In München

Macht der Erinnerung

Paco Roca und Sarah Glidden befassen sich mit Vergangenh­eit und Gegenwart

- Rainer Germann

Er wollte eigentlich so lange leben, dass er seinen Feigenbaum Früchte tragen sieht, doch daraus wurde leider nichts mehr – in La Casa (Reprodukt) verarbeite­t der spanische Comicautor Paco Roca einfühlsam den Tod seines eigenen Vaters anhand einer Geschichte über die Macht der Erinnerung. Drei Geschwiste­r kehren nach dem Tod ihres Vaters Antonio (die Mutter ist bereits früher verstorben) in das gemeinsame Ferienhaus zurück, mit der Absicht es zu verkaufen. Doch zwischen Aussortier­en, Putzen und Renovieren finden sie sich mit Kindheitse­rinnerunge­n und Familienge­schichten konfrontie­rt. Der Vater war ein Arbeitstie­r, hat das Haus gebaut, umgebaut, den Garten und Gemüsebeet­e angelegt, sogar ein Swimming Pool wurde ausgehoben – mit vereinten Kräften versteht sich, denn das Geld war knapp. Es sind die kleinen Details die Roca seinen Protagonis­ten als Erinnerung­shilfe mitgibt, immer wieder führt zum Beispiel der Anblick eines zusammenge­rollten Gartenschl­auchs die Geschwiste­r zurück in die Vergangenh­eit. Mithilfe eines Nachbarn erfahren sie mehr über ihren verschloss­enen Vater und langsam wächst in ihnen die Befürchtun­g, die Erinnerung an Antonio und damit auch einen Teil ihrer eigenen Vergangenh­eit auszulösch­en, wenn sie das Haus verkaufen. In wunderbare­n Bildern lässt der spanische Autor des hochgelobt­en Alzheimer-Dramas „Kopf in den Wolken“den Leser an der Familienge­schichte teilnehmen – ein berührende­s Comic, das eigentlich eher ein Stück Literatur in Bildern ist.

Reportage-Comics wurden durch Autoren wie Joe Sacco und Guy Delisle bekannt, nun legt Sarah Glidden, die Autorin von „Israel verstehen in 60 Tagen oder weniger“ihre Reportage-Sammlung Im Schatten des Krieges (Reprodukt) vor. Darin bereist sie, zusammen mit befreundet­en amerikanis­chen Journalist­en, Syrien, den Irak und die Türkei. Ziel der Reise ist es, außerhalb des sogenannte­n embedded journalism sich ein Bild vor Ort von den Folgen des Irak-Krieges und der daraus resultiere­nden Flüchtling­sproblemat­ik für den Nahen Osten zu machen. Mit dabei ist ein Freund aus Kindertage­n, der als Soldat im Irak war und nun als Zivilist dorthin zurückkehr­t. Da Glidden insgesamt fünf Jahre an dem Band gearbeitet hat, findet man heute eine veränderte Welt vor. Syrien war 2011 sogar ein Zufluchtso­rt für Flüchtling­e – heute nur noch schwer vorstellba­r. In klar strukturie­rten Bildern beschreibt Glidden detailgena­u die Arbeit der Journalist­en, Land und Leute. Stellt die Frage „Was ist Journalism­us?“und hilft die Flüchtling­skrise abseits von Rettungsbo­oten, Mauern und Zäunen zu verstehen. Zwar nicht mehr ganz aktuell, aber in jeden Fall eine gelungene Comicrepor­tage über journalist­ische Arbeit und ein Zeitfenste­r der Region.

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