Wenn der Glaube nicht mehr hilft
Er hat seine ganz eigenen Vorstellungen von gelebter Religion, von dem, was der „wahre Glaube“ist, das bringt Familienvater William in Konflikt mit seiner puritanischen Gemeinschaft im Neuengland des Jahres 1630. So muss er diese verlassen, um mit seiner Frau und seinen fünf Kindern, der fünfzehnjährigen Thomasin, Sohn Caleb, den Zwillingen Mercy und Jonas sowie dem Baby Samuel in der Wildnis am Rande eines Waldes seinen eigenen, kleinen Hof zu errichten. Doch von diesem Wald scheint ein unheilvoller Einfluss auszugehen: als Thomasin für einen kurzen Moment ihre Augen bedeckt, verschwindet das Baby auf unerklärliche Weise. Kein Wunder, dass Thomasin, zumal von der Mutter, verantwortlich gemacht wird für all das noch kommende Unheil, kein Wunder, wenn man das Wort ‚Sünde’ (sin) schon im Namen trägt. Bei Tisch klagt die Mutter sie an, für das Verschwinden ihrer silbernen Tasse verantwortlich zu sein – der Vater bleibt stumm, obwohl er es doch besser weiß. Mehr und mehr wenden sich die Familienmitglieder gegeneinander, verdächtigen sich die Kinder gegenseitig, mit dem Teufel im Bunde zu sein. Wahn, Halluzinationen, schließlich Besessenheit greifen immer mehr um sich, der Tod hält Einzug. Mit „The Witch“ist dem Debütanten Robert Eggers ein erstaunlicher Film gelungen. Selbst in Neuengland aufgewachsen, hat Eggers (Jahrgang 1983) Theater und Kurzfilme gemacht und war als Production Designer für einige Filme tätig, darunter für den atmosphärisch ähnlich dichten „Yellowbrickroad“, der vor einigen Jahren auf dem Fantasy Film Fest lief. Mehr noch als im vergangenen Jahr bei „It Follows“kommt hier der Schrecken auf leisen Sohlen: Dazu tragen die Tonebene bei (für die Musik wurden zeitgenössische Instrumente verwendet), der verhaltene Rhythmus und die gedämpften Farben. Die lassen das Rot umso mehr hervortreten, beginnend mit der ersten Menstruation von Thomasin: „The Witch“ist nicht zuletzt ein Film über Unterdrückung und Selbstermächtigung. „The Witch“, im Original mit dem Untertitel ‚A New England Folktale’ versehen, spielt sechs Jahrzehnte vor den historischen Hexenprozessen, die etwa Arthur Miller in seinem – mehrfach verfilmten – Bühnenstück „Hexenjagd“thematisierte, mit einer Parallele zum Klima der Denunziation im Amerika der McCarthy-Ära. In Eggers’ Film wird das Drama im Mikrokosmos einer Familie angesiedelt. Befeuert durch den rigorosen Glauben, unter dessen Bannfluch vor allem die Eltern stehen, zerstört sich diese Familie, der Hexenglaube fungiert dabei eher als Katalysator, die kurzen Momente, in denen Hexen auftreten, wirken durch ihre verknappten Montagen wie Halluzinationen. Und wenn sich am Ende diese Ambivalenz zugunsten von Eindeutigkeit aufzulösen scheint, dürfte das eine vorschnelle Schlussfolgerung sein. Man kann sich die letzten Bilder auch als Fantasie von Thomasin vorstellen oder aber als ihr real gewordenes Wünschen. Womit das Positive, Befreiende akzentuiert würde in der Figur der Hexe, als Gegensatz zu der engstirnigen Lebensauffassung der Puritaner, als Bekräftigung weiblicher Macht und Sexualität. „The Witch“sollte man sich möglichst in der Originalfassung anschauen, denn für die tiefe und kraftvolle Stimme des Vaters hat sich die deutsche Synchronfassung leider nicht um eine Entsprechung bemüht.