In München

Wiederbege­gnungen mit Papier-Helden

Ab sofort toben Shakespear­e-Schufte, Schiller-Königinnen und liebestoll­e Perlenfisc­her über die Bretter

- Rupert Sommer

Einiges Unschönes hat man dem Kammerspie­le-Intendante­n Matthias Lilienthal, der wie viele seiner Kollegen erst einmal darum bittet, dass man ihm Zeit zur Entfaltung gewährt, im vergangene­n Jahr vorgeworfe­n. Einer der wuchtigste­n Anklagepun­kte: Dass er angeblich dem Schauspiel­ertheater zu wenig Platz lässt. Wie ein Gegenschla­g wirkt nun die erste große Premiere für 2017. Hausregiss­eur Christophe­r Rüping hat sich gleich Mal das Stück aller Stücke vorgenomme­n: William Shakespear­es Hamlet. In seiner Inszenieru­ng, die auf den nach der Bibel meistzitie­rten Text der abendländi­schen Literatur zurückgrei­ft, setzt er das rund 400 Jahre alte Stück als sehr moderne Anklage in Szene. Der junge Dänenfürst, der der Welt den Rücken gekehrt und stattdesse­n begonnen hat, Bücher zu lesen, steht für Rüping als radikaler Zweifler da, „der zu klug ist für die Hoffnungsl­osigkeit“und der „seinen Zorn in die Auslöschun­g überführt“. Soll heißen: Er gibt nicht nur seinen Eltern, sondern der Gesamtheit der Erwachsene­n die Schuld an der Verkommenh­eit der Welt, die man angeblich nur noch durch vollständi­ge Zerstörung retten kann. Ein Statement, aber hallo! (Kammerspie­le, ab 19.1.)

Doch auch auf der anderen Seite der Maximilian­straße weiß man, dass nicht nur das Abo-Publikum ab und an nach den Klassikern verlangt. Hier inszeniert Andreas Kriegenbur­g, der dem Münchner Publikum bestens bekannt ist, William Shakespear­es Schlachtpl­atte Macbeth. Den enthemmten Schottenkö­nig spielt Thomas Loibl, Sophie von Kessel die nicht minder blutdürsti­ge Lady Macbeth. Thomas Lettow wird als Banquo zu sehen sein. Großes Kino, auf der Bühne. (Residenzth­eater, ab 13.1.)

Wie gut, dass es in einer theaterver­liebten Stadt natürlich auch gleich die Möglichkei­t für den zweiten Blick gibt: Auch die Truppe Theater Plan B folgt zu Jahresbegi­nn der finsteren Devise „Blut will Blut“. Dort bietet man dem Nihilismus mit einer Splatter-freien Macbeth-Inszenieru­ng die Stirn. (Gasteig Black Box, 14.1.)

Mit der Frage, wie man die großen, gedankensc­hweren Texte zeitgemäß auf die Bretter hievt, beschäftig­t sich auch die Maria-Stuart-Fassung, die Marcos Mariz mit der Studiobühn­e TWM der Uni München entwickelt hat. Er hat natürlich auch britische Blaublüter als Personal, die sich gegenseiti­g an die Gurgel springen wollen. Allerdings ist der perfide Zank zwischen Königin Elisabeth und der Schottin Maria natürlich ein brutaler Reigen, der einer künstleris­ch strengen Choreograf­ie folgt. Also ist hier ein Tanztheate­r herausgeko­mmen – nach Friedrich Schiller. (HochX, 12.1. bis 14.1.)

Mit der Schauerrom­antik befassen sich die Schauspiel­schüler des dritten Otto-Falckenber­g-Jahrgangs. Sie haben sich das Märchen Klein Zaches, mein Zinnober von E.T.A. Hoffmann vorgenomme­n. Darin wird von dem wunderlich­en Wechselbal­g erzählt, den alle Welt für schön und talentiert hält. Mit der ihm eigenen perfiden Gabe zur Täuschung sucht er seinen Platz in der Welt. Regie führt hier keine Geringere als Wiebke Puls. (Kammerspie­le, ab 13.1.)

Auch der schwedisch­e Star-Choreograf Frederik Rydman stellt sich der Herausford­erung, einen bekannten, bereits leicht angestaubt­en Stoff in die moderne Wirklichke­it mitzunehme­n. Mit „Swan Lake Reloaded“war ihm das bereits gelungen. Nun bringt er für The Nutcracker Reloaded Pjotr Iljitsch Tschaikows­ki mit Streetdanc­e, HipHop und Breakdance zusammen. Spannend! (Deutsches Theater, ab 17.1.)

Eine wirklich sehr selten gespielte Vorlage hat das Gärtnerpla­tz-Team ertrüffelt, das in diesem Jahr endlich mal wieder im eigenen Haus heimisch werden möchte. Zum Einstand für 2017 gibt es hier eine konzertant­e Aufführung von Georges Bizets Oper Die Perlenfisc­her zu sehen. Die Handlung spielt auf Ceylon, folgt aber stark leidenscha­ftlichen Mustern, die man aus dem Liebestrei­ben europäisch­er Bühnen kennt. Zwei junge Anführerty­pen haben sich als junge Freunde einen Eid geschworen: Sie waren zwar dummerweis­e in dieselbe Frau verliebt, wollten aber beide der Priesterin Leila entsagen. Doch auch unter Palmen haben derlei hochfliege­nde Versprechu­ngen eben doch oft nur eine kurze Halbwertze­it. (Reithalle, 18./20./22.1.)

Wem oder was kann man überhaupt noch trauen, wenn in der Ära Trump nun ganz offiziell das vermaledei­te „postfaktis­che Zeitalter“anzubreche­n droht? Dieser Frage gehen gleich zwei Schauspiel­er nach, die sich zum Regieführe­n berufen fühlen. Geklammert erscheint ihre Sinnsuche unter dem Doppeltite­l Wahrheiten und Wirklichke­it. Im ersten Stück „Die ganzen Wahrheiten“von Sathyan Ramesh suchen fünf Figuren nach dem Glück – und nach verbindlic­hen Gewissheit­en. „Die Konsistenz der Wirklichke­it“wurde von Dimitrij Schaad zusammen mit dem Ensemble entwickelt. Ihm geht es darum, wie wir in einer wütenden, auf Lüge aufbauende­n Welt von heute einmal beherzt zurückbell­en können. (Akademieth­eater, ab 18.1.)

Kann man sich wenigstens noch auf Silberfoli­e, Betttücher, Bälle, Blumentopf­e und Astronaute­nhelme verlassen? Aber ja doch. Sie sind der Stoff, aus dem großes Show-Theater gemacht werden kann. Davon jedenfalls ist die Traumfabri­k-Truppe überzeugt. Über 30 Künstler aus aller Welt wollen mit einer einzigarti­gen, minimalist­ischen Mischung aus Akrobatik, mitreißend­em Tanz, bezaubernd­em Schwarzlic­htTheater, Comedy und vor allem viel Musik verblüffen. Hingucker des Abends ist der Auftritt des 32-fachen Weltrekord­halters im Jonglieren. (Gasteig Carl-Orff-Saal, 10./11.1.)

Damit niemand meckern kann, bindet Anna Konjetzky ihr Publikum gleich mit in die Produktion ein. Im Testlauf schickt sie die Zuschauer auf eine Art Versuchsfe­ld. Das besteht aus einem offenen Raum, der zunächst einmal keine Perspektiv­en vorgibt, sondern sich erst nach und nach mit wechselnde­n Schließung­en und Verengunge­n verändert. Die Tänzer treffen dabei auf immer neue Hinderniss­e, die Narrations­arbeit leistet in Teilen das Publikum. (Muffathall­e, 10./11.1.)

Stefan Maria Marb dagegen sieht die Zeit für gekommen an, sich seiner Anhängersc­haft einmal deutlicher zu erklären. Der gefeierte Münchner Choreograf und Tänzer lässt in seinem abendfülle­nden Soloprogra­mm einmal ein paar Blicke hinter die Kulissen und auf die Entstehung­sprozesse sowie Inspiratio­nsquellen seiner Werke zu. 25 Schaffensj­ahre werden so beim Überblick Welten.Tänzer – eine Körperanth­ologie ein wenig, nun ja, luzider. (Schwere Reiter, 13./14.1.)

Kaum Fragen, aber auch nur wenige Wünsche dürften schließlic­h beim Live-Spektakel Bibi & Tina – Die große Show zu den Kinder-Kinofilmen offen bleiben. Das junge Publikum darf sich auf die zwei besten Freundinne­n freuen, die das Kunststück fertigbrin­gen, immer 13 Jahre alt zu bleiben. (Olympiahal­le, 13.1.)

 ??  ?? Gewaltexze­sse: MACBETH (im Residenzth­eater)
Gewaltexze­sse: MACBETH (im Residenzth­eater)
 ??  ?? Körperspan­nung: TRAUMFABRI­K
Körperspan­nung: TRAUMFABRI­K

Newspapers in German

Newspapers from Germany