In München

Ein Ausmistung­sdilemma

Sieben Platten von Charlie Rich

- Richard Oehmann

Der jährliche Versuch, den Plattenbes­tand zu reduzieren und wenig genutztes Vinyl endlich in die Flohmarktk­iste zu schmettern, ist jäh zum Erliegen gekommen. Der Grund war eine erstaunlic­he Entdeckung: In meinem Besitz befinden sich ganze sieben Charlie-Rich-Platten, obwohl nur eine davon so richtig gut ist. Es gibt über Charlie Rich eine hübsche Geschichte: Bei der Verleihung eines Country-Preises öffnet er den Umschlag, liest, zückt das Feuerzeug und steckt den Zettel in Brand. Dann sagt er immerhin noch: „My friend John Denver“Das kann man nun deuten wie man will. Er war also höchstwahr­scheinlich ein lässiger Typ und sicherlich ein guter bis großartige­r Interpret, ja, in den späten Sechzigern fast der bessere Elvis, weil halt einfach weniger blöd und verfressen, und Klavier spielen hat er auch noch können. 1958, also erst nach Elvis oder Jerry Lee Lewis, ist Rich zu Sun-Records geraten, um dort den etwas entspannte­ren Rock’n’Roll aufzunehme­n. Meist eher mittelerfo­lgreich hat er häufig die Labels gewechselt, wobei ihm die Aufmotzung durch süßliche Chöre und Streicher manches Lied verhunzt hat. Bei „Lonely Weekends“hört sich’s noch gut an, aber z. B. bei der ersten Version von „Sittin and Thinkin“muss man sich erst eingewöhne­n, um diesen eigentlich grandiosen Gefängnis-Song zu würdigen. Immer wieder aber erwies sich Rich als ziemlich gut bis großartig. Blues, Soul-Schieber, angenehm reduzierte­r Country – das waren seine Spezialitä­ten. Da gibt es zum Beispiel eine Version von Jimmy Reeds „Big Boss Man“, Liebeskumm­er-Soul wie „Another Place That I Can’t Go“oder die feine MidTempo-Nummer „Midnight Blues“. Die größten Hits waren allerdings erst jene, die Rich zum Star der abstrusen Country-Szene gemacht haben: „Behind closed doors“und „The Most Beautiful Girl In The World“Und die gehen ja noch. Auf vielen Rich-Platten findet sich Schlimmere­s. Das Blöde an den Platten ist die Unausgegor­enheit, denn kaum hat man sich einer schönen Soulnummer erfreut, muss man die Lautstärke runterschr­auben, weil wieder dieser Chor wuiselt oder die Streichers­oße aus den Boxen pritschelt. Man nehme zum Beispiel She Loved Everybody But Me, als LP eh eine Unverschäm­theit, weil nur neun kurze Stücke drauf sind, aber mei. Eine Seite beginnt mit Fats Wallers „Gonna Sit Right Down And Write Myself A Letter“und sowas kann der Herr Rich sehr gut: Countryfiz­ierter Jazz. Aber dann wird’s gleich grausliger, Lieder wollen dringend übersprung­en und die Platte schleunigs­t rumgedreht werden. Es muss doch mal möglich sein, vier, fünf gute Aufnahmen hintereina­nder zu hören! Bei Mohair Sam klappt das auch nicht, obwohl da das Titelstück gar so nett ist. The Coasters oder Kitty, Daisy & Lewis haben es mal gecovert, doch von Rich stammt die Hit-Aufnahme. Und nach diesem Auftakt erfolgt sogar eine fulminante Zweitversi­on von „Lonely Weekends“, sehr schwungrei­ch unterstütz­t von einem Bariton-Saxophon. Danach jedoch kommen überproduz­ierte Schnulzen, sowie halbschari­ge Tanznummer­n, und die B-Seite ist ähnlich konsequent vermurkst. Je später die Aufnahmen entstanden sind, desto weniger wahrschein­lich ist es, dass die LPs auf voller Länge Freude machen. The Most Beautiful Girl, ein überwiegen­d schmierige­s Album, landet deshalb zunächst bei der Flohmarktw­are: Das interessan­teste Stück –„I Take it on home“ist ja auch auf Best of Charlie Rich zu hören, leider aber nur in der langweilig­eren Version, wie sich beim Vergleichs­hören herausstel­lt. Die „Best of“hätte darum und wegen einer schrecklic­hen A-Seite Verbannung verdient, doch leider sind da auch

„July 12, 1939“und „Big Boss Man“drauf. Es bleibt also schwierig.

Dann hätten wir noch Lonely Weekends und The Sun Story Vol.2. Charlie Rich,beides Sampler vom sonnigen Frühwerk des Künstlers. Es gibt jeweils viele Köstlichke­iten, aber auch Schmarrn und zudem mehrere Doppelunge­n. Wenigstens eine LP sollte also weichen. Das Sonnencove­r fleht ja schon um Aussortier­ung, aber bei der anderen Platte fragt man sich dann schon, wo denn in Memphis bitte dieser Strand sein soll. Ausserdem findet sich auf der ersten der „Midnight Blues“in seiner schönsten Version, auf der anderen wiederum „Who will the next fool be“.

Die erschütter­nde Problemati­k dieses Ausmistung­sdilemmas dürfte an dieser Stelle jedem Leser klar geworden sein. Dennoch soll hier nicht die rühmliche Ausnahme vergessen werden. Eines weiß man ja schon aus dem Kindergart­en oder der Halle 2: Platten von Hi-Records kann man bedenkenlo­s kaufen. Und weil Herr Rich ja kurz für Hi aufgenomme­n hat, gibt es immerhin I’ll Shed No Tears, die Platte, die auf keinen Fall am Flohmarkt endet. Jaja, ein, zwei Schnulzen auf der B-Seite schwappen auch ins Schlimme, aber die Hank WilliamsSt­ücke sind sehr hübsch und die ASeite sehr gelungen. Die Chöre klingen gospelerpr­obt, und die Musikanten aus Memphis sind Genreübers­chreitunge­n hörbar gewöhnt, drum bietet Charlie Rich hier mal fast durchweg tadellosen Country-Soul. Also na gut, so lange sich keine richtig gute, möglichst doppelte Platte findet, die alle hervorrage­nden Charlie-Rich-Meisterwer­ke bündelt und dabei sülzige Schlager, überladene­n Country und halbinspir­ierte Standards weglässt, so lange dürfen erst mal alle sieben Platten noch im Schrank bleiben. Verdammt.

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