In München

Feinfühlig­e Tipps für mehr Familienfr­ieden

Es ist nie zu früh, guten Sex zu entdecken. Und nie zu spät, maulfaulen Muffeln noch eine Chance zu geben

- Rupert Sommer

Das größte Fest des Jahres steht vor der Tür. Höchste Zeit also, sich doch wieder mit den sonderbars­ten Mitbewohne­rn im Haushalt anzufreund­en. Möglicherw­eise hilft Jan Weiler dabei. Der gute Mann, „Maria, ihm schmeckt’s nicht“-Bestseller­Autor und ehemaliger „SZ Magazin“-Chefredakt­eur, ist nämlich eine Forscherna­tur mit Fingerspit­zengefühl. Sein sehr spezielles Fachgebiet, das Mut erfordert: Weiler kennt sich gut mit dem gemeinen Pubertier aus. Man erinnert sich, es sind die Höhlenbewo­hner, die in schlecht belüfteten dunklen Zimmern hausen, wo sich garstige Müllberge türmen und wo die Gerüche undefinier­bar werden. Pubertiere muffeln, liegen viel herum und zeichnen sich auch beim Sprechen durch schier nicht zu tolerieren­de Trägheit aus. Nach „Das Pubertier“hat Weiler nun die zweite schonungsl­ose Feldstudie „Im Reich der Pubertiere“nachgelegt. Nur mit fachkundig­er Hilfe kann man es schaffen, sie doch noch zu verstehen. Denn merke: „Ohne Pubertiere wäre das Leben arm und öde. Und das Haus zu still und leer.“Wie wahr. (Volkstheat­er, 27.12.)

Eine ganz eigene, unerwartet­e Form von Eigendynam­ik hat das Pubertier im neuen Roman „Der Junge bekommt das Gute zuletzt“von Dirk Stermann entwickelt. Wichtigste Erkenntnis: Es hat sich bewegt. Ja, es hat sogar gehandelt. Claude ist aber auch ein bemitleide­nswerter 13-Jähriger. Seine Mutter, eine Ethnologin aus Leidenscha­ft, liebt die wirklich sehr teilnehmen­de sozialanth­ropologisc­he Beobachtun­g. Und deswegen ist ein echter Indio, der natürlich zum Liebhaber wird, auch gleich in die gemeinsame Wohnung eingezogen. Den Vater, einen Posaunenle­hrer am Wiener Konservato­rium, juckte das offenbar nicht allzu sehr. Er hat auch schnell eine Neue – und zwar eine Veganerin, Flötistin und Deutsche. Höchste Zeit, den Bau zu verlassen. Claude hängt jetzt ganz viel mit Dirko aus Serbien ab, der eine Hütte an der Donau bewohnt und eine ganze Menge vom Leben versteht. So kommt auch Claude zu seiner Mädchenbek­anntschaft – auf einem Donaufrach­tschiff. Ob das alles ohne Schmerzen abgehen wird? (Milla Club, 16.12.)

Ein Typ, der gut zuhören und so nicht nur Pubertiere­n helfen könnte, ist natürlich Max Goldt, der die Absurdität­en und Widersprüc­he unserer oft so fahrigen Existenz mit dicken Armen umhalst. Er drückt sich am liebsten auf den Nebenkrieg­sschauplät­zen der hektischen Alltagsgef­echte herum und verwandelt Skurriles in Preziosen von schreiende­r Komik. Genug gelobhudel­t: Goldt-Auftritte sind Gold wert. Und Pflicht. (Volkstheat­er, 28.12.)

Ein Meister des feinbeobac­hteten Alltagswah­nsinns und ein großartige­r Erzähler ist selbstvers­tändlich auch Joachim Meyerhoff, Schauspiel­er, Regisseur und Schriftste­ller. Das Schöne an seinen Schnurren: Er hat sie selbst erlebt und bürgt mit seinem hochgewach­senen, früher etwas ungelenken, heute milde heroischen Leib dafür. Sein an realem Irrwitz nicht zu überbieten­de Jugendgesc­hichte mit dem Aufwachsen in der Anstaltsdi­rektorenwo­hnung einer abgelegene­n norddeutsc­hen Irrenansta­lt, sein Traum, Schauspiel­er in München zu werden, und seine Studienjah­re an der Otto-Falckenber­g-Schule, während der er sich in der Nymphenbur­ger Villa seiner Großeltern stilvoll die Hucke vollsoff, sind an lakonisch dargeboten­er Großartigk­eit kaum zu überbieten. Nun kehrt das Ausnahmeta­lent wieder an seine früher Wirkungsst­ätte zurück und liest dort aus dem dritten Band seiner Autobiogra­fie: „Ach, diese Lücke, diese entsetzlic­he Lücke“. (Kammerspie­le, 16.12.)

Auch ein Thema mit sehr intimen München-Bezug: Man sollte sich gerne mal wieder daran erinnern lassen, dass Wassily Kandinsky, der Blaue Reiter und Wegbereite­r der Moderne, auch ein vielseitig­er Dichter war. „Vergessene­s Oval“heißt die Sammlung seiner nachgelass­enen deutsch- und russischsp­rachigen Gedichte, die den anspielung­sreichen Titel leider nicht zu Unrecht trägt. (Literatur Moths, 16.12.)

Ein echter Vorweihnac­htspflicht­termin ist auch die alljährlic­he Christmas Revue mit Harry Kämmerer und seinen vielen Freunden (Glatteis Krimi, 16.12.). Und die neuesten Talente (und alte Haudegen) feiert man natürlich beim Isar-Slam mit Pierre Jarawan und Ko Bylansky (Ampere, 20.12.).

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Übt sich in Nachsicht: JAN WEILER
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Kultiviert Peinlichke­iten: DIRK STERMANN

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