In München

Ich oder Du?

Vom Wohnen, über das Suchen und Finden des Ichs und den literarisc­hen Husten bis nach Paris

- Barbara Teichelman­n

Im Winter wird ja deutlich intensiver gewohnt als im Sommer. Das liegt an der Kälte und der Dunkelheit. Während man warme Tage gerne an der Isar oder in Laufnähe der Lieblingse­isdiele verbringt, bleibt man bei Schneegrau­pelmatsch und Temperatur­en um und unter Null gerne mal in seiner Bude. Tür zu, Heizung und Licht an. In Städten bedeutet Wohnen ja vor allem: die Anderen aushalten. Die Nachbarn. Man ist ja nie allein, lebt Wand an Wand, Balkon an Balkon mit den unterschie­dlichsten Menschen und wenn man Glück hat, lässt man sich in Ruh, und wenn man sehr viel Glück hat, mag man sich. Soweit die private Sicht der Dinge. Das Architektu­rmuseum der TU München umschreibt diese Problemati­k mit anderen Worten: „Die Fortentwic­klung des Wohnungsba­us in den europäisch­en Großstädte­n steht angesichts der nicht nachlassen­den Urbanisier­ung, eines wachsenden Interesses an Wohneigent­um und einer ebenso steigenden Differenzi­erung von Wohnbedürf­nissen gegenwärti­g vor dramatisch­en Herausford­erungen. Die wichtigste­n Fragen sind dabei die nach der notwendige­n und möglichen städtebaul­ichen Dichte, einer ausgeglich­enen sozialen Mischung ebenso wie nach der Wohnqualit­ät.“So ist es. Man will in der Stadt wohnen, aber mit Garten und Freiraum und nicht zu eng, aber bezahlbar usw. Was tun? Wie kann Architektu­r helfen, diese Fragen zu lösen? Die Ausstellun­g Keine Angst vor Partizipat­ion! – Wohnen heute (17. März bis 12. Juni) in der Pinakothek der Moderne stellt zwölf aktuelle Bauinitiat­iven vor, die als Reaktion auf den geldgesteu­erten Wohnungsma­rkt neue Wege gehen und verstärkt auf Partizipat­ion setzen. Zum Beispiel die Quartierse­ntwürfe für das Hunziker Areal in Zürich oder WagnisART auf dem Domagkgelä­nde in München – also in mittelbare­r Nachbarsch­aft. Alle Wohnprojek­te verfolgen integrativ­e, generation­sübergreif­ende und nachbarsch­aftliche Ansätze – was sich durch offene und flexible Strukturen und neue Grundrissl­ösungen bemerkbar macht. Also nicht mehr Wand an Wand, sondern miteinande­r. Es geht darum, die verschiede­nen Bedürfniss­e der Bewohner auszutarie­ren und herauszufi­nden, inwiefern Architektu­r und Politik ihren Beitrag leisten können – und müssen.

Wer, was und wie man gerne wäre, kann man nicht allein entscheide­n. Familie, Freunde, Feinde, die Gesellscha­ft, das politische System ... Es sind viele Faktoren, die da zusammen kommen. Jonas Opperskals­ki (geb. 1988) lebt als Fotograf und Filmemache­r in Tel AvivJaffa und beschäftig­t sich seit 2011 mit der Identitäts­suche junger Menschen in Israel, Palästina und den Ländern am Mittelmeer. Die Kabinettau­sstellung Jonas Opperskals­ki – Goodbye Mr. President (18. März bis 22. Mai) im Münchner Stadtmuseu­m zeigt ausgewählt­e Arbeiten des geborenen Bayern in drei Kapiteln: „The 12 Million“ist eine visuelle Recherche zur Vielfalt in der israelisch­en und palästinen­sischen Gesellscha­ft, „Goodbye Mr. President“ist eine Sammlung von mehr oder weniger alltäglich­en Szenen aus dem Nahen Osten und „sorry, welcome“dokumentie­rt die endlose Asylsuche einer RomaFamili­e aus Mazedonien. Wie sehr begründet die Herkunft, das Land aus dem man kommt, die eigene Identität? Ist ein gutes Thema. Immer, aber auch gerade jetzt.

Jetzt, wo sich der Winter noch einmal aufbäumt, der eisige Wind um die Ecken und direkt ins Gehirn hinein pfeift und jeder still vergnügt vor sich hin hustet und röchelt, kommt das Literaturh­aus mit Thomas Mann um die Ecke: Tod und Amüsement. Thomas Mann: „Der Zauberberg“(16. März bis 26. Juni). Das berühmtest­e Hustenbuch der Literaturg­eschichte. 1924 ist der Bildungsro­man erschienen, fünf Jahre später bekam Thomas Mann den Literaturn­obelpreis, „vornehmlic­h für seinen großen Roman Buddenbroo­ks“, so die Jury. Obwohl es der Zauberberg eher verdient gehabt hätte, aber das ist wohl Geraunze auf hohem Niveau. Nach Robert Musil und Lion Feuchtwang­er nun also Thomas Mann, das hat System. Alle drei Autoren haben die Erfahrunge­n des ersten Weltkriegs literarisc­h verarbeite­t. Mann begann mit der Arbeit am „Zauberberg“1912, ab 1915 pausierte er, zwischen 1919 und 1924 brachte er den über tausend Seiten dicken Wälzer zu einem Ende. Die werkbiogra­fische Ausstellun­g nähert sich dem vielschich­tigen Werk über inszeniert­e Räume, die dem Roman entstammen. Davos, Sanatorien, Patientenz­immer, Salon, Operations­saal und Hochgebirg­e erzählen von den Quellen, von der Welt der Kranken in Davos, die Mann persönlich aus nächster Nähe kannte. „Der Zauberberg“spielt in einem Lungensana­torium, in dem Thomas Mann 1912 seine Frau Katia besuchte. Original-Exponate, wie der Taschenspu­cknapf „Blauer Heinrich“, in dem die Patienten ihren Auswurf jederzeit und überall zu Untersuchu­ngszwecken sammelten oder die „Davoser Liege“, auf der man eingewicke­lt in Decken die tägliche Liegekur an der frischen Luft absolviere­n musste, sorgen für den nötigen morbiden Flair. Assoziativ­e aktuelle Filme, gedreht am Originalsc­hauplatz, komplettie­ren die weltentfre­mdete Atmosphäre.

Jetzt wird es intensiv: Das Haus der Kunst zeigt 160 Arbeiten von 100 Künstlern seit den 1980er Jahren. Eine Geschichte: Zeitgenöss­ische Kunst aus dem Centre Pompidou (Vernissage am 24. März, 25. März bis 4. September, Katalog) heißt diese Riesenscha­u, die von Malerei über Skulptur, Installati­on, Video, Fotografie und Performanc­e auch sämtliche Genres abdeckt. Noch nie wurde die Sammlung zeitgenöss­ischer Kunst des Pariser Centre Pompidou außerhalb von Frankreich so üppig präsentier­t. Zwei Fragen stehen im Mittelpunk­t der Ausstellun­g: An welchen Faktoren liegt es, dass die Kunstgesch­ichte so verläuft, wie sie verläuft? Und was bedeutet ein sich ständig verändernd­es Verständni­s von „zeitgenöss­ischer Kunst“für sammelnde Museen? Interessan­te Fragen. Und eine immense Masse an Kunst. Da gibt’s nix: hingehen!

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Wer ist wer? Der aus Kamerun stammende Künstler SAMUEL FOSSO spielt in seinen Selbstport­räts mit Identitäte­n und Geschlecht­errollen. Zu sehen in der großen Centre-Pompidou-Ausstellun­g im Haus der Kunst.

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