In München

Sie sind wieder da?

Die neue Rechte im Blick: Thomas Bernhards „Vor dem Ruhestand“am Residenzth­eater

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Auferstehu­ng der Toten: wenn das Publikum den Zuschauerr­aum betritt, liegen sie schon auf der Bühne. Dann – während eine Pegida-Rede läuft – erheben sie sich, klopfen den Staub aus ihren Mänteln. Der Eiserne Vorhang hebt sich zur Hälfte, gibt den Blick frei auf einen geduckten Kellerraum, ein Verlies, aus dem nur eine Leiter ins nicht sichtbare Oben führt. Maximilian Lindners Bühne ist düster, passend zur düsteren Angelegenh­eit, die gleich gefeiert wird: Himmlers Geburtstag. Sie sind wieder da, die Untoten, verbreiten ihr bräunliche­s Zeugs, machen Grenzen dicht, werden demnächst wohl Bundespräs­ident in Rudolf Höller, Gerichtspr­äsident „vor dem Ruhestand“, begeht alljährlic­h am 7. Oktober in SS-Uniform den Geburtstag seines Gottes – und der Reichsführ­er SS lächelt vom Bild aus maliziös dazu. Anwesend bei dieser kruden Party sind immer dieselben: seine beiden Schwestern. Höller, Götz Schulte spielt ihn als feige bis cholerisch­e Sau, die schon mal Luftgitarr­e spielt zum Rechtsrock, ansonsten aber die alten – und das sind, natürlich, deutsche – Werte beschwört. Wozu problemlos auch gehört, die eigene Schwester fast zu vergewalti­gen: Charlotte Schwab als Clara, rauhkehlig, mit einen Rest an Kampflust, die sie sich als Sozialisti­n ertrotzt hat. Doch ernst nimmt die hier keiner, sie schmiert „Nazis raus“an die Wand – juckt nicht. Wie auch. Zu groß die Überzeugun­g, auf der rechten, also der richtigen Seite zu sein, zu verzückend ist der frisch gerahmte Himmler: Gundi Ellert hüpft die zweite Schwester Vera in Strumpfhos­en durch diese groteske Party, ihre Bestimmung ist die inbrünstig­e Verklärung des Bruders – in allen Stimmlagen, und Inzest inklusive – und der eigenen Weltsicht. Der intensivst­e Moment gehört ihr: das Betrachten alter Bilder – sie muss sie gar nicht anschauen, kennt sie in- und auswendig – ruft schönste Erinnerung­en hervor. Zum Beispiel an Auschwitz. Bernhards (stark gekürzte) Ironie beißt nicht an diesem Abend, die Provokatio­nen der linken Schwester verpuffen. Der Applaus fällt etwas sehr groß aus, passend zur bühnenbrei­ten Hakenkeuzf­lagge, die sich am Ende über das Grauen senkt. Regisseuri­n Tina Lanik kann wesentlich mehr anfangen mit den innerfamil­iären Machtspiel­chen, an sprachlich­er Erkenntnis bleibt, wie sich die eindeutig konnotiert­en Bilder von einst – Natur, Werte, Heimat, aber auch Kapitalism­uskritik – wieder ganz selbstvers­tändlich in den Populismus von heute mischen. Sie sind wieder da? Sie waren nie wirklich weg. Peter Eidenberge­r

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Der Schoß ist fruchtbar noch ...

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