Einstürzende Neubauten
Direkt am Anfang crasht ein Kleinbus ins gutbürgerliche Wohnzimmer einer Bestseller-Autorin für Beziehungsratgeber und bringt damit nicht nur das Haus ihrer Familie, sondern auch die Fassade einer ganzen KleinstadtIdylle zum Einsturz. Im Mittelpunkt dieser Welt der Doppelhaushälften, Tanzsportvereine und allgegenwärtiger Konkurrenz steht die 16-jährige Lena (Emilia Schüle), die ihre Umgebung als oberflächlich und intrigant empfindet. Ihr Unbehagen verarbeitet das kreativ ambitionierte Mädchen in grotesken Collagen. Nur der gleichaltrige Künstler Tim (Jannik Schümann) scheint sie zu verstehen, verliert aber ebenfalls ihr Vertrauen, als sie ihn mit ihrer besten Freundin Nicole (Kyra Sophia Kahre) scheinbar in flagranti erwischt. Nun bleibt ihr nur noch ihr Chat-Freund Noah, doch Lena ahnt nicht, wer sich hinter diesem Account verbirgt: Menschen, die ihr schaden wollen. Ein hinterhältiges Spiel gerät außer Kontrolle, in dem die Grenzen zwischen real und virtuell verschwimmen und auch die Erwachsenen keine Orientierung bieten können. Mit seinem Sprayer-Drama „Wholetrain“, in dem der heutige Star Elyas M’Barek seine erste große Kinorolle spielte, bewies Florian Gaag erfrischend authentisches Gefühl für eine jugendliche Subkultur. Zehn Jahre später wendet sich der Münchner Regisseur in „LenaLove“einem unbequemen Mainstream-Thema zu: Der positiven wie negativen Verführbarkeit durch die sozialen Netzwerke. Bei ihren Recherchen stützte sich das Filmteam unter anderem auf eine Forsa-Umfrage, in deren Rahmen 32 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 20 Jahren angaben, schon einmal im Internet beleidigt, bedroht oder verleumdet worden zu sein. Jeder Zehnte habe nach eigenen Angaben bereits selbst im Internet gemobbt, und jeder Fünfte hält es für wahrscheinlich, selber Täter zu werden – die Kehrseite einer schönen neuen Teenager-Welt, in der beliebig mit Identität gespielt werden kann und echte Persönlichkeit manipulierbaren „Profilen“weicht. Verpackt ist Lenas Suche nach Identität in eine klassische Coming-of-Age Struktur: Zerrissenheit zwischen Anpassung und Eigenständigkeit, daneben romantische erste Liebe zum vermeintlichen Seelenverwandten. „Diese Entwicklungsperiode steht nicht im Zeichen von Selbstreflexion, sondern dem Ausloten eigener und fremder Grenzen“, sagt Florian Gaag, der seinen Film auch stilistisch nicht aus einem Guss gestaltet: Erzählerisch wechselt er zwischen der Teenie- und der Erwachsenenperspektive, reißt einige Konflikte nur an und dramatisiert andere bis ins Surreale. Wo die einander betrügenden Erwachsenen mühsam den Schein wahren, erwachen in Lenas Welt diabolische Graffitis zum Leben und jagen sie durch Horror-Abgründe. Das Ungeschliffene und mitunter Brachiale, unterstützt durch rasante Kameraarbeit, entsprechenden Schnitt und Musik, ergänzt die beachtenswerten Schauspielleistungen. Besonders Hauptdarstellerin Emilia Schüle überzeugt in einem kraftvollen, engagierten Film, bei dem man jede Menge Herzblut pochen hört und der sich vor allem in einer Hinsicht von anderen Filmen des Genres abhebt: Er ist – und das ist nicht nur jedem Teenager überlebenswichtig – in keiner Minute peinlich.