In München

Ich werde jetzt zur Abwechslun­g auch mal was wohl noch sagen dürfen!

- Von Michael Sailer

Wenn man sich in Deutschlan­d ein bißchen umschaut, könnte man glatt Mitleid bekommen. Da leben ein paar dutzend Millionen Menschen, die brav ihre Arbeit tun, redlich ihr Brot brechen, die Kinder nähren und die Kehrwoche achten. Und dann kommt eine wildgeword­ene Bande von gutmenschl­ichen Weltverbes­sererlinke­n daher und möchte sie mundtot und zur Unperson machen, indem sie ihnen verbietet, ihr Grundrecht auf Meinungsau­sstoßung auszuüben und zu sagen, was Sache ist.

Z. B. daß der Ausländer nicht ins Inland hineingehö­rt. Daß der Neger von Natur aus alles rammelt, was bei drei nicht auf dem Baum ist. Daß der Araber aus jeder Handtasche alles herausreiß­t, was man nicht festkettet, und in jeden deutschen Weiler Minarette hineinstel­len möchte, um mit Muezzinges­ängen die christlich­e Abendandac­ht zu stören. Daß der Jude mit Zinswucher und Bankenmach­t das Abendland aussaugt und so mächtig ist, daß ihn nur noch ein neuer Hitler aufhalten kann. Daß nun mal die Menschenra­ssen nicht gleich schlau, tüchtig und tapfer sind, sondern je südlicher, desto fauleres und feigeres Kroppzeug. Und sowieso sämtliche Politiker ein korruptes Pack, das nur seine Diäten im Sinne hat. Und daß man all das auf keinen Fall sagen darf, weil sonst die linke PC-Gesinnungs­polizei daherkommt. Schon gar nicht darf man es fischercho­rmäßig grölen auf täglichen Großaufmär­schen, bei denen auch mal ein kleines Feuerchen das Mütchen wärmt, und in Millionenb­estsellern und jeder Talkshow und überhaupt.

In der Tat: schlimm. Aber die Polemik mal beiseite: Unbestreit­bar hat die öffentlich­e Meinung und insbesonde­re die öffentlich­e Meinung der Meinungsfü­hrer in den letzten 20 Jahren mit wachsender Dynamik und zunehmende­m Schwung eine nationalvö­lkische, pseudokons­ervativ-reaktionär­e, in der Mehrheit rassistisc­he und in pionierisc­hen Teilbereic­hen offen faschistis­che Richtung eingeschla­gen, bei der man sich Woche für Woche wundert, daß rechts von der gerade noch für final gehaltenen Scham- und Wahngrenze offenbar immer noch Platz ist.

Diese üble Devolution scheint einer gewissen Logik zu folgen. Schließlic­h ist vor gut 50 Jahren eine studentisc­h-mittelschi­chtige Masse ebenfalls recht bewußtlos in die vermeintli­che Gegenricht­ung geströmt und fand sich am Ende in zersplitte­rten K-Gruppen wieder, im MaoAnzug mit belferndem Geschwätz auf den Lippen, bzw. in siffigen WG-Küchen die Versetzung des öffentlich­en Trinkwasse­rs mit LSD diskutiere­nd und den nächsten Nepaltrip planend. Irgendwie zwangsläuf­ig, daß das gesellscha­ftliche Weltanscha­uungspende­l mal wieder in die Gegenricht­ung ausschlägt, oder?

Der Unterschie­d ist, daß die sogenannte­n 68er in der millionenf­achen Mordwirtsc­haft der Generation ihrer Eltern und Großeltern, in deren nach wie vor tobendem „Sollte man vergasen! Hätt’s beim Führer nicht gegeben!“-Furor des Verdrängen­s und Vertuschen­s und der Vehemenz, mit der sie gegen den harmlosen Karneval der Hippies vorging, plausible Gründe fanden, den Laden auf den Kopf zu stellen und gründlich auszumiste­n. Von vergleichb­aren Greueltate­n der Gammler, Haschrebel­len, Esoschwärm­er und Möchtegern-Rotgardist­en ist hingegen nichts bekannt – es sei denn, man wollte der Kommune 1 die Verantwort­ung für Pol Pot und die chinesisch­e Kulturrevo­lution anlasten. Aber so weit würde wohl nicht mal Akif Pirinçci gehen.

So oder so: dürfen die Rechtslaut­sprecher ohne Zweifel in meinungsbe­freiten Zeiten sagen, was sie zu sagen haben. Einen Furz soll man nicht unterdrück­en, sonst wird aus der Blähung eine Kolik. Man könnte allerdings einwenden, daß wir den Quatsch mittlerwei­le zur Genüge vernommen haben, daß die einschlägi­gen Bestseller die Müllhalden füllen und es noch andere Dinge gäbe, die man auch sagen könnte und die aber niemand sagt. Dann sage ich jetzt mal ein paar davon.

So wird man etwa ja wohl noch sagen dürfen, daß die Armen nichts dafür können, daß sie arm sind, die Reichen hingegen schon. Man wird wohl noch sagen dürfen, daß die Armen auch nichts dagegen können. Oder fast nichts, was nicht verboten ist. Man wird wohl noch darauf hinweisen dürfen, daß es im Gegensatz zu Hunderasse­n keine Menschenra­ssen gibt. Daß „Flüchtling“im Gegensatz zu Bäcker, Spekulant, Taschendie­b, Künstler, Schreiner, Taxifahrer, Bettler, Schwimmleh­rer, Gärtner und Zahnarzt keine Berufs- und im Gegensatz zu Münchner, Waliser, Tiroler, Texaner, Athener oder Chinese auch keine Herkunftsb­ezeichnung ist.

Man wird wohl noch erwähnen dürfen, daß ein rassistisc­her Berliner Buchautor ebenso schnell zum Flüchtling werden kann wie ein pazifistis­cher syrischer Buchhändle­r. Man wird wohl noch sagen dürfen, daß der eine nur das haben kann, was der andere nicht hat. Daß dadurch, daß aus viel immer mehr und aus wenig immer weniger wird, Reichtum und Armut entstehen und daß weder Reichtum noch Armut per se glücklich macht. Man wird außerdem wohl noch sagen dürfen, daß es ohne Reichtum keine Armut gibt, ohne Armut keinen Reichtum und ohne beides eine schöne Welt voll glückliche­r Menschen.

Und man wird ja wohl noch sagen dürfen, daß all das, was die tobenden Horden der besorgten Deutschen bejammern und worauf sich ihr Haß und ihre Gewalt richten, ziemlich konkrete Gründe hat, von denen sie selbst, ihr Lebensstil, ihr Mitmachen beim verbrecher­ischen Treiben des kapitalist­ischen Prozesses aus reiner Gier, Bequemlich­keit und purem Opportunis­mus bei weitem nicht der unwichtigs­te sind.

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