In München

Lese-Abenteuer, textilfrei und hautnah

Existenzie­lle Mysteriens­piele, nächtliche­s Grauen und erfrischen­d unzeitgemä­ße Spaziergän­ge in Eis und Schnee

- Rupert Sommer

Eine beklemmend­e Vorstellun­g: Ausgerechn­et Hauptkommi­ssarin Toni Stieglitz muss sich verstecken. Niemand in der Stadt darf wissen, wo sie wohnt. Sie will sich vor ihrem Freund Mike verkrieche­n, von dem sie sich gerade getrennt hat. Mike hat sie geschlagen, doch er ist selbst Polizist. Tonis Kollegen dürfen davon nichts erfahren. Doch dann stößt sie auf eine unheimlich­e Mordserie mitten in München. Mehrere Frauen wurden brutal umgebracht. Und vor ihrem Versteck entdeckt Toni immer wieder diesen rätselhaft­en Schatten, der sie auf Schritt und Tritt verfolgt. Manuela Obermeier schöpft in ihrem neuen Krimi „Verletzung“aus den Vollen. Sie ist selbst Polizeihau­ptkommissa­rin. Sie weiß, worüber sie schreibt. (Muffatcafé, 20.5.)

Auch der Journalist Korbinian Lallinger kennt sich aus: Er ist ebenfalls Münchner und hat sich eigentlich auf die nur alle vier Jahre stattfinde­nde Landshuter Hochzeit gefreut. Die Stimmung ist festlich aufgekratz­t, doch ein Schatten fällt über die Niederbaye­rnMetropol­e: Eine rechtsextr­eme Kameradsch­aft macht lautstark Stimmung gegen Ausländer. „Böse sind die anderen“ heißt Markus Flexeders neuer Krimi. Und man wird selbst prüfen müssen, wie doppelsinn­ig er das meint. (Buch in der Au, 12.5.)

Mit den letzten Dingen und der Grausamkei­t der Welt hat sich – auf einer latent abgehobene­n, poetischen Ebene – zuletzt auch der weltgrößte Nuschler beschäftig­t. Heinrich Detering, der sich als Lyriker, Übersetzer und Literaturw­issenschaf­tler jahrelang mit Bob Dylan beschäftig­t hat und ihm auch eine Monographi­e widmete, analysiert das Spätwerk des US-Barden, das – Kenner wissen das – mit „Love and Theft“(2001) begann. Einen Tag vor Dylans 75. Geburtstag nimmt uns Detering an die Hand und führt uns in die Mysteriens­piele ein. „Bei Dylan hat Ovid den Blues“, ist sich Detering sicher. (Lyrik Kabinett, 23.5.)

Punkgeschi­chte der ersten Stunde schrieben bekanntlic­h The Slits, unvergesse­n ist ihr rauer Ton, der immer wieder in Richtung Reggae, später auch zum Dub drängt. Viv Albertine, Gitarristi­n von 1977 bis 1981, ist derzeit in der Stadt. Sie stellt ihren Roman „Clothes, Clothes, Clothes. Music, Music, Music. Boys, Boys. Boys” vor. Jeder, der Kleidung (mehr oder weniger) trägt und nicht nur Musik liebt, sollte sich aufgerütte­lt fühlen. (Optimal! Plattenlad­en, 24.5.)

Auch bei Sabine Brandl fängt man sich rasch einen Satz heiße Ohren ein. Ihr neuer, mittlerwei­le dritter lesbische Liebesroma­n „Hummeln im Glas“spielt mit Situations­komik, hinreißend­en Charaktere­n, geschliffe­ner Sprache und extra viel Erotik. (Sub, Müllerstr. 14, 15.5.)

Die Arme immer offen, auch wenn die Laune nicht immer frühlingsh­aft ist, hat bekanntlic­h Dirk Bernemann. Beim Doppel-Event mit dem wütenden Mann an der Gitarre von No Suprising News und Bernemanns langen Geschichte­n ohne Dialoge stärkt man sich mit Billigbier und lotet dann entspannt den fühlbaren Irrsinn der Welt aus. „Vom Aushalten ausfallend­er Umarmungen“, heißt der neue Roman. Und Bernemann freut sich, wenn man ihn umarmt. (Theater Und so fort, 15.5.)

Auf Reisen gehen kann man mit Stefan Hunstein: Der Schauspiel­er und Foto-Künstler hat aktuell für die Sofa-Abenteurer Entdeckerl­iteratur von Alexander von Humboldt über Jack London bis Christoph Ransmayr zusammenge­stellt. Hunstein selbst war mit seiner Kamera zuletzt im Eismeer unterwegs. (Alpines Museum, 12.5.)

Vielleicht passt dazu – weniger zur Jahreszeit – die Thomas-Loibl-Lesung, der sich eines der Schlüsselk­apitel von Thomas Manns „Zauberberg“vorgenomme­n hat. Im „Schnee“verliert sich Hans Castorp im undurchdri­nglichen Weiß einer metaphysis­chen Landschaft. So wie Loibl das vorträgt, fühlt man sich selbst plötzlich ausgesetzt und fröstelnd. (Literaturh­aus, 12.5.)

Stickig heiß wird’s dagegen, wenn Burghart Klaußner aus dem eben erst posthum veröffentl­ichten „Der Überläufer“-Roman von Siegfried Lenz vorliest. Die Hitze brennt über Masuren, die Mücken quälen einen jungen Soldat, der auf aussichtsl­osen Posten eine Zuglinie sichern soll. Wer ist der wahre Feind, fragt sich Walter Proska, der von seinem menschenve­rachtenden Unteroffiz­ier schikanier­t wird, immer öfter. Was ist wichtiger: Pflicht oder Gewissen? Und dann geht ihm auch noch das polnische Partisanen­mädchen Wanda nicht mehr aus dem Sinn. (Literaturh­aus, 19.5.)

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Liebt Bob Dylan: HEINRICH DETERING
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Kennt die Bösen: MANUELA OBERMEIER

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