Droben wie drunten
Perspektiven einer Sehnsuchtslandschaft in Kunst und Wissenschaft in der Eres-Stiftung
Über vier Jahrhunderte wissen wir jetzt schon, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt. Wir sind Teil eines Systems und nicht das System selbst. Trotzdem verhalten wir uns noch immer geozentrisch: Alles dreht sich um unsere Bedürfnisse. Immer noch und mehr denn je machen wir uns die Erde untertan und denken, dass alles, was da ist, da ist, um von uns benutzt, konsumiert und instrumentalisiert zu werden. So auch die Alpen. Wir besteigen und beklettern sie oder lassen uns vollelektrisch nach oben befördern und sausen runter, mit Helmkamera, Bikes, Skiern oder Schlitten. Wir benutzen sie als Projektionsfläche für unsere Sehnsuchtsphantasien und Freiheitsanfälle, um uns als Helden zu beweisen, als Sportgerät und als Investitionsobjekt. Oder wie Günter Aloys, Megahotelier in Ischgl sagt: „Der Berg muss funktionieren.“Und er funktioniert. Grausige AlcopopAprés-Events, leistungsbesessene SportHappenings und rotweißkarierter Retro-Trachtl-Wahnsinn bringen tausende von Touristen und Millionen Euros. Findige Eventmanager und 38.000 fleißige Schneekanonen arbeiten Tag und Nacht daran, die Alpen zum vergnügungssicheren Disneyland umzugestalten. Und wir? Wir wollen Skifahren. Oder wie Rainhard Fendrich singt: „Und wann der Schnee staubt, und wann die Sunn scheint, dann hob i olles Glick in mir vereint.“Mit Natur hat diese inszenierte Bergerlebniswelt nichts mehr zu tun. Aber wer jetzt anfängt, sich nach dem Echten, Wahrhaftigen zu sehnen, der muss schnell erkennen, dass das eine nostalgische Illusion ist. Was ist denn echt? Und wann hörte es auf, echt zu sein? Mit den Bergbauern? Davor? Dazwischen? Authentisch ist, was der Fall ist. Die Schneekanonen sind da. Also müssen wir uns damit auseinandersetzen. Der Südtiroler Fotograf Walter Niedermayr (geb. 1952) tut das und lädt uns dazu ein. Er porträtiert Schneekanonen im Sommer, die vergessen in der Gerölllandschaft herumstehen, angetan mit einem grauen Tarnkleid aus witterungsbeständigem Plastik. In großen Panoramaaufnahmen zeigt er uns ein Skigebiet im Sommer oder den sterbenden Rhonegletscher. Und obwohl er in seinen Bilder die Veränderungen dokumentiert, die wir Menschen bereits verursacht haben und weiter verursachen, sind seine Bilder nicht moralisch, noch pädagogisch. Sie beobachten, was da ist, wie es ist. Den Rest kann sich, wer möchte, selbst dazu denken. Diese entrückte, sachliche, fast schon theoretische Perspektive vereint die drei Künstler, die noch bis Ende April in der Ausstellung „snow future“in der Eres Stiftung zu sehen sind. Film, Fotografie, Malerei, Skulptur – das Spektrum ist weit gefächert. Philipp Messner (geb. 1975) – noch ein Südtiroler – lässt es schneien, in den Alpen und Anfang des Jahres auch in München, vor der Neuen Pinakothek. Der Schnee aus der Kanone ist bunt, eine Art Metaschnee. So wird unser Eingriff in die Natur sichtbar. Wie sähen die Skigebiete aus, wenn sämtlicher Schneekanonenauswurf bunt wäre? Schon verrückt, wie selbstverständlich wir den Kunstschnee als echt akzeptieren. Vor allem, um die eigene Illusion nicht zu stören. Auch der Maler Hansjoerg Dobliar (geb. 1970), er lebt und arbeitet in München und Berlin, beschäftigt sich mit fiktiven Landschaften. Aus geometrischen Formen und Farben komponiert er spontan flüchtige Bergpanoramen, die sich der Betrachter selbst zu einem Bild zusammensetzen muss. Ein abstraktes Spiel mit dem Berg als traditionellem Motiv in der Malerei. Ergänzt werden diese künstlerischen Positionen durch wissenschaftliche Fakten. Nach diesem Ausflug in die Berge hat man zwar keinen Muskelkater, aber jede Menge Gedanken im Rucksack.
Der Wald steht still und schweiget, während die Schneekanone die Natur einfärbt: Der Südtiroler Fotograf WALTER NIEDERMAYR fotografierte Philipp Messners Kunstschneeaktion bei Bozen.