Industrielle Naturlandschaften
Albert Renger-Patzschs Ruhrgebietslandschaften in der Pinakothek der Moderne
Schon komisch, dass wir bei Landschaft automatisch an Idylle denken. Also an Natur, die unberührt und rein vor sich hin plätschert. An Bergeshöhen und Meeresufer. An knorrig gewachsene Bäume, geschützte Vögel, seltene Farne, bizarre Wolkenberge und schroffe Felsgipfel. Dabei wollte und konnte Landschaftsmalerei schon immer beides: idealisieren und abbilden. Es gibt phantastisch paradiesische Landschaftsbilder, in denen wir Ideale und Ideen erkennen können. Es gibt porträthafte Naturdarstellungen, die uns zeigen, wie der ständige Ostwind diesen einen kleinen Baum auf dem Hügel verbogen hat. Es gibt Landschaften, die dokumentieren, wie herrschaftlich der Landsitz dessen, der das Bild in Auftrag gab, in den saftigen Hügeln residiert. Es gibt Landschaften, die eigentlich Seelenlandschaften sind. Und es gibt Landschaftsbilder, die zeigen, wie die Kultur in die Natur eingreift. Die Ruhrgebietslandschaften von Albert Renger-Patzsch zum Beispiel. In den Jahren 1927 bis 1935 dokumentierte der Fotograf Stadtrand- und Haldenlandschaften, Hinterhöfe und Vorstadthäuser, Schrebergärten und Zechenanlagen. Diese Werkgruppe ist schon deshalb besonders, weil sie seine einzige nicht auftragsgebundene Arbeit war. Mit großer Nüchternheit, typisch für die Vertreter der Neuen Sachlichkeit, hielt er fest, was er sah und was ihm auffiel: Formen, Gebäude, Strukturen, Größenverhältnisse. Menschen begegnet man eher selten und wenn doch, dann fügen sie sich klein und unauffällig in Landschaft und Bildaufbau. 83 Fotografien der berühmten Serie zeigt die Pinakothek der Moderne, ergänzt durch Archivalien und Dokumente. Und natürlich ist es einen Ausflug in die Vergangenheit. Damals, als es noch Holzzäune gab und Zechen und Bergarbeitersiedlungen. Was alle diese zu Bildern gefrorenen Blicke miteinander verbindet, ist diese kühle Klarheit in der Komposition. Renger-Patzschs jederzeit präsente und glaubhafte Objektivität schützen vor Plakativität und Pathos und ermöglichen eine pragmatische Ästhetik. Eine Baumallee wirkt wie ein serielles Erzeugnis. Die „Winterlandschaft mit Zeche Pluto“zeigt ein friedliches Neben- und Miteinander von Baumstämme und Kaminen. Natur und Industrie vermischen sich und erschaffen einen eigenen Landschaftstypus. Auch deshalb gehört diese Serie zu den Meisterwerken der Modernen Fotografie und hat viele zeitgenössische Fotografen beeinflusst, wie zum Beispiel Bernd und Hilla Becher,. Ein abstraktes Abbild und ein denkbar kleiner Ausschnitt der damaligen Welt, der durch seinen starken Willen zur Abstraktion, durch die Einfachheit der Form etwas Allgemeingültiges eingefangen hat. Und darin unterschieden sich diese Aufnahmen von der Landschaftsmalerei. Realismus wird zum ästhetischen Mittel und bleibt ästhetisches Ziel.