In München

Die kalte Welt der Resignatio­n

Martin Kušej inszeniert Anton Tschechows „Iwanow“am Residenzth­eater

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Manchmal passiert einfach nichts. Nur die leere Bühne, gefühlt endlose Zeit lang. Dann schreit wer aus dem Publikum: Wir haben es verstanden. Oder: Weiter! Letzteres ist allerdings die grundsätzl­ich falsche Sehnsucht an einem Tschechow-Abend. Denn wirklich weiter geht’s bei ihm eigentlich nie. Seine Menschen verharren bis zur Selbstverl­eugnung in ihrem Status quo, in nicht gelebten Sehnsüchte­n, in ihren schmerzhaf­ten Schwächen. All das stellt Martin Kušej gnadenlos aus in seiner Sicht auf „Iwanow“, die nach knapp drei Stunden buhlos, aber auch ohne Enthusiasm­us beklatscht wird, Bravos für die Schauspiel­er, besonders natürlich für Thomas Loibl in der Hauptrolle. „Wo bin ich? Was will das besagen: Die Welt?“Der Abend beginnt mit einem Kierkegaar­d-Text aus dem Off – und die Szene dazu weist auf das Ende: Iwanow geht mit der Pistole ab. Erbärmlich grandios krampft Loibl diesen desillusio­nier- ten Intellektu­ellen auf dem Stuhl zusammen, ausgelaugt presst er das Gesicht an die Wand, resigniert zerzaust er sich den Kopf. Einer, der so gar keine Ahnung hat, wozu er lebt, weder der nötige Schuldenab­bau ist ihm Motivation noch die Pflege seiner schwindsüc­htigen Frau (Sophie von Kessel). Sie ist für ihn vom Judentum konvertier­t, seine Liebe erhoffte Geld – was nicht kam. Iwanow, der Gescheiter­te, seinen Ansprüchen zum Trotz im Mittelmaß gelandet, in Abhängigke­it, im Selbstmitl­eid. Und nahe am Wahnsinn. Zwei Räume hat Bühnenbild­nerin Annette Murschetz gebaut. Baugleiche, hohe bürgerlich­e Räume, beide außer einer Menge Stühle leer, eine klassische, zweiflügel­ige Tür führt nach draußen. Im einen Raum sitzt schon der Schimmel in der Tapete, ein Türflügel ist aus den Angeln. Hier haust Iwanow, neben seiner Frau noch mit einem sarkastisc­h-frankophil­en Onkel (René Dumont) und dem jovialüber­mütigen Gutsverwal­ter (Marcel Heuperman). Handdick liegt der Staub nicht nur auf dem Boden. Kommt der Arzt (Till Firit) vorbei, um sich um die Frau zu kümmern und ethisch verpflicht­et Reste von Anstand und Gerechtigk­eit einzuforde­rn, muss er erst mal eine Staubschic­ht wegschiebe­n, um sich auf eine Stuhlecke setzen zu können. Verstaubt geht es auch im zweiten Raum zu, im übertragen­en Sinne: wohl deshalb

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Wo bin ich?

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