Zampano weint!
Und wir auch: Beat Fähs allerletzte Inszenierung „La Strada“an der Schauburg
Der Schlussapplaus ist lang und er ist herzlich, ein Dankeschön, das weit über diesen Abend hinausgeht: Beat Fäh sagt salü, der Schweizer verabschiedet sich, als Regisseur, vom Theater. Künftig wird der drahtige 64-Jährige nur noch Coach sein, die Rollstuhlfahrer im Schweizer Paralympics-Team betreuen. Dieser Fakt ist der einzige Wermutstropfen bei dieser gut 100-minütigen Demonstration für ein kraftvolles, poetisches Theater, das Schauspielern vertraut, das mit reduzierten, nur vermeintlich simplen Mitteln fordert, berührt und unterhält. „La Strada“zu machen, nach Federico Fellinis legendärem Film (1954), war Fähs langgehegter Wunsch. Weil er einer seiner Lieblingsfilme ist, weil er von Verlierern erzählt, Randerscheinungen, Zukurzgekommenen. Und weil der Stoff damit durchaus aktuell ist, ohne politisch zu zeigefingern. Natürlich hat sich der Kinoklassiker mit Anthony Quinn und Giuletta Masina wohl bei jedem, der ihn gesehen hat, ikonographisch ins Herz gebrannt: Fellinis Bilder vom Athleten, der mit seiner einzigen Kettenspreng-Nummer von Ort zu Ort zieht, und seiner Assistentin, die die eigene Mutter an ihn verkauft hat. Mit diesen Bildern muss er konkurrieren, das weiß Fäh. Also schafft er gleich eine möglichst große Distanz zum Schwarzweiß des ärmlichen und depressiven Italien: die Zirkusgeschichte spielt in einer Manege, von Carolin Mittler in rotem Bogen in einen verwaschenen Raum gesetzt und grob mit Farbe bepinselt, von ein paar Glühbirnen ausgeleuchtet. Dazu die Musik von Portmanteau –Taison Heiß, Greulix Schrank: letzterer spielt auch mit, ein Zirkusmusiker mit tragbarem Trommelkonstrukt, das alles kann, von der Melancholie bis zum ironischen Kommentar. Die zweite Idee: Erzähltheater. Wo der Film einfach einen Schnitt macht, sagt Erzähler Peter Wolter (der sich mit anderen abwechselt): „Zeitsprung“. Oder: „Ortswechsel.“Funktioniert, denn um die Orte geht’s hier nicht. Es geht um die Menschen, und die bleiben immer da, in der Manege, bleiben immer Lebensspieler. Und machen dabei nicht immer, was der Erzähler schildert: das ist spannend, öffnet eine zweite Wahrnehmungsebene. Auch die Schauspieler machen den Film schnell vergessen. Lucca Züchner in der Masina-Rolle der Gelsomina ist ein armes, verzweifeltes –„Ich bin unnütz!“-, aber immer tapfer daherstapfendes Mädel. Aus aller Tragik findet ihr Gesicht wieder ins Lachen: nicht unterkriegen lassen. Mit Matto –Markus Campana, ein lustvoller, selbstbewusster Clown –winkt so gar einmal die Liebe. Aber sie bleibt bei Zampano. Die Misanthropie ins verhärmte Gesicht gestanzt, ist Thorsten Krohn kein Athlet, mehr Handtuch, was seine Selbstüberschätzung noch stärker wirken lässt. Am Schluss heißt es: „Zampano weint!“Ein langer, ein schmerzvoller Prozess. Für den große Räder gedreht werden müssen. Beat Fäh hat eine wundervolle Idee für die Mühlen der Kunst, des Lebens, der Gefühle: drei Rhönräder. Sie sind nicht nur akrobatisches Gerät, für Regina Speiseder, die sich durch mehrere Rollen brilliert, von der Nonne bis zur Zirkuschefin. Oder für Nick-Robin Dietrich, der artistisch im Rad kellnert. Sie choreografieren auch die Szene, stehen für Irritation, Gefahr, Gewalt, Unterdrückung: wenn sie, hin- und hergerollt, undurchdringliches Räderwerk sind, sich zusammendrängen und Zampano in der Enge einsperren, bedrohlich in der Horizontalen eiern. Oder zur Röhre geformt den Blick ins Weite freigeben. Grandios.