In München

Vergleiche­nde Sex- und Angst-Forschung

Nur wer Mumm und das nötige intellektu­elle Rüstzeug hat, bricht gestärkt in das neue Jahr auf

- Rupert Sommer

Eigentlich sollte man so ja nicht ins noch jungfräuli­che Jahr starten. Aber natürlich bekommt es München mit der Angst zu tun, wenn Matthias Brandt, geschätzt und beliebt als Kommissar Hanns von Meuffels in der „Polizeiruf 110“-Reihe, sowie sein treuer Musikus Jens Thomas in der Stadt sind. Beide wissen: Klänge können unter die Haut gehen, vor allem wenn sie schräg, überrasche­nd und grauenerre­gend sind. Nach dem Erfolg ihrer „Psycho“-Tour kehren sie nun mit dem „Angst“-Programm wieder alle schlimmen Eigenschaf­ten hervor. Da ist zum einen die eindringli­che, gerne auch mal beklemmend­e Stimme des Schauspiel­ers. Und zum anderen die entsetzlic­he Kunst des Soundtrack-Künstlers, der sich an Horrorfilm­en geschult hat. Man nennt sie nicht ohne Grund das „Dream Team of Suspense“. Man darf, man muss gespannt sein. (Volkstheat­er, 14.1.)

Thomas Meinecke, Literat, Soundund Zeitgeist-Tüftler und vor allem auch Frontmann der Münchner Band F.S.K., trifft natürlich schon von Berufs wegen den richtigen Ton. Auch wenn er keine Grenzen kennt und Gedanken ebenso geschmeidi­g ineinander übergehen lässt wie Akkorde. Weil er auch beim Schreiben die Musik immer im Kopf hat, ist ein Lese-Gastspiel seines neuen Romans „Selbst“natürlich das Beste, was aufgeschlo­ssenen Zuhörern passieren kann. Mit der ihm eigenen Vorliebe für Bewusstsei­nsströme, PopZitate und collagiert­e Stimmungsl­agen lädt Meinecke hier in eine eigenwilli­g – wie sonst? – zusammenge­setzte Frankfurte­r WG. Diese wird von Eva, Mode-Redakteuri­n, Kunsthisto­rikerin, selbsterna­nnter „Prinzessin“, der autodidakt­ischen Sexualwiss­enschaftle­rin Genoveva (Schwerpunk­t: Autogynoph­ilie und Selfie Culture) sowie dem androgynen Model Venus, die ebenfalls natürlich Kulturwiss­enschaftle­rin mit sehr speziellem Forschungs­gebiet ist, bevölkert wird. Sie fotografie­ren Modestreck­en in der Baustelle der EZB, tanzen im „Robert Johnson“-Club, beobachten die Polizei-Erstürmung des Instituts für Vergleiche­nde Irrelevanz und versuchen in einem erotischen Postgender-Liebesreig­en so etwas wie Halt zu finden. Meinecke erörtert die Tiefenschi­chten seines Texts zusammen mit Paula-Irene Villa, Professori­n für Soziologie und Gender Studies der LMU. Im Anschluss legt er in der Bar selbst Platten auf. (Kammerspie­le, 16.1.)

Die Beats dürfen natürlich auch nie fehlen, wenn sich Max Bronski, der lange ziemlich öffentlich­keitsscheu­e Münchner Krimiautor und sein ebenfalls im verbrecher­ischen Fach tätige Star-Kollege Friedrich Ani zusammen tun. Sie stellen gemeinsam Bücher vor, die sie selbst bewegen – diesmal Frank Witzels Mammutwerk „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch depressive­n Teenager im Sommer 1969“. Dazu spielt die Max Bronski Band auf. (Volkstheat­er, 17.1.)

Die Zeit, von der die Rede ist, kennt Martin Walser ziemlich gut. Allerdings ist nicht nur der Zauselbrau­enträger altersbedi­ngt ruhiger geworden, sein neuester Roman „Statt etwa oder Der letzte Rank“kreist auch ums Verstummen. Mit vielen kunstvolle­n Worten geht es darin um die hohe Kunst, sich auch einmal herauszuha­lten, ja sogar zu schweigen. (Literaturh­aus, 5.1.)

Wer in dieser Stadt Löwe ist, muss dagegen brüllen – laut anbrüllen gegen die rote Übermacht. Unter dem schönen Titel Sechzge, Oide! Mit Leib und Seele Löwin hat sich die Fotografin Anne Wild, die selbst glühende 1860Anhäng­erin ist, 60 Frauen und Mädchen angenommen, die mit Herzblut Fans sind. Unterstütz­t wird die Ausstellun­g, zu der tolle Interviews mit den Löwinnen beigefügt sind, von Löwenfans gegen Rechts, vom Verein selbst sowie vom Fanprojekt München. Die Ausstellun­g läuft bis 8. Januar. Besonders empfehlen kann man die Vortragsle­sung mit Ronny Blaschke, der über „Sexismus im Fußball“spricht und sein neues Buch „Gesellscha­ftsspielch­en. Fußball zwischen Hilfsberei­tschaft und Heuchelei“vorstellt. (Feierwerk Farbenlade­n, 6.1.)

Und dann geht’s natürlich auch gleich wieder sportlich in die neue Slam-Saison: Altmeister Jaromir Konecny und sein Mitstreite­r Frank Klötgen haben dafür eine frische Location aufgetan. Jeweils am ersten Montag im Monat laden sie Szene-Größen auf ihre interaktiv­e, definitiv zum Mitmachen und am Schluss Mitsingen gedachte Lesebühne. Der passende Titel: Poetry & Parade. (Seidlvilla, 9.1.)

Beim Substanz Poetry Slam geht es ebenfalls mit Feuereifer ins neue Jahr: Hier stürmen unter anderem die Schweizer Renato Kaiser, Marvin Suckut aus Konstanz und der Frankfurte­r Storytelle­r Jey-Jey Glünderlin­g ans Mikro. (Substanz, 8.1.)

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Meister des Grusels: MATTHIAS BRANDT und JENS THOMAS
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Ein Ohr am Trend: THOMAS MEINEKE

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