Nächster Halt: Kutteldaddeldudamm
Arm, aber sexy. Der Wowi-Selfie passt auch zum Berlin der 20er Jahre. „Die Stadt ist brutal, wild voller Erotik, Fleisch und Worte für Zartheit und Rohheit, Ratten und Dreck. Damit liegt Dichterin Nora Gomringer quasi auf einer Berlinie mit Joachim Ringelnatz. 1924 machte der Reimancier die Stadt zur Heldin seines Fetzenromans mit dem abgerissenen Titel. Berliner Romane. Für solche Wortmonst ... whoosh ... Viel zu schnell, diese Stadt, um sie gemütlich aufzufalten wie eine Zeitung. Ein Stadtporträt also im Rhythmus der vorbeirasenden Dialoge und Szenen. Da muss sich der Autor ganz schön reinhängen, um den Figuren zu folgen, die sich durch diese Stadt bewegen. Er wird zum Schattenmann, der mit hochgestelltem Kragen von Ecke zu Ecke eilt. Ein Künstler in dieser Stadt ist zuallererst Überlebenskünstler. Wie Möchtegern-Schriftsteller Gustav Gastein (Florian Lukas), der das lebt, was er aufschreiben müsste. „Man torkelt weiter, im Berliner Größenwahn neigen sich verschrobene Stirnen, grüßen Hüte flüchtig und geheimniseinig. Man gerät nach Polizeistunde in verbotene Bars, die nur eingeweihten Gentlemännern sich nach Geheimsignal auftun und wo tanzende Nacktissen, siedende Musik, einem unvermerkt teuren schlechten Sekt einflößen. Denn das geknechtete Berlin schlemmt und tanzt, wie man in Paris tanzte vor dem Geköpftwerden. Der Sound macht die Stadt zur Großstadt. Zur selbstironischen Größenwahnstadt. Also rin ins Klangspielhaus, reinlauschen, wie sich Gustav an die Tippmamsell Nuscha ranmacht, stellvertretend für seinen Kumpel Deeters, der „wird mal ein berühmter Maler. Mira Partecke zieht so euphorisch, kokett, naiv, aufgeweckt an Nuschas Spielfäden, dass man sie sofort entführen möchte. Nicht wie ein Taschenspieler. Im großen Kinostil, versteht sich. Vielleicht wie Dustin Hoffman die Tochter von Mrs. Robinson in Die Reifeprüfung. Allein die Szene, in der Gustav sie auffordert, auf den Stuhl zu steigen, hat Ohrwurmformat. Nuscha: „Nein, du willst nur meine Beine sehen. Gustav: „Warum auch nicht. Kuck dir einmal die Straße auf Beine an. So wunderbar zeigt sich die Welt den Hunden. Bis man einen Plan hat, ist die Geschichte längst um die nächste Ecke.
Joachim Ringelnatz: ... liner Roma ...; Hörspiel von Thomas Gerwin mit Florian Lukas, Wanja Mues, Lena Stolze u. a., 1 CD, ca. 55 Min., RBB 2015, www.hoerverlag.de