Stiegenhäuser sind nicht nur zum Ratschen da
Über Lesungen an ungewöhnlichen Orten. Und Auftritte von fast Vergessenen sowie eilig Durchreisenden
Treppenhäuser sind öffentliche Orte. Nur dass man sich an ihnen meistens nicht allzu lange aufhält (es sei denn man muss als Dackel vor der Zahnarzttür warten). Die Stadtteilwoche Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt will die oft zugigen Stiegen zum Verweilort machen. Deswegen läuft von 10. bis 16. Juni nun schon zum zweiten Mal die rührige Reihe Literatur im Stiagnhaus in der Zenettistraße 2. Dort finden klassische Lesungen, Aufführungen vertonter Spitzweg-Vierzeiler (als Gstanzl) und der traditionelle Poetry Slam statt. Außerdem gibt es einen Bücherflohmarkt und eine Textilinstallation mit „Glücksbringern“der Künstlerin Despina Olbrich Marianou. Los geht’s mit einer Lesung von La-BrassBanda-Tuba-Mann und MozarteumProfessor AndreasMartin Hofmeir , der in „Kein Aufwand –Schrecklich wahre Geschichten aus meinem Leben“sein Musikerdasein ironisch bespiegelt. „Tubist wird man“, lernt man dort, „weil man sich für ein anspruchsvolles Instrument einfach keinen Ehrgeiz hat. Oder weil man nicht üben will, aber trotzdem auf die Biermarken beim Volksfest spechtet.“(Zenettistr. 2, 10.6.)
Wir bleiben beim Thema: Schlagerstar Lucky Frohwein war, so will es die Legende, in frühen Vorzeiten einmal ein ganz großer Star, der allerorten angehimmelt wurde. Der Musikjournalist E. Blume will ihn unbedingt wiederentdecken, was gar nicht so einfach ist. Schnell verwirrt er sich auf der „vorsichtigen Annäherung“, als der er die Combo-Lesung Das Lucky Frohwein Experiment verstanden wissen will, in Wahnsinn, Sex und Nonchalance. Klingt also doch ganz gut. Vor allem noch besser: Untermalt wird der Abend von Live-Balladen der Frohwein-Band und mit Videoinstallationen von Gabrijel Kajic. (Glockenbachwerkstatt, 21.6.)
Fast hätte man ja vergessen, dass auch Judith Hermann mal eine ganz Große war, deren zarter Fräuleinprosa Leipziger Literaturschulenprägung viele nacheiferten. Nun meldet sich die „Sommerhaus, später“-Bestsellerautorin wieder zurück. Im „Lettipark“, so ihre neue erzählerische Meisterleistung, sitzen die etwas älter gewordenen Großstadtflüchtlinge nun auf ihren Datschen. Und langweilen sich kultiviert. (Literaturhaus, 21.6.)
Noch ganz am Anfang ihrer Superstarkarrieren stehen die Minirampensäue vom Gisela Slam. Dahinter verbirgt sich Münchens einziger, regelmäßig stattfindender Schüler-Slam, der Nachwuchspoeten ab der neunten Jahrgangsstufe eine Bühne bietet. Man darf gespannt sein. (Gisela-Gymnasium, 9.6.)
Dass es Christoph Schlingensief leider nicht mehr gibt, hat sich bei allen Kulturinteressierten, Kino- und Theaterfreunden natürlich herumgesprochen. Doch es lohnt sich sehr, seiner auch literarisch zu gedenken. Wenige Tage nach seiner Lungenkrebs-Diagnose begann der Regisseur mit sich selbst, mit Freunden, mit seinem toten Vater und natürlich mit Gott zu sprechen. Sein Diktiergerät, das die Dialoge einfing, lief immer mit. Nun stellt Martin Pfisterer Ausgewähltes aus den Protokollen von Schlingensiefs Selbstbefragung vor. (La Cantina, 11.6.)
Durchreisende soll man nicht aufhalten. Aber anhören, was sie zu berichten haben, kann man natürlich sehr wohl. Das CrowdProjekt („Creating Other Ways of Dissemination“) schickt dieser Tage über 100 Autoren aus 37 Ländern innerhalb von drei Monaten durch Europa. Nun macht eine Gruppe Station in München für eine Lesung mit Thomas Antonic (Österreich), Katariina Vuorinen (Finnland), Roland Reichen (Schweiz) und Gur Genz aus Zypern. (Rationaltheater, 10.6.)
Selbst ein wenig auf die Reisen machen kann man sich auf der großen Gemeinschaftsaktion Tag der Münchner Buchhandlungen, für die sich am 11. Juni mehr als 50 Leseinseln angeschlossen haben. Einen Bookuck! bei den vielen Lesungen und Spieleaktionen ist das allemal wert.