Transformierte Gedichte
„One Hundred Poems“– noch bis 30. Juni zeigt die Galerie Häusler Contemporary Jürgen Partenheimers aktuelles Projekt
Han Shan war Zen-Meister und ein chinesischer Dichter. „Der kalte Berg“heißt das Pseudonym „Han Shan“übersetzt, und wahrscheinlich ist damit ein Berg im Tiantai-Gebirge im Südosten Chinas gemeint. Dort soll er gelebt haben, allein und in einer Höhle. Vermutlich lebte er Ende des 7. Jahrhunderts. Sonst weiß man nicht viel über ihn. Alles was man über ihn weiß, hat man sich sozusagen aus der Gedichtsammlung „Hanshan Shi“zusammen gereimt. Angeblich hat er seine Gedichte in Stein oder Holz geritzt. Diese Naturgedichte haben andere Menschen gefunden, gesammelt, und so ist dann die Sammlung entstanden, die 360 Gedichte beinhaltet, wovon man 306 Han Shan zuschreibt. Eines davon: „Keiner kennt den Berg auf dem ich lebe. In den Wolken ist es stets einsam.“Mehr kann man auch mit mehr Worten nicht sagen. In China wird Han Shan verehrt, auch in der westlichen Welt hat er viele Bewunderer, darunter auch einige, die man kennt Allen Ginsberg oder Jack Kerouac waren bekennende Han-ShanLeser. Auch Jürgen Partenheimer (geb. 1947) liebt diese reduzierten, klaren Gedanken. Und hat das oben zitierte Gedicht transformiert. In mehrere Bilder. Und die wiederum sind Teil seines aktuellen, noch nicht abgeschlossenen Projekts „One Hundred Poems“. Der Plan: 100 Gedichte von 100 Dichtern, ausgesucht vom Künstler nach ausschließlich subjektiven Kriterien, werden in Farbe und Form übersetzt. Nicht Illustration ist das Ziel, sondern Transformation. Die Gedichte sind für Partenheimer Ausgangspunkt, Inspiration, Anstoß. Das Gedicht ist also eine Art Tür, die es dem Künstler ermöglicht, einen neuen Raum zu betreten, in dem er – losgelöst vom Text – etwas völlig Eigenständiges schafft. Und deshalb sucht man auch vergeblich nach den Gedichten neben den Bildern. Braucht es nicht. Sagt Partenheimer. Aber wer will, kann sich natürlich in der Galerie erkundigen, welches Gedicht der Auslöser für welches Bild war. Muss man selber wissen, ob das die eigene Sichtweise einschränkt oder erweitert. Häusler Contemporary zeigt nun einen ersten Teil dieses Projekts, und wer noch nicht da war, sollte sich auf den Weg machen. Weil es wunderbar ist, Dichter zu entdecken (mal ehrlich, wie viel Han Shan haben Sie schon gelesen?) und weil es noch viel wunderbarer ist, sich in andere Welten zu begeben. Zum Beispiel in die Welt von Jürgen Partenheimer. Ein tiefschwarzes Außen, ein weißes Loch, durch das man zu einem zarten Bleistiftring gelangt. Wo ist man jetzt? Eckiges Blau hängt an dünnen schwarzen Linien. Bewegt sich was? Vielleicht sogar im eigenen Kopf? Da sucht jemand mit Farbe und Form systematisch aber intuitiv nach dem, was passiert, wenn man sich der eigenen Entäußerung hingibt. Sich der Welt entfremdet, um sie neu und anders wahrnehmen zu können. Genau das kann passieren, wen man sich als Betrachter diesen subjektiven Abstraktionen anvertraut. Konzentration. Reduktion. Transformation. Alles ist möglich. Ist das nicht toll?