Besser Bio – Bio basta?
Wahrheiten und Trends rund um ein Wirtschaftswunder
Zweistellige Wachstumsraten und kein Ende in Sicht. Während allerorten wirtschaftliche Einbrüche lauthals bejammert werden – die Ökobranche boomt. Zeitgeist, Mode oder doch so etwas wie der tiefsitzende, existenzielle Überlebenswille? Nach wie vor scheiden sich an dem Thema die Geister. Die Gegner bewaffnen sich weiterhin mit den Skandalnachrichten um die ewige Biolüge und das Lager der Befürworter kann sich nicht so recht entscheiden, ob es um die eigene Gesundheit geht oder doch vielleicht auch um Verantwortung. Wir haben uns mal wieder umgesehen an der Front :
Chiemgauhof Locking: Von Weitem wie das überdimensionale Riesenleintuch aus der TV-Waschmittelwerbung, flatternd über sattem Grün –tatsächlich sind es Hunderte schneeweißer Einzeltupferl, die munter gackernd hinauf auf den Hügel tippeln. Hier in Amerang, rund 70 Kilometer östlich von München zwischen Wasserburg und Chiemsee dürfen Scharen junger Gockerl und Hühner, was ihren Artgenossen in der industriellen Mast bzw. in den Legebatterien auch nicht annähernd vergönnt ist. Artgerecht leben auf großzügigen, naturbelassenen Freiflächen und in geräumigen Stallungen. Die bittere Realität der modernen Massenhaltung sieht bekanntlich deutlich anders aus: Seit Ende der 50er Jahre werden Hühner strikt getrennt entweder als Fleisch- oder als Eierlieferanten gezüchtet. 95 Prozent sind inzwischen solche Inzucht-Tiere (Hybriden), selbst unfruchtbar, mit schmerzenden Skelettdeformationen und vielen weiteren Qualzucht-Erkrankungen. Aber fünf statt 20 Wochen bis zum Schlachtgewicht ist halt nur eines der schlagenden wirtschaftlichen Argumente. Die routinemäßige Vergasung bzw. das Schreddern von mehr als 40 Millionen frisch geschlüpfter männlicher Küken dürfte allerdings sogar abgebrühten Dickhäutern zusetzen. Ein neuer Trend deshalb in den Reihen der Biobetriebe – die Zweinutzungshuhnhaltung. Ok, ziemlich gespreizter Begriff und eigentlich eine Rückkehr zur ursprünglichen Hühnerhaltung im kleineren Rahmen, die eben Eier und Fleisch gleichermaßen liefert. Florian Richters rund 900 Les Bleus –Hähne (eine französische Rasse, die mit den so typisch blauen Füßen) erreichen ihr Endgewicht von ca. zwei Kilo –ganz natürlich –erst nach 20 Wochen und eignen sich dann mit ihrem langsam angesetzten, saftigen Fleisch hervorragend zum Braten. Die Eier der „Blauen“haben auffallend große Dotter und sind besonders aromatisch, die Hennen werden als Suppenhühner vermarktet. Im sympathischen Familienbetrieb der Richters gibt es außerdem Schweinefleisch und Wurstwaren (von Hallischen Säuen), Kartoffeln und Gelbe Rüben (eine alte Sorte) – alles ab Hof und in ausgewählten Bio-Märkten. Und zurecht – wie wir meinen – stellen sich Florian Richter und seine Blauen dem harten Wettkampf bei der Suche nach den besten Bioprodukten Bayerns (s.u.). www.chiemgauhof-locking.de
Bio in Deutschland und Europa: Für die ökologisch einwandfreie Qualität dieser Produkte und artgerechte Haltung garantiert auch hier das grüne Naturland-Siegel.Naturland ist neben Demeter, Bioland und Biokreis einer unserer bedeutendsten Öko-Anbauverbände, deren bayerische Vertretungen die deutschlandweit mit Abstand strengsten Prüf- und Zulassungskriterien ansetzen. Im Gegensatz zu „Naturkost“, „nachhaltig“oder „aus der Region“u.ä. sind die Begriffe Bio und Öko in der EU seit 2008 gesetzlich definiert und geschützt: Aus ökologisch kontrolliertem Anbau und u.a. ohne chemische Zusätze oder gentechnische Veränderungen sollen sie produziert sein und tierische Produkte aus artgerechter Haltung. Soweit der Gesetzesrahmen, für den das grüne rechteckige EU-Bio-Siegel (Euroblatt seit 2012) einsteht. Doch auch Importprodukte aus Nicht-EU-Ländern, deren biologische Herstellung sich nicht lückenlos zurückverfolgen lässt, können sich dahinter verstecken. Ebenso müssen Eigenmarken von Supermärkten (z.B. Gut Bio von Aldi) lediglich diese EU-Norm erfüllen und erst recht nicht zwangsläufig regionalen Ursprungs sein. Ein ähnliches Sicherheitslevel verspricht das wohl bekannteste nationale sechseckige Bio-Siegel (seit 2001), derzeit auf immerhin 75.743 Produkten von 4.828 Unternehmen in Deutschland (Stand 30.11.16). www.oekoland-bayern.de www.oekolandbau.de
Ganz anders die Situation bei den vier großen Verbänden (s.o.), die wesentlich enger gefasste Maßstäbe ansetzen und bis zu 80 unterschiedliche Kontrollstandards prüfen. Hier kommen auch klima- und umweltschutzrelevante, regionale und soziale Aspekte zum Tragen. Zertifiziert und regelmäßig überwacht werden Erzeuger, der Handel und auch Gastrobetriebe übrigens generell von unabhängigen privaten Unternehmen wie der Abcert AG oder Lacon GmbH, die dann auch die allseits bekannten Quasi-Bio-TÜVPlaketten vergeben (z.B. DE-ÖKO-006). Die Ziffer bezeichnet übrigens immer das zertifizierende Institut. www.abcert.de www.bioland.de www.biokreis.de www.demeter.de www.naturland.de Bei uns agieren Bioland und Co unter dem Dach der Landesvereinigung für den ökologischen Landbau in Bayern e.V. (LVÖ). Dieses Team der LVÖ mit Sitz in Pasing ist es auch, das sich u.a. auf Bundes- und EU-Ebene für gerechte Preise und Konditionen für die inzwischen immerhin mehr als 8.000 hiesigen Ökoproduzenten (vergl.1986 800, 2015 7.300) einsetzt. Und Bayern kann sich durchaus sehen lassen: Über ein Drittel aller Bio-Höfe Deutschlands stehen hier, derzeit eine Fläche von mehr als 250 000 Hektar. Zudem rund 3.000 Öko-Verarbeitungs- bzw. Handelsunternehmen und alleine in den letzten beiden Jahren haben 1.500 weitere Betriebe auf ökologischen Landbau umgestellt. So gesehen erscheint die BioRegio Bayern 2020 – ein kühnes Programm (2013 verabschiedet), das u.a. eine Verdopplung der Gesamtökoproduktion bis 2020 vorsieht –tatsächlich realisierbar.
Einen weiteren starken Impuls erfuhr die Bewegung mit der Einführung eines eigenen Bayerischen BioSiegels im Herbst 2015. Das hellblaue liegende Ei mit dem prominenten bio-Schriftzug im Oval brachte der LVÖ innerhalb kurzer Zeit 50 Lizenznehmer und mehr als 500 Produkte. Die Ausrichtung an den hohen Standards der hiesigen Verbände – deutlich über dem gesetzlichen Niveau – und der Aspekt der Regionalität waren die tragenden Motive für die Entwicklung des neuen