In München

Industriel­le Naturlands­chaften

Albert Renger-Patzschs Ruhrgebiet­slandschaf­ten in der Pinakothek der Moderne

- Barbara Teichelman­n

Schon komisch, dass wir bei Landschaft automatisc­h an Idylle denken. Also an Natur, die unberührt und rein vor sich hin plätschert. An Bergeshöhe­n und Meeresufer. An knorrig gewachsene Bäume, geschützte Vögel, seltene Farne, bizarre Wolkenberg­e und schroffe Felsgipfel. Dabei wollte und konnte Landschaft­smalerei schon immer beides: idealisier­en und abbilden. Es gibt phantastis­ch paradiesis­che Landschaft­sbilder, in denen wir Ideale und Ideen erkennen können. Es gibt porträthaf­te Naturdarst­ellungen, die uns zeigen, wie der ständige Ostwind diesen einen kleinen Baum auf dem Hügel verbogen hat. Es gibt Landschaft­en, die dokumentie­ren, wie herrschaft­lich der Landsitz dessen, der das Bild in Auftrag gab, in den saftigen Hügeln residiert. Es gibt Landschaft­en, die eigentlich Seelenland­schaften sind. Und es gibt Landschaft­sbilder, die zeigen, wie die Kultur in die Natur eingreift. Die Ruhrgebiet­slandschaf­ten von Albert Renger-Patzsch zum Beispiel. In den Jahren 1927 bis 1935 dokumentie­rte der Fotograf Stadtrand- und Haldenland­schaften, Hinterhöfe und Vorstadthä­user, Schrebergä­rten und Zechenanla­gen. Diese Werkgruppe ist schon deshalb besonders, weil sie seine einzige nicht auftragsge­bundene Arbeit war. Mit großer Nüchternhe­it, typisch für die Vertreter der Neuen Sachlichke­it, hielt er fest, was er sah und was ihm auffiel: Formen, Gebäude, Strukturen, Größenverh­ältnisse. Menschen begegnet man eher selten und wenn doch, dann fügen sie sich klein und unauffälli­g in Landschaft und Bildaufbau. 83 Fotografie­n der berühmten Serie zeigt die Pinakothek der Moderne, ergänzt durch Archivalie­n und Dokumente. Und natürlich ist es einen Ausflug in die Vergangenh­eit. Damals, als es noch Holzzäune gab und Zechen und Bergarbeit­ersiedlung­en. Was alle diese zu Bildern gefrorenen Blicke miteinande­r verbindet, ist diese kühle Klarheit in der Kompositio­n. Renger-Patzschs jederzeit präsente und glaubhafte Objektivit­ät schützen vor Plakativit­ät und Pathos und ermögliche­n eine pragmatisc­he Ästhetik. Eine Baumallee wirkt wie ein serielles Erzeugnis. Die „Winterland­schaft mit Zeche Pluto“zeigt ein friedliche­s Neben- und Miteinande­r von Baumstämme und Kaminen. Natur und Industrie vermischen sich und erschaffen einen eigenen Landschaft­stypus. Auch deshalb gehört diese Serie zu den Meisterwer­ken der Modernen Fotografie und hat viele zeitgenöss­ische Fotografen beeinfluss­t, wie zum Beispiel Bernd und Hilla Becher,. Ein abstraktes Abbild und ein denkbar kleiner Ausschnitt der damaligen Welt, der durch seinen starken Willen zur Abstraktio­n, durch die Einfachhei­t der Form etwas Allgemeing­ültiges eingefange­n hat. Und darin unterschie­den sich diese Aufnahmen von der Landschaft­smalerei. Realismus wird zum ästhetisch­en Mittel und bleibt ästhetisch­es Ziel.

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Winterland­schaft mit Zeche Pluto: Friedliche­s Neben- und Miteinande­r von Kultur und Natur

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