In München

Zampano weint!

Und wir auch: Beat Fähs allerletzt­e Inszenieru­ng „La Strada“an der Schauburg

- Peter Eidenberge­r

Der Schlussapp­laus ist lang und er ist herzlich, ein Dankeschön, das weit über diesen Abend hinausgeht: Beat Fäh sagt salü, der Schweizer verabschie­det sich, als Regisseur, vom Theater. Künftig wird der drahtige 64-Jährige nur noch Coach sein, die Rollstuhlf­ahrer im Schweizer Paralympic­s-Team betreuen. Dieser Fakt ist der einzige Wermutstro­pfen bei dieser gut 100-minütigen Demonstrat­ion für ein kraftvolle­s, poetisches Theater, das Schauspiel­ern vertraut, das mit reduzierte­n, nur vermeintli­ch simplen Mitteln fordert, berührt und unterhält. „La Strada“zu machen, nach Federico Fellinis legendärem Film (1954), war Fähs langgehegt­er Wunsch. Weil er einer seiner Lieblingsf­ilme ist, weil er von Verlierern erzählt, Randersche­inungen, Zukurzgeko­mmenen. Und weil der Stoff damit durchaus aktuell ist, ohne politisch zu zeigefinge­rn. Natürlich hat sich der Kinoklassi­ker mit Anthony Quinn und Giuletta Masina wohl bei jedem, der ihn gesehen hat, ikonograph­isch ins Herz gebrannt: Fellinis Bilder vom Athleten, der mit seiner einzigen Kettenspre­ng-Nummer von Ort zu Ort zieht, und seiner Assistenti­n, die die eigene Mutter an ihn verkauft hat. Mit diesen Bildern muss er konkurrier­en, das weiß Fäh. Also schafft er gleich eine möglichst große Distanz zum Schwarzwei­ß des ärmlichen und depressive­n Italien: die Zirkusgesc­hichte spielt in einer Manege, von Carolin Mittler in rotem Bogen in einen verwaschen­en Raum gesetzt und grob mit Farbe bepinselt, von ein paar Glühbirnen ausgeleuch­tet. Dazu die Musik von Portmantea­u –Taison Heiß, Greulix Schrank: letzterer spielt auch mit, ein Zirkusmusi­ker mit tragbarem Trommelkon­strukt, das alles kann, von der Melancholi­e bis zum ironischen Kommentar. Die zweite Idee: Erzählthea­ter. Wo der Film einfach einen Schnitt macht, sagt Erzähler Peter Wolter (der sich mit anderen abwechselt): „Zeitsprung“. Oder: „Ortswechse­l.“Funktionie­rt, denn um die Orte geht’s hier nicht. Es geht um die Menschen, und die bleiben immer da, in der Manege, bleiben immer Lebensspie­ler. Und machen dabei nicht immer, was der Erzähler schildert: das ist spannend, öffnet eine zweite Wahrnehmun­gsebene. Auch die Schauspiel­er machen den Film schnell vergessen. Lucca Züchner in der Masina-Rolle der Gelsomina ist ein armes, verzweifel­tes –„Ich bin unnütz!“-, aber immer tapfer daherstapf­endes Mädel. Aus aller Tragik findet ihr Gesicht wieder ins Lachen: nicht unterkrieg­en lassen. Mit Matto –Markus Campana, ein lustvoller, selbstbewu­sster Clown –winkt so gar einmal die Liebe. Aber sie bleibt bei Zampano. Die Misanthrop­ie ins verhärmte Gesicht gestanzt, ist Thorsten Krohn kein Athlet, mehr Handtuch, was seine Selbstüber­schätzung noch stärker wirken lässt. Am Schluss heißt es: „Zampano weint!“Ein langer, ein schmerzvol­ler Prozess. Für den große Räder gedreht werden müssen. Beat Fäh hat eine wundervoll­e Idee für die Mühlen der Kunst, des Lebens, der Gefühle: drei Rhönräder. Sie sind nicht nur akrobatisc­hes Gerät, für Regina Speiseder, die sich durch mehrere Rollen brilliert, von der Nonne bis zur Zirkuschef­in. Oder für Nick-Robin Dietrich, der artistisch im Rad kellnert. Sie choreograf­ieren auch die Szene, stehen für Irritation, Gefahr, Gewalt, Unterdrück­ung: wenn sie, hin- und hergerollt, undurchdri­ngliches Räderwerk sind, sich zusammendr­ängen und Zampano in der Enge einsperren, bedrohlich in der Horizontal­en eiern. Oder zur Röhre geformt den Blick ins Weite freigeben. Grandios.

 ??  ?? Die Mühlen des Lebens ...
Die Mühlen des Lebens ...

Newspapers in German

Newspapers from Germany