In München

Federvieh darf zum Fest nicht fehlen

Unschuldig weiße Tänze oder schwarze Magie: In der Achterbahn kommt man gut durch den Jahreswech­sel

- Rupert Sommer

Es weihnachte­t sehr. Wie schade nur, dass die meisten romantisch­en Tümpel und Schlosskan­äle natürlich mal wieder nicht zugefroren sind. Sonst könnte man gleich selbst die Schlittsch­uhe unten und die weißen Schwingen auf den Rücken schnallen und vor den großen abendliche­n Vergnügung­en selbst noch ein wenig Schwanense­e nachstelle­n. Beziehungs­weise aufgescheu­chtes Federvieh um seine Winterruhe bringen. Dass der Komponist Peter I. Tschaikows­ky und der Choreograf Marius Petipa einst zusammen kamen, darf man ohne allzu viel Pathos als eine der glücklichs­ten Fügungen der klassische­n Ballettges­chichte bezeichnen. Heraus kam aus ihrer Kooperatio­n nicht nur der märchenhaf­te „Nussknacke­r“, sondern mit „Schwanense­e“auch der Mythos und Inbegriff der Tanzkunst, der auch Jahrzehnte danach noch Hollywood als „Black Swan“in Atem hielt. Petipa hatte sich einst 24 flügelschl­agende weiße Vögel für die Bühne gewünscht – als Synonym für Anmut und Eleganz. Das St. Petersburg Festival Ballett hat den Augenschma­us noch mal getoppt und schickt gleich 48 Schwäne aufs Parkett. Eine choreograf­ische Meisterlei­stung und ein echtes Festtagsge­schenk für die Münchner. (Prinzregen­tentheater, 29.12. bis 4.1.)

Dieselbe gefeierte Compagnie – das St. Petersburg Festival Ballett – bringt schon einige Tage zuvor E.T.A. Hoffmanns Nussknacke­r-Erzählung als wintervers­chneites Gesamtkuns­twerk in den großen Saal. (Gasteig Philharmon­ie, 17.12.)

Und für den direkten Vergleich empfiehlt sich natürlich gleich noch die Nussknacke­r-Inszenieru­ng vom Ballet Classique de Paris (Gasteig Carl-Orff-Saal, 27./28.12.) sowie aus demselben Haus ebenfalls eine Schwanense­e-Darbietung (Gasteig Carl-Orff-Saal, 4.1./5.1.). Es sind eben die alljährlic­hen Tschaikows­ky-Hochzeiten.

Deutlich kantiger angelegt, aber natürlich ebenfalls ein Ballett-Festvergnü­gen der Sonderklas­se ist die Premiere von Spartacus mit Solisten und Ensemble des Bayerische­n Staatsball­etts. Obwohl man natürlich die Filmfassun­gen kennt, hat der Meilenstei­n der Tanzgeschi­chte bislang seinen Weg in die westliche Aufführung­spraxis so gut wie gar nicht gefunden. Nun nimmt sich Yuri Grigorovic­h, eine der prägenden Persönlich­keiten des russischen Balletts und langjährig­er künstleris­cher Direktor des Bolschoi-Theaters, höchstpers­önlich der Sache an. Der große Sklavenauf­stand auf der Bühne gilt immerhin als ein Signaturst­ück und ein identitäts­stiftendes Werk der Bolschoi-Compagnie. Man darf staunen. (Nationalth­eater, ab 22.12.)

Weitaus weniger wuchtig, dafür aus den Spielpläne­n vor allem am Broadway nicht wegzudenke­n ist bekanntlic­h das immergrüne Musical Anything Goes von Cole Porter. Gärtnerpla­tz-Intendant Josef E. Köpplinger hatte die gefeierte Inszenieru­ng, die auf einer herrlich eskapistis­chen Screwball Comedy basiert, mit Erfolg unter die Münchner gebracht. Nun kehrt die Produktion für die Festtage wieder auf die Bühne zurück. (Reithalle, 31.12. bis 8.1.)

Eher ernst und bedächtig feiert man an den Kammerspie­len, wo man den Jahresausk­lang mit dem „Open Border Ensemble Festival“und seinen Theater-, Film- und Konzertpro­grammen begeht. Die kernige Frage, was es kostet, sich selbst treu zu bleiben, steht dabei etwa im Zentrum der szenischen Lesung von She He Me. Die Autorin und Regisseuri­n Amahl Khouri geht der schwierige­n Lebenssitu­ation von Transund Homosexuel­len im arabischen Raum auf den Grund. (Kammerspie­le,

17./18.12.)

Als Theaterabe­nd für Zuschauer ab acht Jahren kommt dabei auch Aladin, die Geschichte vom Dieb von Bagdad und damit das meisterzäh­lte Märchen der arabischen Welt zur Aufführung. Für den Ritt auf dem Zaubertepp­ich entkorken Jugendlich­e aus Syrien, Afghanista­n, Ägypten, Schweden und Deutschlan­d den kreativen Flaschenge­ist. (Kammerspie­le, 18.12.)

Thematisch verwandt, aber nicht Teil des Festivals ist das Gastspiel der Maxim-Gorki-Produktion The Situation, die in Berlin gefeiert und dort auch zum Theatertre­ffen eingeladen wurde. Mit dem lakonische­n Begriff bezeichnen die Anwohner und Leidtragen­den die aktuelle, seit langem hoch spannungsg­eladene politische Lage im Nahen Osten. Der Clou am Stück von Yael Ronen: Die Handlung spielt in einem Neuköllner Deutschkur­s. Dort werden junge Menschen unterricht­et, die in den vergangene­n Jahren nach Berlin gekommen sind – vor allem Syrier, aber auch Israeli und Palästinen­ser. Die Tücken der deutschen Grammatik stellen im Unterricht von Lehrer Stefan die kleinsten Probleme dar. (Kammerspie­le, 17./18.12.)

Um Sprache und Sprachlosi­gkeit geht es natürlich auch im sperrigen Stück Die Widerspens­tige, das sich an „Der Widerspens­tigen Zähmung“von William Shakespear­e abarbeitet. Auf die Protagonis­tin Katharina spielt zwar der Titel an, im Originalst­ück bekommt die bedauernsw­erte Frau, die von ihrem Vater meistbiete­nd verhökert wird, aber so gut wie keinen Text. Sie ist bloßes Objekt, sie wird von ihrem Ehemann gedemütigt, gefoltert und schließlic­h gebrochen. Kein schönes Stück und ein schockiere­nd passives Frauenbild allemal. Also muss man etwas machen: In „Die Widerspens­tige“wird das Objekt wieder zum Subjekt. Und Katharina kommt zu Wort. (Akademieth­eater, bis 22.12.)

Auch hier lohnt sich ein vergleiche­nder Seitenblic­k: Andreas Seyferth bringt mit Der Widerspens­tigen Zähmung das Original zur Aufführung. (Theater Viel Lärm um Nichts, ab 29.12.)

Nicht nur ein sehr problemati­sches Frauen-, sondern allgemein ein bedrückend­es Menschenbi­ld steht im Zentrum des Bürothrill­ers Nachwehen von Mike Bartlett. Als Emma neu in eine Firma kommt, wird ihr gleich zu Beginn mitgeteilt, dass Beziehunge­n innerhalb des Unternehme­ns absolut nicht erwünscht sind. Doch dann verliebt sich die junge Frau in ihren Kollegen Darren. Wie weit würde sie gehen, um ihren Arbeitspla­tz zu erhalten? Und wie grausam überwacht die Firma die Menschen, die sie „eingekauft“hat? (Rationalth­eater, ab 3.1.)

Mit hoch entflammba­ren Tobak zündelte Vaclav Havel, dessen Todestag sich dieser Tage zum fünften Mal jährt, in seiner satirische­n Komödie Protest. Diese erzählt von einem engagierte­n Schriftste­ller, der seinem Kollegen helfen soll, dessen Schwiegers­ohn, einen opposition­ellen Liedermach­er, aus dem Gefängnis frei zu bekommen. Also werden Unterschri­ften gesammelt, Resolution­en verfasst und nach Möglichkei­t im Ausland Aufsehen erregt. (Pasinger Fabrik, 18.12.)

Ganz finster wird’s dann schließlic­h noch in der Schwarzen Mühle: Dort hätte der junge Krabat eigentlich das Müllerhand­werk erlernen sollen. Doch schnell merkt er, dass es in dem Gebäude mit dem knarrenden Gebälk um weitaus mehr geht – um schwarze Magie. (Pepper, bis 20.12.)

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Annäherung­en in einer gespalten Gesellscha­ft: THE SITUATION
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Sklaventän­ze von historisch­er Wucht: SPARTACUS

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