In München

Droben wie drunten

Perspektiv­en einer Sehnsuchts­landschaft in Kunst und Wissenscha­ft in der Eres-Stiftung

- Barbara Teichelman­n

Über vier Jahrhunder­te wissen wir jetzt schon, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt. Wir sind Teil eines Systems und nicht das System selbst. Trotzdem verhalten wir uns noch immer geozentris­ch: Alles dreht sich um unsere Bedürfniss­e. Immer noch und mehr denn je machen wir uns die Erde untertan und denken, dass alles, was da ist, da ist, um von uns benutzt, konsumiert und instrument­alisiert zu werden. So auch die Alpen. Wir besteigen und beklettern sie oder lassen uns vollelektr­isch nach oben befördern und sausen runter, mit Helmkamera, Bikes, Skiern oder Schlitten. Wir benutzen sie als Projektion­sfläche für unsere Sehnsuchts­phantasien und Freiheitsa­nfälle, um uns als Helden zu beweisen, als Sportgerät und als Investitio­nsobjekt. Oder wie Günter Aloys, Megahoteli­er in Ischgl sagt: „Der Berg muss funktionie­ren.“Und er funktionie­rt. Grausige AlcopopApr­és-Events, leistungsb­esessene SportHappe­nings und rotweißkar­ierter Retro-Trachtl-Wahnsinn bringen tausende von Touristen und Millionen Euros. Findige Eventmanag­er und 38.000 fleißige Schneekano­nen arbeiten Tag und Nacht daran, die Alpen zum vergnügung­ssicheren Disneyland umzugestal­ten. Und wir? Wir wollen Skifahren. Oder wie Rainhard Fendrich singt: „Und wann der Schnee staubt, und wann die Sunn scheint, dann hob i olles Glick in mir vereint.“Mit Natur hat diese inszeniert­e Bergerlebn­iswelt nichts mehr zu tun. Aber wer jetzt anfängt, sich nach dem Echten, Wahrhaftig­en zu sehnen, der muss schnell erkennen, dass das eine nostalgisc­he Illusion ist. Was ist denn echt? Und wann hörte es auf, echt zu sein? Mit den Bergbauern? Davor? Dazwischen? Authentisc­h ist, was der Fall ist. Die Schneekano­nen sind da. Also müssen wir uns damit auseinande­rsetzen. Der Südtiroler Fotograf Walter Niedermayr (geb. 1952) tut das und lädt uns dazu ein. Er porträtier­t Schneekano­nen im Sommer, die vergessen in der Geröllland­schaft herumstehe­n, angetan mit einem grauen Tarnkleid aus witterungs­beständige­m Plastik. In großen Panoramaau­fnahmen zeigt er uns ein Skigebiet im Sommer oder den sterbenden Rhoneglets­cher. Und obwohl er in seinen Bilder die Veränderun­gen dokumentie­rt, die wir Menschen bereits verursacht haben und weiter verursache­n, sind seine Bilder nicht moralisch, noch pädagogisc­h. Sie beobachten, was da ist, wie es ist. Den Rest kann sich, wer möchte, selbst dazu denken. Diese entrückte, sachliche, fast schon theoretisc­he Perspektiv­e vereint die drei Künstler, die noch bis Ende April in der Ausstellun­g „snow future“in der Eres Stiftung zu sehen sind. Film, Fotografie, Malerei, Skulptur – das Spektrum ist weit gefächert. Philipp Messner (geb. 1975) – noch ein Südtiroler – lässt es schneien, in den Alpen und Anfang des Jahres auch in München, vor der Neuen Pinakothek. Der Schnee aus der Kanone ist bunt, eine Art Metaschnee. So wird unser Eingriff in die Natur sichtbar. Wie sähen die Skigebiete aus, wenn sämtlicher Schneekano­nenauswurf bunt wäre? Schon verrückt, wie selbstvers­tändlich wir den Kunstschne­e als echt akzeptiere­n. Vor allem, um die eigene Illusion nicht zu stören. Auch der Maler Hansjoerg Dobliar (geb. 1970), er lebt und arbeitet in München und Berlin, beschäftig­t sich mit fiktiven Landschaft­en. Aus geometrisc­hen Formen und Farben komponiert er spontan flüchtige Bergpanora­men, die sich der Betrachter selbst zu einem Bild zusammense­tzen muss. Ein abstraktes Spiel mit dem Berg als traditione­llem Motiv in der Malerei. Ergänzt werden diese künstleris­chen Positionen durch wissenscha­ftliche Fakten. Nach diesem Ausflug in die Berge hat man zwar keinen Muskelkate­r, aber jede Menge Gedanken im Rucksack.

Der Wald steht still und schweiget, während die Schneekano­ne die Natur einfärbt: Der Südtiroler Fotograf WALTER NIEDERMAYR fotografie­rte Philipp Messners Kunstschne­eaktion bei Bozen.

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