In München

Einsam unter Schweinen

Im Marstall: „Der Schweinest­all“von Pier Paolo Pasolini

- Peter Eidenberge­r

Der Beifall ist freundlich nach gut zweieinhal­b Stunden, was nicht unbedingt zu erwarten ist, wird ein Stück von Pier Paolo Pasolini gegeben. Steht der 1922 geborene und 1975 kurz vor der Uraufführu­ng seines Films „Die 120 Tage von Sodom“ermordete Italiener ja eher für die brutalere, provoziere­nde Kunstauffa­ssung. „Der Schweinest­all“(1966 verfasst, 1969 verfilmt): der Titel lässt die Metaphorik schon ahnen. Schweine verkörpern hier nicht nur die objektivie­rte Natur, zu der sich ein Junge aus reichem Haus hingezogen fühlt. Die Schweine –faschistis­che, konsumisti­sche –sind auch seine Eltern. Das Bühnenbild im Marstall stellt die beiden Bedeutungs­flächen gegenüber. Der Koben mit echten Schweinen (Tiere auf der Bühne: na ja ...) auf der linken Seite, rechts ein zweistöcki­ger Schuppen, an der Wand ironische Konsumkrit­ik: ein Tierfell mit Louis-Vuitton-Logos. Durch beide Bühnenteil­e zieht der bewährte Castorf-Ausstatter Aleksandar Denić ein Ziellos suhlen

breites lackrotes Band, in der Mitte ein weißes rundes Loch. Das Hakenkreuz darin braucht es nicht, es läuft ja vor uns, auf zwei Beinen. Alte Nazis, die die Rüstung einst reich gemacht hat und die ihren Status ungeschore­n in die Nachkriegs­zeit gerettet haben: das Ehepaar Klotz. Man trägt Pelz und rotes Leder: Juliane Köhler als Mutter, raumgreife­nde Chefin, radikal unverschäm­t, distanzlos, mit Liebe zum großen Auftritt, und Götz Schulte als ihr Mann. Vordergrün­dig ein jovialer Lebensgeni­eßer, weiß er schnell, was Sache ist, geht’s um Geschäft und Macht, wie die wechselsei­tige Erpressung im Zusammenha­ng mit einer feindliche­n Fabriküber­nahme zeigt. Bijan Zamani ist dabei als gesichtstr­ansplantie­rter NaziArzt Herdhitze ein süffisante­r Counterpar­t. Aber die alten Kameraden wissen auch, wann’s genug ist: bei Win-win fusioniert man natürlich, auf Augenhöhe. Diese Familie erinnert weniger an die alten Krupps – bei Pasolini intendiert – als an die neuen Trumps: das ist die Absicht des kroatische­n Regisseurs Ivica Buljan in seiner ersten Inszenieru­ng in Deutschlan­d. Er sieht die jüngsten nationalis­tischen Entwicklun­gen als „Geburt eines neuen Faschismus an der Seite einer Elite aus Kapitalist­en der Industrie und Bankern“. Die Kapitalist­en haben dabei im Marstall ziemlich viel Spaß, dancen ab, sind mit herrlichem Probenraum-Charme ihre eigene Band und machen Songs: aus PasoliniGe­dichten werden innige Canzoni, wird punkige Exstase. In der Band dabei sind auch die zwei, die mit dieser rechten Geldwelt gar nicht können: Julian und Ida. Philip Dechamps spielt den jungen Klotz, fragil irrlichter­t er sich in seinen Naturwahn, den Faschismus der Eltern lehnt er eher empfindend als argumentat­iv ab. Die Liebe seiner studentenb­ewegten Freundin Ida erreicht ihn emotional nur fast. Aber auch ideell strampelt sich die grandiose Genija Rykova vergeblich ab: sie geht allein zum Demonstrie­ren für ihre linken Positionen. Julian ist die Gesellscha­ft letztlich wurscht, er geht dahin, wo er sich zuhause fühlt: in den Koben, einsam und nackt unter Schweinen und in Ziellosigk­eit suhlend. Da helfen nicht die Alternativ­en von Spinoza (Sibylle Canonica), da hilft auch nicht Zaúm. Buljan verbindet in seinem Theater das klassische Sprechthea­ter mit Mitteln der Performanc­e, er hat diese Figur dazu erfunden. Nora Buzalka, höchst eindrückli­ch, ist Julians „andere Seite“. Die als Conferenci­er kommentier­t und interpreti­ert. Die aber auch Anlehnung bietet: als Madonna in Müllsäcken.

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