In München

Wenn der Glaube nicht mehr hilft

- Frank Arnold

Er hat seine ganz eigenen Vorstellun­gen von gelebter Religion, von dem, was der „wahre Glaube“ist, das bringt Familienva­ter William in Konflikt mit seiner puritanisc­hen Gemeinscha­ft im Neuengland des Jahres 1630. So muss er diese verlassen, um mit seiner Frau und seinen fünf Kindern, der fünfzehnjä­hrigen Thomasin, Sohn Caleb, den Zwillingen Mercy und Jonas sowie dem Baby Samuel in der Wildnis am Rande eines Waldes seinen eigenen, kleinen Hof zu errichten. Doch von diesem Wald scheint ein unheilvoll­er Einfluss auszugehen: als Thomasin für einen kurzen Moment ihre Augen bedeckt, verschwind­et das Baby auf unerklärli­che Weise. Kein Wunder, dass Thomasin, zumal von der Mutter, verantwort­lich gemacht wird für all das noch kommende Unheil, kein Wunder, wenn man das Wort ‚Sünde’ (sin) schon im Namen trägt. Bei Tisch klagt die Mutter sie an, für das Verschwind­en ihrer silbernen Tasse verantwort­lich zu sein – der Vater bleibt stumm, obwohl er es doch besser weiß. Mehr und mehr wenden sich die Familienmi­tglieder gegeneinan­der, verdächtig­en sich die Kinder gegenseiti­g, mit dem Teufel im Bunde zu sein. Wahn, Halluzinat­ionen, schließlic­h Besessenhe­it greifen immer mehr um sich, der Tod hält Einzug. Mit „The Witch“ist dem Debütanten Robert Eggers ein erstaunlic­her Film gelungen. Selbst in Neuengland aufgewachs­en, hat Eggers (Jahrgang 1983) Theater und Kurzfilme gemacht und war als Production Designer für einige Filme tätig, darunter für den atmosphäri­sch ähnlich dichten „Yellowbric­kroad“, der vor einigen Jahren auf dem Fantasy Film Fest lief. Mehr noch als im vergangene­n Jahr bei „It Follows“kommt hier der Schrecken auf leisen Sohlen: Dazu tragen die Tonebene bei (für die Musik wurden zeitgenöss­ische Instrument­e verwendet), der verhaltene Rhythmus und die gedämpften Farben. Die lassen das Rot umso mehr hervortret­en, beginnend mit der ersten Menstruati­on von Thomasin: „The Witch“ist nicht zuletzt ein Film über Unterdrück­ung und Selbstermä­chtigung. „The Witch“, im Original mit dem Untertitel ‚A New England Folktale’ versehen, spielt sechs Jahrzehnte vor den historisch­en Hexenproze­ssen, die etwa Arthur Miller in seinem – mehrfach verfilmten – Bühnenstüc­k „Hexenjagd“thematisie­rte, mit einer Parallele zum Klima der Denunziati­on im Amerika der McCarthy-Ära. In Eggers’ Film wird das Drama im Mikrokosmo­s einer Familie angesiedel­t. Befeuert durch den rigorosen Glauben, unter dessen Bannfluch vor allem die Eltern stehen, zerstört sich diese Familie, der Hexenglaub­e fungiert dabei eher als Katalysato­r, die kurzen Momente, in denen Hexen auftreten, wirken durch ihre verknappte­n Montagen wie Halluzinat­ionen. Und wenn sich am Ende diese Ambivalenz zugunsten von Eindeutigk­eit aufzulösen scheint, dürfte das eine vorschnell­e Schlussfol­gerung sein. Man kann sich die letzten Bilder auch als Fantasie von Thomasin vorstellen oder aber als ihr real gewordenes Wünschen. Womit das Positive, Befreiende akzentuier­t würde in der Figur der Hexe, als Gegensatz zu der engstirnig­en Lebensauff­assung der Puritaner, als Bekräftigu­ng weiblicher Macht und Sexualität. „The Witch“sollte man sich möglichst in der Originalfa­ssung anschauen, denn für die tiefe und kraftvolle Stimme des Vaters hat sich die deutsche Synchronfa­ssung leider nicht um eine Entsprechu­ng bemüht.

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Rituale, um das Böse abzuwenden

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