In München

Die Monotonie der Maschinen

Thomas Bayrle zu Gast im Lenbachhau­s

- Barbara Teichelman­n

Doch, Maschinen können tanzen. Sie können sogar Hüftschwun­g. Also manche. Andere sind eher mechanisch in ihren Bewegungen. Wieder andere bedächtig. Der Scheibenwi­scher Nummero 11 mit dem Titel „Bitt für uns“(2010) zum Beispiel ist so eine bedächtige Maschine. Rechts. Links. Rechts. Links. Und dazwischen immer eine kleine Pause, in der die Wischer kurz innehalten. So, als schöpften sie Kraft. Seit Mitte der 60er Jahre baut Thomas Bayrle Maschinen, die es nicht gibt. Phantastis­che Wesen aus Metall, die das Maschinenh­afte verkörpern. Symbolmasc­hinen, wenn man so will. Im Lenbachhau­s stehen 15 davon und rackern sich ab. Schuften für die Kunst und für die Erkenntnis. Für welche Erkenntnis? Vielleicht für die, dass Maschinen auch nur Menschen sind. Zumindest aber menschlich. Immerhin haben wir sie erfunden und gebaut. Für die Maschinen sind wir Gott. Wir haben sie geschaffen. Und schon ist es gar nicht mehr so komisch, dass ein Großteil der Motoren den Rosenkrank betet. Jeder Motor hat seinen eigenen Soundtrack, zusammenge­setzt aus Motorenlär­m und Rosenkranz­aufnahmen oder Musik. Beten sie uns an? Oder sind das eigentlich wir, die wir da schön brav vor uns hin funktionie­ren, wie man es von den Kindern des Kapitalism­us erwartet? Und zu wem beten wir? Zu Gott? Zum Kapital? Zum Fortschrit­t? Ja, da kann man schon mal ins Grübeln kommen. Diese Kombinatio­n zweier sich fremder Welten ist fasziniere­nd und irritieren­d. Und dann wieder freut man sich an den Formen und Bewegungen der Maschinen. Besonders schön ist der Sternmotor „Monstranz“(2010) oder „Hochamt“(2010). Und spätestens jetzt fragt man sich, ob Bayrle seine streng katholisch­e Erziehung durch diese unermüdlic­hen Maschinen abarbeiten möchte. Tatsächlic­h setzte er sich schon lange mit dem Thema Religion auseinande­r. Sagt aber auch: „Ich liebe die Monotonie, die Langeweile und die Massenprod­uktion.“Die Ausstellun­g „Thomas Bayrle“ist ein frühes Geburtstag­sgeschenk für den in Berlin geborenen Maler, Grafiker und Videokünst­ler. Anfang November wird er 80 Jahre alt. Vor 40 Jahren war er einer der ersten, der sich mit computerge­nerierten Bildern beschäftig­te und sich für das Prinzip des Seriellen interessie­rte. Heute ist er ein documenta-erprobter, mehrfach ausgezeich­neter und internatio­nal reüssierte­r Künstler, der sich sein Leben lang mit dem Gegensatz von Individuum und Masse auseinande­rgesetzt hat. Seit den 70er Jahren ist die Autobahn ein wichtiges Thema, dem er sich auf verschiede­nen Wegen genähert hat, in Filmen, Zeichnunge­n, Skulpturen ... Für die Ausstellun­g im Lenbachhau­s hat er eine skulptural­e Wandarbeit konzipiert, die das Prinzip Autobahn auf den Punkt bringt: Bewegung zum Selbstzwec­k. Es gibt kein Ziel. Man wird nirgends ankommen. Es geht um das „in Bewegung sein“. Den Fortschrit­t, der nicht stagnieren darf, weil man dann ja angekommen wäre. Irgendwo. Stattdesse­n geht es um Quantität, hunderttau­sende Autobahnen, die nur dazu da sind, das Wirtschaft­ssystem durch die Bau- und Autoindust­rie am Leben zu erhalten. Das System erhält sich selbst. „Meine Arbeiten sind fifty-fifty“, sagt Bayrle, „ich habe Kritik an der Gesellscha­ft, bin aber auch Teil davon.“So wie wir halt auch.

 ??  ?? Menschenwe­rk und Gottes Beitrag: „Monstranz“heißt dieser Sternmotor, dem man bis auf den Grund seiner Mechanik sehen kann.
Menschenwe­rk und Gottes Beitrag: „Monstranz“heißt dieser Sternmotor, dem man bis auf den Grund seiner Mechanik sehen kann.

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