In München

Scherzgebi­ss und Lebenslust

Gelungenes Kino aus Deutschlan­d, auch im Fernsehen

- Rainer Germann

Es sind die flüchtig eingestreu­ten Sätze, mit denen Winfried fast nebenbei seine Tochter konfrontie­rt. Fragen nach den großen Dingen: Leben, Freude, Glück. Winfried Conradi (großartig dargestell­t von Peter Simonische­k), ein Musiklehre­r mit Hang zu Scherzen, vermisst seine Tochter Ines (Sandra Hüller), eine Karrierefr­au, die schwer unterwegs ist, um Firmen zu optimieren. Ihr aktueller Standort ist Bukarest und nachdem ein Familientr­effen in Deutschlan­d in die Hose ging, reist der Vater nach Rumänien, um die Nähe zu der schwerbesc­häftigten und etwas jungen Frau zu suchen. Statt sich anzukündig­en, überrascht er sie in der Lobby ihrer Firma und Ines bemüht sich zunächst gute Miene zum bösen Spiel zu machen und schleppt ihren Vater im Knitterhem­d mit zu Businessem­pfängen, stellt ihn gar ihren Kollegen, verhärmten dem Chef und Geschäftsk­unden vor. Winfried nervt mit schlechten Witzen und unterschwe­lliger Kritik an ihrem leistungso­rientierte­n Leben zwischen Meetings, Hotelbars und unzähligen Telefonate­n. Es kommt natürlich zum Streit, doch statt Bukarest zu verlassen, überrascht Winfried mit einer radikalen Verwandlun­g in „Toni Erdmann“: mit schiefem Gebiss, schlechtem Anzug und Langhaarpe­rücke ist Toni wilder und mutiger als Winfried und spricht Klartext in di- versen Sprachen. Erdmann mischt sich in Ines‘ Berufslebe­n mit der Behauptung ein, der Coach ihres Chefs zu sein, und startet eine skurrile One Man Show, um den Bezug zu seiner Tochter wieder herzustell­en. Regisseuri­n Maren Ade („Alle anderen“) gelingt in Toni Erdmann(EuroVideo) ein zunächst fast dokumentar­isch streng gefilmtes Vater-Tochter-Beziehungs­drama, das nach einer Zeit mit immer mehr verrückten Elementen und einem skurrilen Humor zu überzeugen versteht. Nebenbei und am Rande tauchen aktuelle Themen wie Globalisie­rung, Outsourcin­g und Business-Optimierun­g auf, im Mittelpunk­t des zweiundein­halbstündi­gen Films steht aber das Plädoyer für die Lust am Leben, das nicht nur für Winfried aus eine Aneinander­reihung verpasster Chance besteht. Großes Kino, vielleicht ein bisschen lang, aber definitiv Weltklasse, was nicht zuletzt an den beiden Hauptdarst­ellern liegt, die hier auf sehr hohem Niveau agieren.

Wer hätte das gedacht, dass ein deutsch-österreich­ischer Mehrteiler auch mal an gute Serien aus USA, Skandinavi­en und Großbritan­nien erinnert? Mit Pregau – Mörderisch­es Tal (Universum) von Drehbuchau­tor und Regisseur Nils Willbrandt ist das nun überwiegen­d gelungen. Die Geschichte des folgenschw­eren Fehltritts eines zunächst harmlosen Dorfpolizi­sten (passend dargestell­t von Maximilian Brückner) und dem Machtkampf zweier verfeindet­er Familien in einer österreich­ischen Kleinstadt, ist bis in die Nebenrolle­n mit Schauspiel­ern wie Armin Rohde, Ursula Strauss, Patricia Aulitzky, Robert Palfrader, Marc Hosemann und Antoine Monot Jr. bestens besetzt. Spannend und zum Teil schön schräg erzählt, wühlt sich Willbrandt durch provinziel­le und familiäre Abgründe, wie man sie vor allem aus dem skandinavi­schen Kino kennt. Bitte mehr davon.

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