Arthouse, Hollywood und ein Hauch Bollywood
True Stories, böse Jungs, schlimme & brave Mädchen
Anne Zohra Berracheds 24 Wochen war der einzige deutsche Beitrag im Berlinale-Wettbewerb 2016. Die existenzielle Krise einer Mutter untersucht die Erfurterin, Heldin Astrid, glaubwürdig gespielt von Julia Jentsch, deren Gesicht Friede Clausz’ Kamera immer wieder eindringlich erforscht, lebt und liebt ihren Beruf als Kabarettistin. Ihr Mann und Manager – Bjarne Mädel befreit sich von seinem „Tatortreiniger“-Image – unterstützt sie ruhig und umsichtig. Doch als die beiden das zweite Kind erwarten, läuft ihr gut durchorganisiertes Leben aus dem Ruder. Bei einer Routineuntersuchung erfahren sie, dass das Ungeborene am Down-Syndrom leidet und auch ein schwerer Herzfehler vorliegt... Feinfühlig ist dieser „Problemfilm“inszeniert, authentisch klingen die Dialoge. Bei aller Schwere verliert das Drama nie seinen Humor, geschickt versteht es die Filmemacherin, das Für und Wider einer Abtreibung abzuwägen, ohne dabei selbst Stellung zu beziehen. (Ab 22.9.)
Kein Seemannsgarn. Alice fährt zur See, Monate ist sie von ihrem Freund getrennt. Als die Mechanikerin in ihrer Kabine auf das Tagebuch ihres Vorgängers stößt, beginnt sie ihr Leben zu hinterfragen. Inmitten der rein männlichen Crew geraten ihre Gefühle ins Schwanken, mühsam versucht sie, Kurs zu halten. Alice und das Meer, das Regiedebüt der Schauspielerin Lucie Borleteau, ist ein feiner Balanceakt zwischen Sinnlichkeit und sachlichem Ton, souverän getragen von Ariane Labed („Before Midnight“), die in Locarno 2014 den Preis als Beste Schauspielerin gewann. (Ab 22.9.)
Renitente Vorstadtweiber. Nach „Bad Santa“und „Bad Teacher“nun die Bad Moms. Dialogzeile: „Hau der Fritte auf die Titte!“Alles klar? Die superperfekten Suburbia-Mamas bekommen bei dieser schlüpfrig-satirischen Komödie ordentlich ihr Fett ab, in Szene gesetzt haben den Retortenspaß Jon Lucas und Scott Moore, die als „Hangover“-Autoren einschlägig vorbelastet sind. Mila Kunis, Kristen Bell und Kathryn Hahn verweigern sich dem Supermutter-Dasein, Christina Applegate („Eine schrecklich nette Familie“) tut alles, um ihnen jedwede Freiheitsflausen auszutreiben. (Ab 22.9.)
Weggehen, um anzukommen. Als die Familie Velcu von Rumänien nach Deutschland übersiedelte, waren befreundete Filmemacher aus Berlin zur Stelle, die den Um- und Einzug mit der Kamera festhielten. Daraus entstand die mit Bollywood-Elementen versetzte Dokumentation And-ek Ghes ... . Colorado Velcu, der seit seiner Jugend Tagebuch schreibt, wurde als Familienoberhaupt zum Co-Regisseur von Philip Scheffner. Dem Duo ist ein melancholischer, dann wieder witziger, charmanter und kluger Meta-Film über das ethnografische Filmemachen gelungen, der zudem über Medienbilder und Stereotype heutiger Roma-Familien räsoniert. (Ab 22.9.)
Ins Knie geschossen. Inspiriert von Akira Kurosawas „Die sieben Samurai“inszenierte Hollywood-Veteran John Sturges 1960 Die glorreichen Sieben, einen bleihaltigen, prachtvoll photographierten Allstar-Western, dessen prägnante Elmer-Bernstein-Titelmelodie man heute noch als „Marlboro-Musik“kennt. Eine klassische Pferdeoper bekam man da zu sehen – mit stimmigem Plot, gut gezeichneten Charakteren und perfekt choreographierten Schießereien. An all dem mangelt es nun dem lieb- und lustlosen Remake von Action-Aficionado Antoine Fuqua („The Equalizer“) der außer großem Budget und bekannten Namen – Denzel Washington, Chris Pratt, Ethan Hawke, Lee Byung-hun, Haley Bennett etc. – wenig vorzuweisen hat. (Ab 22.9.)
Innere und äußere Emigration. Ein großer Sieger der diesjährigen Berlinale – prämiert mit 50.000 Euro für den besten Erstlingsfilm – war Hedis Hochzeit, das Kinodebüt des Tunesiers Mohamed Ben Attia, der in Form einer schwierigen Liebesgeschichte von den Nachwirkungen des „Arabischen Frühlings“erzählt. Zwischen Tradition und Moderne ist der Held gefangen, ein Mann, der unter dem Pantoffel seiner dominanten Mutter steht und um Selbstbestimmung ringt. An einem Einzelschicksal fest gemacht, zeichnet der Regisseur ein Bild der zeitgenössischen tunesischen Gesellschaft. Majd Mastoura spielt den gebeutelten Protagonisten, in sich gekehrt, ruhig und passiv – höchst glaubwürdig, was ihm den Silbernen Bären einbrachte. (Ab 22.9.)
Nestbeschmutzer unter sich. Er ist der aufsässigste Regisseur Hollywoods: Oliver Stone, Meister des Politkinos, berühmt-berüchtigt für US-Nabelschauen wie „JFK“, „Wall Street“oder „Geboren am 4. Juli“. Jetzt hat er Edward Snowden ins Visier genommen, der vom leitenden NSA-Mitarbeiter zur „Persona Non Grata“mutierte, inzwischen im Moskauer Exil lebt, weil dem Whistleblower in der Heimat (mindestens) lebenslange Haft droht. Eine Heldenbiographie, eingebettet in einer Rahmenhandlung, die zusätzliche Spannung aufbaut. Komplizierte technische und politische Fakten bereitet das Skript verständlich auf, Beweggründe und Taten des einst loyalen Geheimdienstlers werden schlüssig erklärt. Joseph Gordon-Levitt füllt die Titelrolle perfekt, bestens unterstützt von Charakterköpfen wie Rhys Ifans und Tom Wilkinson. (Ab 22.9.)
Ist da jemand? Michael Madsen dokumentiert in The Visit – Eine außerirdische Begegnung ein Ereignis, das bis dato nicht stattgefunden hat: Den ersten Kontakt des Menschen mit intelligentem Leben aus dem All. Der dänische Filmemacher entwirft ein unGewissensfrage.