Die Schönen und die Zeit
Noch bis Januar im Münchner Stadtmuseum: Fotografie der aus der Nicola Erni Collection
Schon lustig, wie jung Mick Jagger mal war. Also so richtig jung. So jung, dass man den Impuls hat, ihm eine Kakao zu machen. Und so falsch ist das gar nicht, denn auf dem Bild von David Bailey ist er gerade mal 21. Das war 1964. Also kurz nach dem Erscheinen der ersten Platte der Rolling Stones. Oder Andy Warhol. Dennis Hopper hat ihn 1963 fotografiert, auf irgendeiner Party. Weinflaschen und Gläser stehen auf dem Tisch. Und mittendrin Andy. Noch ganz jung mit rundem Gesicht. Auf einem Porträt von Fred W McDarrah sieht man ihn ohne seine Brille. Weniger smart, als zart, sieht er da aus. Das Smarte kam wohl erst im Lauf der Zeit dazu. „Shoot! Shoot! Shoot!“im Stadtmuseum zeigt Fotografien der 60er und 70er Jahre aus der Nicola Erni Collection. Das ist korrekt beschrieben. Und trifft es nicht. Denn „Shoot! Shoot! Shoot!“ist eine Ausstellung über die Zeit. Darüber, was sie mit uns macht und mit den anderen. Mit unseren Erinnerungen. Nehmen wir mal an die Vergangenheit wäre ein Raum. Also nicht nur ein Raum, sondern jeder Mensch hat viele Vergangenheitsräume, in die er gehen kann. Einen Kindheitsraum, einen Erster-Schultag-Raum, einen Erste-Liebe-Raum und so weiter. In diesen Räumen, gibt es Gerüche, Musik, Licht, Farben – und natürlich Bilder. Teils echte Fotos, teils Kopfbilder. Jeder hat sein eigenes 60er-Jahre Erinnerungszimmer. Wer damals schon gelebt hat, kann eigene Bilder an die Wand pinnen. Wer erst später dazu kam, der ist aus das angewiesen, was übriggeblieben ist aus dieser Zeit: die Erinnerungen anderer, Musik, Literatur, Filme, Kunst, Mode … Wer zwar in den 60ern zwar schon am Leben und aufnahmefähig, aber zum Beispiel in München wohnhaft war, der hat natürlich andere Dinge gesehen und erlebt, als Andy Warhol, der damals in New York lebte. Die Ausstellung startet in New York und mit der Wandfarbe Silber, wir sind sofort mittendrin in Warhols „Silver Factory“. Und wer war damals nicht alles da. Um es kurz zu machen: alle. Natürlich auch Nobelpreisträger Bob Dylan. Wusste damals ja noch keiner. Aber Andy war immer der Boss. Der Motor. Die Maschine. Der Grund, warum alle anderen da waren. Von der Factory geht’s rüber zur Party als kreatives Happening. Auch jetzt sind wieder alle da. Und noch ein paar Schöne und Kluge dazu: Jerry Hall, Truman Capote, Liza Minelli … Weiter geht es mit Performance, Mode, Musik, Writers & Politics. Jedes Kapitel grenzt sich mit satter Wandfarbe vom nächsten ab, es wechseln Türkis, Lila, Gold. Gezeigt werden rund 200 Fotografien, Bilder, die uns mitnehmen nach New York, London und Paris. Man blickt durch die Linse der großen Fotografinnen und Fotografen der Zeit, von Diane Arbus, über Richard Avedon, Gary Winogrand, Helmut Newton, Annie Leibovitz bis zu Robert Mapplethorpe. Die Kamera ist immer dabei, als Gast, als Freund, als Bewunderer, sie ist alles mögliche nur eines ist sie nie: neutral. Und egal, ob man in Susan Sontags schönes Gesicht blickt oder Rod Stewards Leopardenanzug bewundert oder Eva Hesse einen ganz ruhig anschaut – andauernd denkt man: wie jung sie alle sind. Das wir vergänglich sind, ist banal. Und dennoch immer wieder neu.