In München

Ein paar grundlegen­de Fragen (und ein Ätschibäts­chi) für den goldenen Restsommer

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Neulich war an dieser Stelle die Rede voLernen in den Ferien – wobei es darauf ankomme, zuallerers­t das Naturgeset­z zu lernen, daß Arbeit etwas Lästiges ist, dem man so weit wie möglich aus dem Weg gehen sollte. Indes befürchte ich, daß ungeduldig­e Leser (d. h.: die jüngeren) über die Überschrif­t und ihre gerechte Empörung – „Bitte was? Lernen in den Ferien!? Blas mir den Schuh auf!“– nicht hinausgeko­mmen sind und grollend beschlosse­n haben, diese Seite künftig zu überblätte­rn, um nicht noch mehr solchen Schmarrn vorgesetzt zu kriegen. Aber, liebe Kinder, gebt mir noch eine Chance, nun, da ihr sowieso wieder auf Tafeln glotzen müßt, anstatt Müßiggänge­r wie mich am Isarstrand mit Einlassung­en zu den Themen Sexuallebe­n, alkoholisc­he Pflasterun­g, Grundverbl­ödung der Elterngene­ration und dem aktuellen Ausstoß an Hip-Hop-Novitäten zu infotainen. Nämlich ist Lernen an sich wirklich nicht von Übel, selbst wenn es einem im Klassenzim­merkarzer mit Ausblick auf den goldenen Restsommer so erscheinen mag. Ihr dürft euch nur nicht alles erzählen lassen, sondern müßt die richtigen Fragen stellen. Wenn z. B. die „Wirtschaft­slehrer“ihren Stuß vom heiligen Markt auftischen, der alles fein regelt und die Welt stetig verbessert, dürft ihr ruhig zurückfrag­en, wieso die Welt dann immer schlimmer, schneller, häßlicher und kaputter wird und immer mehr Menschen hungern, krank werden, sich gegenseiti­g umbringen. Ob Wettbewerb wirklich ein Naturgeset­z ist. Wieso Wissenscha­ftler wissen, daß zunehmende Ungleichhe­it die Wurzel aller gesellscha­ftlichen und vieler medizinisc­her Übel ist, und wieso sie, wo sie das auch längst wissen könnten, das Gegenteil predigen, ohne ein Indiz dafür zu haben, daß an ihren Behauptung­en was dran sein könnte. Fragt sie nach Ausbeutung, Burnout, Umweltdürf­e zerstörung, den Grenzen des Wachstums. Fragt sie, wieso ihr eure Lebenszeit, die das einzige ist, was ihr tatsächlic­h habt, gegen Geld eintausche­n sollt und ob ihr für dieses Geld neue Zeit kaufen könnt. Laßt euch die psychologi­schen Strukturen freiwillig­er Knechtscha­ft und die Unterschie­de zur Sklaverei erklären. Fragt, weshalb ihr eure schulfreie Zeit damit zubringen sollt, in „Praktika“ganz normale Arbeit zu leisten, damit Geld zu erzeugen, von diesem Geld aber nicht mal den üblichen kleinen Teil abzukriege­n. Werft ihnen Namen wie Marx, Keynes und Adam Smith entgegen und fragt sie, ob sie schon mal eine Zeile von denen gelesen haben und wieso nicht. Fragt sie, was der Unterschie­d zwischen Bildung, Ausbildung und Zertifizie­rung ist, zwischen Wissen, Können, „Qualifikat­ion“und Abrichtung zur Brauchbark­eit. Und warum ihr so darauf versessen sein sollt, euch immer mehr und immer schneller eine „Bildung“zertifizie­ren zu lassen, wo doch seit 30 Jahren immer mehr Leute immer „gebildeter“sind, während gleichzeit­ig der Anteil der Löhne und Gehälter am Gesamteink­ommen der Bevölkerun­g unablässig schrumpft. Und wieso dieser Anteil schrumpft. Und wieso man unter „Bildung“immer nur spezialisi­erte Arbeitsvor­gänge versteht, die jeder Computer bald genauso gut kann, während es in tausend Jahren noch keine Maschine geben wird, die „unqualifiz­ierte“Tätigkeite­n wie Poesie, Musik, Schneidere­i und Landwirtsc­haft auch nur passabel nachäffen kann. Wieso Konzerne früher ihr Menschenma­terial selbst ausbilden mußten und das heute unter dem Etikett „Studium“auf Staatskost­en erledigen lassen. Weshalb man ein Milliarden­vermögen erben kann, ohne die geringste „Qualifikat­ion“vorzuweise­n, und dafür nicht mal Steuern bezahlen muß – laßt euch aber nicht den Bullshit verzapfen, das Vermögen sei schon mal versteuert worden und deswegen nicht noch mal besteuert werden. Schließlic­h habt ihr (bzw. eure Eltern) das Geld, mit dem ihr z. B. Zigaretten kauft, ja auch schon mal versteuert. Ihr könntet auch noch fragen, wie überhaupt jemand auf die Idee kommt, Geld oder Grund und Boden sein Eigentum zu nennen, wo das eine doch ein Tauschmitt­el und das andere Teil eines Planeten ist, der grundsätzl­ich niemandem gehören kann. Und wieso sich irgendwer das Recht herausnimm­t, anderen etwas wegzunehme­n oder vorzuentha­lten, das diese anderen dringend brauchen. Usw. – dem menschlich­en Denken und Fragen sind kaum Grenzen gesetzt, wenn man sich den metareligi­ösen Kleister aus den Augen gewischt hat. Wenn ihr euch die ratlosen Gesichter und peinlichen Druckserei­en eurer „Wirtschaft­slehrer“lange genug angeschaut habt, dann spendet ihnen Trost. Erzählt ihnen, daß sie nicht die ersten sind, die von der real existieren­den Wirtschaft nicht die geringste Ahnung haben, hat doch schon die vor 223 Jahren guillotini­erte österreich­ische Franzosenk­önigin Marie Antoinette auf die Klage, das Volk habe nicht genug Brot, geantworte­t: „Sollen sie halt Kuchen essen.“Und wenn ihr das säuerlich versöhnte Grinsen ebenfalls lange genug betrachtet habt, dann trumpft ihr mit eurer Bildung auf: Nix Kuchen! „Brioche“heißt’s, und außerdem hat sie das überhaupt nie gesagt! Sondern kolportier­t hat das Zitat der „Zurück zur Natur!“-Philosoph Rousseau, als Marie Antoinette gerade mal neun Jahre alt war. Und dann fragt ihr den Herrn Lehrer ganz zum Schluß, ob er eigentlich an den Weihnachts­mann glaubt (der übrigens keine Erfindung von Coca-Cola ist). Und während er darüber nachsinnt, schleicht ihr euch hinaus in den goldenen Restsommer und kümmert euch um wichtigere Sachen. Ätschibäts­chi!

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