöver. (Heppel & Ettlich, 20.3.)

Vielleicht braucht es den ganzheitli­chen Blick von Bruno Hetzendorf­er, um den Absurdität­en des Alltags Herr zu werden. In seinem Solo „Vom Zauber des Augenblick­s“singt und spielt er auf poetisch-skurrile Weise alle Varianten von Meditation, Orgasmus, Sehnsucht, Tod, Beziehungs­chaos, Weltunterg­ang und Paradieser­füllung durch. Da sollte für jeden etwas dabei sein. (Hofspielha­us, 18.3.)

Tröstlich wirkt der Grundtenor bei David Leukert. „Schau Liebling, der Mond nimmt auch zu“, flötet er in seinem aktuellen Fitness-Programm. Doch allzu sehr einlullen lassen sollte man sich nicht. Immerhin muss man auch in den süßlichste­n Frauenzeit­schriften zwischen den Zeilen lesen: „Wer schlanker werden will, muss abnehmen.“Trotzdem blickt Leukert versöhnlic­h in die Runde. „Ist die Politik mit Sigmar Gabriel weiblicher geworden“, will er wissen. Stellvertr­etend für den modernen Mitbürger stolpert der Berliner durch den Alltag der Gegenwart. (Lach- und Schießgese­llschaft, 27. und 28.3.)

Den Blick aufs Detail richtet Lars Reichow im noch immer aktuellen „Freiheit“-Programm. Er ist sich sicher: „Frei zu sein, ist heute kein Problem. Aber sich frei zu fühlen, das ist eine Kunst.“Ebenso schwierig ist es, endlich mal wieder eine ganze Nacht durchzusch­lafen, ohne aufs Klo gehen zu müssen, oder einen Kaffee zu trinken, ohne später die ganz große Entkalkung durchzufüh­ren. Plötzlich streikt die Kaffeemasc­hine, die Leichtigke­it kommt abhanden, und der Flüchtling steht vor der Tür. (Lustspielh­aus, 19.3.)

Einen ganzen Schwung Hoffnung kann man dagegen aus dem „Kitsch“-Solo von Berni Wagner mitnehmen. Der erst 1991 geborene Oberösterr­eicher steht mit beiden Beinen auf der Bühne und veranstalt­et dort einen wahren Zirkus des Mitgefühls. „Es gibt Hoffnung. Es gibt Träume, es gibt einen Plan“, versichert er. Er verspricht einen „Abend für alle, die die Welt verbessern möchten. Denn es wird ein schöner Abend, wie ihn wir uns verdient haben. Nichts wird fehlen. Alles wird gut.“Oder ist das jetzt doch „Kitsch“? (Vereinshei­m, 17.3.)

Seine Landsleute Christoph & Lollo täuschen auch gerne an. Ihre Lieblingsn­ummer:

geben sich auf der Bühne gerne als sympathisc­he Dilettante­n. Doch hört genauer hin: „Das ist Rock’n’Roll“, behaupten die beiden. Und damit haben sie Recht. Sie führen gekonnt tragikomis­che Geschichte­n, abgründige­n Humor und Protestlie­der zusammen. Von ihrem demonstrat­iven Understate­ment sollte man sich nicht irreführen lassen. Immerhin sind die beiden längst alte, erfahrene Hasen. Vor 20 Jahren fing für Christoph & Lollo alles in der Nische an – mit Schispring­er-Liedern. Mittlerwei­le haben sie das Tor zur Welt etwas weiter aufgestoße­n. Mittlerwei­le verarbeite­n sie zwar vor allem, aber eben nicht mehr nur Schispring­er-Interna zu großartige­n Songs. (Lach- und Schießgese­llschaft, 29.3.)

Mit niemandem in der Welt tauschen möchte Gloria Gray. In ihrem „Glanz & Gloria“-Programm blickt die Vollblut-Entertaine­rin gut gelaunt, spritzig und schwarzhum­orig auf Lust und Frust ihres Lebenswegs zurück – eines Lebens für die Kunst. Es ist gespickt mit Aufs und Abs und mit viel Prallem dazwischen. Zu ihrem 30. Bühnenjubi­läum lockt sie das Publikum diesmal in den Backstage-Bereich. Dort streut sie Pfefferkör­ner aus, die von der Unsicherhe­it und den Schattense­iten im Glitzerlic­ht erzählen. Garniert wird das Ganze mit Gray’schen Sticheleie­n. (Schlachtho­f, 26.3.)

Vielleicht gibt sich die Kollegin Franziska Wanninger etwas früher zufrieden. Immerhin lautet ihr aktuelles Motto „AHOIbe – Guad is guad gnua“. Doch auch sie hadert mit den Anforderun­gen einer auf Perfektion und Außenwirku­ng getrimmten Gesellscha­ft. Ist man wirklich ein besserer Mensch, wenn man auf dem Rasenmäher­bulldog (mit Getränkeha­lter) einen veganen Pausensnac­k dabei hat? (Schlachtho­f, 17.3.)

Wie schnell man sich auf den Wecker gehen kann, davon erzählen die Herren Beier & Hang. Der eine – Max Beier – ist ein smarter Münchner Hamburger, der andere – David Hang – ein ewiger Grantler aus Niederbaye­rn. Blöd nur, dass sich ausgerechn­ete diese beiden eine WG teilen. Und dort wird so viel „Schmutzige Wäsche“gewaschen, wie der aktuelle Programmti­tel andeutet. (Heppel & Ettlich, 27.3.)

Etwas lernen kann man bekanntlic­h bei Sven Kemmler. Deswegen lohnt es sich, regelmäßig eine seiner „Englischst­unden“zu besuchen. Hier bekommt man Shakespear­es Werkzeug erklärt und blickt in Eminems Malkasten. Kemmler versteht sich dabei als Reiseleite­r auf dem gefährlich­en Weg in den Bedeutungs­dschungel und in die Aussprache­wüsten. Er selbst spricht fünf Dialekte und bis zu acht Akzente. Da sollte wenig schief gehen. (Hofspielha­us, 19.3.)

Bleibt zum Abschluss strahlende Wäsche, die man den Protagonis­ten mit Blicken von den wohlgeform­ten Leibern ziehen möchte. Evi & das Tier bringen in der Let’s Burlesque-Show mit ihrer Band The Glanz die Bühne zum Brennen. Sinnlich-sündige Lebensfreu­de, Musik und Erotik ist das explosive Gemisch. Gezündet wird es mit einem Schuss Wahnsinn. (Gasteig Carl-Orff-Saal, 20.3.)

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Aufruf zur Lasterhaft­igkeit: PATRIZIA MORESCO
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Federleich­t wonnig: BERNI WAGNER

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