Lese-Abenteuer, textilfrei und hautnah
Existenzielle Mysterienspiele, nächtliches Grauen und erfrischend unzeitgemäße Spaziergänge in Eis und Schnee
Eine beklemmende Vorstellung: Ausgerechnet Hauptkommissarin Toni Stieglitz muss sich verstecken. Niemand in der Stadt darf wissen, wo sie wohnt. Sie will sich vor ihrem Freund Mike verkriechen, von dem sie sich gerade getrennt hat. Mike hat sie geschlagen, doch er ist selbst Polizist. Tonis Kollegen dürfen davon nichts erfahren. Doch dann stößt sie auf eine unheimliche Mordserie mitten in München. Mehrere Frauen wurden brutal umgebracht. Und vor ihrem Versteck entdeckt Toni immer wieder diesen rätselhaften Schatten, der sie auf Schritt und Tritt verfolgt. Manuela Obermeier schöpft in ihrem neuen Krimi „Verletzung“aus den Vollen. Sie ist selbst Polizeihauptkommissarin. Sie weiß, worüber sie schreibt. (Muffatcafé, 20.5.)
Auch der Journalist Korbinian Lallinger kennt sich aus: Er ist ebenfalls Münchner und hat sich eigentlich auf die nur alle vier Jahre stattfindende Landshuter Hochzeit gefreut. Die Stimmung ist festlich aufgekratzt, doch ein Schatten fällt über die NiederbayernMetropole: Eine rechtsextreme Kameradschaft macht lautstark Stimmung gegen Ausländer. „Böse sind die anderen“ heißt Markus Flexeders neuer Krimi. Und man wird selbst prüfen müssen, wie doppelsinnig er das meint. (Buch in der Au, 12.5.)
Mit den letzten Dingen und der Grausamkeit der Welt hat sich – auf einer latent abgehobenen, poetischen Ebene – zuletzt auch der weltgrößte Nuschler beschäftigt. Heinrich Detering, der sich als Lyriker, Übersetzer und Literaturwissenschaftler jahrelang mit Bob Dylan beschäftigt hat und ihm auch eine Monographie widmete, analysiert das Spätwerk des US-Barden, das – Kenner wissen das – mit „Love and Theft“(2001) begann. Einen Tag vor Dylans 75. Geburtstag nimmt uns Detering an die Hand und führt uns in die Mysterienspiele ein. „Bei Dylan hat Ovid den Blues“, ist sich Detering sicher. (Lyrik Kabinett, 23.5.)
Punkgeschichte der ersten Stunde schrieben bekanntlich The Slits, unvergessen ist ihr rauer Ton, der immer wieder in Richtung Reggae, später auch zum Dub drängt. Viv Albertine, Gitarristin von 1977 bis 1981, ist derzeit in der Stadt. Sie stellt ihren Roman „Clothes, Clothes, Clothes. Music, Music, Music. Boys, Boys. Boys” vor. Jeder, der Kleidung (mehr oder weniger) trägt und nicht nur Musik liebt, sollte sich aufgerüttelt fühlen. (Optimal! Plattenladen, 24.5.)
Auch bei Sabine Brandl fängt man sich rasch einen Satz heiße Ohren ein. Ihr neuer, mittlerweile dritter lesbische Liebesroman „Hummeln im Glas“spielt mit Situationskomik, hinreißenden Charakteren, geschliffener Sprache und extra viel Erotik. (Sub, Müllerstr. 14, 15.5.)
Die Arme immer offen, auch wenn die Laune nicht immer frühlingshaft ist, hat bekanntlich Dirk Bernemann. Beim Doppel-Event mit dem wütenden Mann an der Gitarre von No Suprising News und Bernemanns langen Geschichten ohne Dialoge stärkt man sich mit Billigbier und lotet dann entspannt den fühlbaren Irrsinn der Welt aus. „Vom Aushalten ausfallender Umarmungen“, heißt der neue Roman. Und Bernemann freut sich, wenn man ihn umarmt. (Theater Und so fort, 15.5.)
Auf Reisen gehen kann man mit Stefan Hunstein: Der Schauspieler und Foto-Künstler hat aktuell für die Sofa-Abenteurer Entdeckerliteratur von Alexander von Humboldt über Jack London bis Christoph Ransmayr zusammengestellt. Hunstein selbst war mit seiner Kamera zuletzt im Eismeer unterwegs. (Alpines Museum, 12.5.)
Vielleicht passt dazu – weniger zur Jahreszeit – die Thomas-Loibl-Lesung, der sich eines der Schlüsselkapitel von Thomas Manns „Zauberberg“vorgenommen hat. Im „Schnee“verliert sich Hans Castorp im undurchdringlichen Weiß einer metaphysischen Landschaft. So wie Loibl das vorträgt, fühlt man sich selbst plötzlich ausgesetzt und fröstelnd. (Literaturhaus, 12.5.)
Stickig heiß wird’s dagegen, wenn Burghart Klaußner aus dem eben erst posthum veröffentlichten „Der Überläufer“-Roman von Siegfried Lenz vorliest. Die Hitze brennt über Masuren, die Mücken quälen einen jungen Soldat, der auf aussichtslosen Posten eine Zuglinie sichern soll. Wer ist der wahre Feind, fragt sich Walter Proska, der von seinem menschenverachtenden Unteroffizier schikaniert wird, immer öfter. Was ist wichtiger: Pflicht oder Gewissen? Und dann geht ihm auch noch das polnische Partisanenmädchen Wanda nicht mehr aus dem Sinn. (Literaturhaus, 19.5.)