Ein Ausmistungsdilemma
Sieben Platten von Charlie Rich
Der jährliche Versuch, den Plattenbestand zu reduzieren und wenig genutztes Vinyl endlich in die Flohmarktkiste zu schmettern, ist jäh zum Erliegen gekommen. Der Grund war eine erstaunliche Entdeckung: In meinem Besitz befinden sich ganze sieben Charlie-Rich-Platten, obwohl nur eine davon so richtig gut ist. Es gibt über Charlie Rich eine hübsche Geschichte: Bei der Verleihung eines Country-Preises öffnet er den Umschlag, liest, zückt das Feuerzeug und steckt den Zettel in Brand. Dann sagt er immerhin noch: „My friend John Denver“Das kann man nun deuten wie man will. Er war also höchstwahrscheinlich ein lässiger Typ und sicherlich ein guter bis großartiger Interpret, ja, in den späten Sechzigern fast der bessere Elvis, weil halt einfach weniger blöd und verfressen, und Klavier spielen hat er auch noch können. 1958, also erst nach Elvis oder Jerry Lee Lewis, ist Rich zu Sun-Records geraten, um dort den etwas entspannteren Rock’n’Roll aufzunehmen. Meist eher mittelerfolgreich hat er häufig die Labels gewechselt, wobei ihm die Aufmotzung durch süßliche Chöre und Streicher manches Lied verhunzt hat. Bei „Lonely Weekends“hört sich’s noch gut an, aber z. B. bei der ersten Version von „Sittin and Thinkin“muss man sich erst eingewöhnen, um diesen eigentlich grandiosen Gefängnis-Song zu würdigen. Immer wieder aber erwies sich Rich als ziemlich gut bis großartig. Blues, Soul-Schieber, angenehm reduzierter Country – das waren seine Spezialitäten. Da gibt es zum Beispiel eine Version von Jimmy Reeds „Big Boss Man“, Liebeskummer-Soul wie „Another Place That I Can’t Go“oder die feine MidTempo-Nummer „Midnight Blues“. Die größten Hits waren allerdings erst jene, die Rich zum Star der abstrusen Country-Szene gemacht haben: „Behind closed doors“und „The Most Beautiful Girl In The World“Und die gehen ja noch. Auf vielen Rich-Platten findet sich Schlimmeres. Das Blöde an den Platten ist die Unausgegorenheit, denn kaum hat man sich einer schönen Soulnummer erfreut, muss man die Lautstärke runterschrauben, weil wieder dieser Chor wuiselt oder die Streichersoße aus den Boxen pritschelt. Man nehme zum Beispiel She Loved Everybody But Me, als LP eh eine Unverschämtheit, weil nur neun kurze Stücke drauf sind, aber mei. Eine Seite beginnt mit Fats Wallers „Gonna Sit Right Down And Write Myself A Letter“und sowas kann der Herr Rich sehr gut: Countryfizierter Jazz. Aber dann wird’s gleich grausliger, Lieder wollen dringend übersprungen und die Platte schleunigst rumgedreht werden. Es muss doch mal möglich sein, vier, fünf gute Aufnahmen hintereinander zu hören! Bei Mohair Sam klappt das auch nicht, obwohl da das Titelstück gar so nett ist. The Coasters oder Kitty, Daisy & Lewis haben es mal gecovert, doch von Rich stammt die Hit-Aufnahme. Und nach diesem Auftakt erfolgt sogar eine fulminante Zweitversion von „Lonely Weekends“, sehr schwungreich unterstützt von einem Bariton-Saxophon. Danach jedoch kommen überproduzierte Schnulzen, sowie halbscharige Tanznummern, und die B-Seite ist ähnlich konsequent vermurkst. Je später die Aufnahmen entstanden sind, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass die LPs auf voller Länge Freude machen. The Most Beautiful Girl, ein überwiegend schmieriges Album, landet deshalb zunächst bei der Flohmarktware: Das interessanteste Stück –„I Take it on home“ist ja auch auf Best of Charlie Rich zu hören, leider aber nur in der langweiligeren Version, wie sich beim Vergleichshören herausstellt. Die „Best of“hätte darum und wegen einer schrecklichen A-Seite Verbannung verdient, doch leider sind da auch
„July 12, 1939“und „Big Boss Man“drauf. Es bleibt also schwierig.
Dann hätten wir noch Lonely Weekends und The Sun Story Vol.2. Charlie Rich,beides Sampler vom sonnigen Frühwerk des Künstlers. Es gibt jeweils viele Köstlichkeiten, aber auch Schmarrn und zudem mehrere Doppelungen. Wenigstens eine LP sollte also weichen. Das Sonnencover fleht ja schon um Aussortierung, aber bei der anderen Platte fragt man sich dann schon, wo denn in Memphis bitte dieser Strand sein soll. Ausserdem findet sich auf der ersten der „Midnight Blues“in seiner schönsten Version, auf der anderen wiederum „Who will the next fool be“.
Die erschütternde Problematik dieses Ausmistungsdilemmas dürfte an dieser Stelle jedem Leser klar geworden sein. Dennoch soll hier nicht die rühmliche Ausnahme vergessen werden. Eines weiß man ja schon aus dem Kindergarten oder der Halle 2: Platten von Hi-Records kann man bedenkenlos kaufen. Und weil Herr Rich ja kurz für Hi aufgenommen hat, gibt es immerhin I’ll Shed No Tears, die Platte, die auf keinen Fall am Flohmarkt endet. Jaja, ein, zwei Schnulzen auf der B-Seite schwappen auch ins Schlimme, aber die Hank WilliamsStücke sind sehr hübsch und die ASeite sehr gelungen. Die Chöre klingen gospelerprobt, und die Musikanten aus Memphis sind Genreüberschreitungen hörbar gewöhnt, drum bietet Charlie Rich hier mal fast durchweg tadellosen Country-Soul. Also na gut, so lange sich keine richtig gute, möglichst doppelte Platte findet, die alle hervorragenden Charlie-Rich-Meisterwerke bündelt und dabei sülzige Schlager, überladenen Country und halbinspirierte Standards weglässt, so lange dürfen erst mal alle sieben Platten noch im Schrank bleiben. Verdammt.