Federvieh darf zum Fest nicht fehlen
Unschuldig weiße Tänze oder schwarze Magie: In der Achterbahn kommt man gut durch den Jahreswechsel
Es weihnachtet sehr. Wie schade nur, dass die meisten romantischen Tümpel und Schlosskanäle natürlich mal wieder nicht zugefroren sind. Sonst könnte man gleich selbst die Schlittschuhe unten und die weißen Schwingen auf den Rücken schnallen und vor den großen abendlichen Vergnügungen selbst noch ein wenig Schwanensee nachstellen. Beziehungsweise aufgescheuchtes Federvieh um seine Winterruhe bringen. Dass der Komponist Peter I. Tschaikowsky und der Choreograf Marius Petipa einst zusammen kamen, darf man ohne allzu viel Pathos als eine der glücklichsten Fügungen der klassischen Ballettgeschichte bezeichnen. Heraus kam aus ihrer Kooperation nicht nur der märchenhafte „Nussknacker“, sondern mit „Schwanensee“auch der Mythos und Inbegriff der Tanzkunst, der auch Jahrzehnte danach noch Hollywood als „Black Swan“in Atem hielt. Petipa hatte sich einst 24 flügelschlagende weiße Vögel für die Bühne gewünscht – als Synonym für Anmut und Eleganz. Das St. Petersburg Festival Ballett hat den Augenschmaus noch mal getoppt und schickt gleich 48 Schwäne aufs Parkett. Eine choreografische Meisterleistung und ein echtes Festtagsgeschenk für die Münchner. (Prinzregententheater, 29.12. bis 4.1.)
Dieselbe gefeierte Compagnie – das St. Petersburg Festival Ballett – bringt schon einige Tage zuvor E.T.A. Hoffmanns Nussknacker-Erzählung als winterverschneites Gesamtkunstwerk in den großen Saal. (Gasteig Philharmonie, 17.12.)
Und für den direkten Vergleich empfiehlt sich natürlich gleich noch die Nussknacker-Inszenierung vom Ballet Classique de Paris (Gasteig Carl-Orff-Saal, 27./28.12.) sowie aus demselben Haus ebenfalls eine Schwanensee-Darbietung (Gasteig Carl-Orff-Saal, 4.1./5.1.). Es sind eben die alljährlichen Tschaikowsky-Hochzeiten.
Deutlich kantiger angelegt, aber natürlich ebenfalls ein Ballett-Festvergnügen der Sonderklasse ist die Premiere von Spartacus mit Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts. Obwohl man natürlich die Filmfassungen kennt, hat der Meilenstein der Tanzgeschichte bislang seinen Weg in die westliche Aufführungspraxis so gut wie gar nicht gefunden. Nun nimmt sich Yuri Grigorovich, eine der prägenden Persönlichkeiten des russischen Balletts und langjähriger künstlerischer Direktor des Bolschoi-Theaters, höchstpersönlich der Sache an. Der große Sklavenaufstand auf der Bühne gilt immerhin als ein Signaturstück und ein identitätsstiftendes Werk der Bolschoi-Compagnie. Man darf staunen. (Nationaltheater, ab 22.12.)
Weitaus weniger wuchtig, dafür aus den Spielplänen vor allem am Broadway nicht wegzudenken ist bekanntlich das immergrüne Musical Anything Goes von Cole Porter. Gärtnerplatz-Intendant Josef E. Köpplinger hatte die gefeierte Inszenierung, die auf einer herrlich eskapistischen Screwball Comedy basiert, mit Erfolg unter die Münchner gebracht. Nun kehrt die Produktion für die Festtage wieder auf die Bühne zurück. (Reithalle, 31.12. bis 8.1.)
Eher ernst und bedächtig feiert man an den Kammerspielen, wo man den Jahresausklang mit dem „Open Border Ensemble Festival“und seinen Theater-, Film- und Konzertprogrammen begeht. Die kernige Frage, was es kostet, sich selbst treu zu bleiben, steht dabei etwa im Zentrum der szenischen Lesung von She He Me. Die Autorin und Regisseurin Amahl Khouri geht der schwierigen Lebenssituation von Transund Homosexuellen im arabischen Raum auf den Grund. (Kammerspiele,
17./18.12.)
Als Theaterabend für Zuschauer ab acht Jahren kommt dabei auch Aladin, die Geschichte vom Dieb von Bagdad und damit das meisterzählte Märchen der arabischen Welt zur Aufführung. Für den Ritt auf dem Zauberteppich entkorken Jugendliche aus Syrien, Afghanistan, Ägypten, Schweden und Deutschland den kreativen Flaschengeist. (Kammerspiele, 18.12.)
Thematisch verwandt, aber nicht Teil des Festivals ist das Gastspiel der Maxim-Gorki-Produktion The Situation, die in Berlin gefeiert und dort auch zum Theatertreffen eingeladen wurde. Mit dem lakonischen Begriff bezeichnen die Anwohner und Leidtragenden die aktuelle, seit langem hoch spannungsgeladene politische Lage im Nahen Osten. Der Clou am Stück von Yael Ronen: Die Handlung spielt in einem Neuköllner Deutschkurs. Dort werden junge Menschen unterrichtet, die in den vergangenen Jahren nach Berlin gekommen sind – vor allem Syrier, aber auch Israeli und Palästinenser. Die Tücken der deutschen Grammatik stellen im Unterricht von Lehrer Stefan die kleinsten Probleme dar. (Kammerspiele, 17./18.12.)
Um Sprache und Sprachlosigkeit geht es natürlich auch im sperrigen Stück Die Widerspenstige, das sich an „Der Widerspenstigen Zähmung“von William Shakespeare abarbeitet. Auf die Protagonistin Katharina spielt zwar der Titel an, im Originalstück bekommt die bedauernswerte Frau, die von ihrem Vater meistbietend verhökert wird, aber so gut wie keinen Text. Sie ist bloßes Objekt, sie wird von ihrem Ehemann gedemütigt, gefoltert und schließlich gebrochen. Kein schönes Stück und ein schockierend passives Frauenbild allemal. Also muss man etwas machen: In „Die Widerspenstige“wird das Objekt wieder zum Subjekt. Und Katharina kommt zu Wort. (Akademietheater, bis 22.12.)
Auch hier lohnt sich ein vergleichender Seitenblick: Andreas Seyferth bringt mit Der Widerspenstigen Zähmung das Original zur Aufführung. (Theater Viel Lärm um Nichts, ab 29.12.)
Nicht nur ein sehr problematisches Frauen-, sondern allgemein ein bedrückendes Menschenbild steht im Zentrum des Bürothrillers Nachwehen von Mike Bartlett. Als Emma neu in eine Firma kommt, wird ihr gleich zu Beginn mitgeteilt, dass Beziehungen innerhalb des Unternehmens absolut nicht erwünscht sind. Doch dann verliebt sich die junge Frau in ihren Kollegen Darren. Wie weit würde sie gehen, um ihren Arbeitsplatz zu erhalten? Und wie grausam überwacht die Firma die Menschen, die sie „eingekauft“hat? (Rationaltheater, ab 3.1.)
Mit hoch entflammbaren Tobak zündelte Vaclav Havel, dessen Todestag sich dieser Tage zum fünften Mal jährt, in seiner satirischen Komödie Protest. Diese erzählt von einem engagierten Schriftsteller, der seinem Kollegen helfen soll, dessen Schwiegersohn, einen oppositionellen Liedermacher, aus dem Gefängnis frei zu bekommen. Also werden Unterschriften gesammelt, Resolutionen verfasst und nach Möglichkeit im Ausland Aufsehen erregt. (Pasinger Fabrik, 18.12.)
Ganz finster wird’s dann schließlich noch in der Schwarzen Mühle: Dort hätte der junge Krabat eigentlich das Müllerhandwerk erlernen sollen. Doch schnell merkt er, dass es in dem Gebäude mit dem knarrenden Gebälk um weitaus mehr geht – um schwarze Magie. (Pepper, bis 20.12.)