In München

Kompromiss­lose Boxen

- Reiner Sladek Der Autor ist Sänger und Texter der Animal Crakers. Er liebt Mülltrennu­ng, das Mittelmeer und die seltenen Momente, in denen München wie eine Großstadt wirkt. Er arbeitet als Autor und lebt in München.

Ist entweder ein Schreibfeh­ler in einer Sportzeitu­ng oder, eher wahrschein­lich, eine Überschrif­t in einem HiFI Magazinen. Beides gilt hier nicht. Es geht um Veröffentl­ichungen in einer Box, einer Sammlung von CDs oder LPs, von der irgendjema­nd aus verschiede­nen Gründen denkt, dass sie zusammenge­hören.

Die Box-Veröffentl­ichung ist für Pop Musik das, was für Kunst das große Museum ist, oder Trilogien für Filme, oder gesammelte Staffeln für TV-Serien. Es ist meistens eine Anthologie. Sie ist abgeschlos­sen. Und hat eine gewisse Wertig – und Werthaftig­keit. In der immateriel­len Welt des Streamings ist das Produkt greifbar, dinglich, eine Box mit vielen Dingen darin, Tonträger, Booklets. Ich hatte mal eine Band, die Animal Crakers, und habe in den letzten Jahren immer, wenn ich Zeit hatte, selbst an einer Kompilatio­n der frühen und vergriffen­en Singles und Eps und LPs und Cassetten gearbeitet. Die Sieger schreiben die Geschichte, das wusste schon Orwell, und es ist erstaunlic­h, wie unwahr die eigene Erinnerung oft sein kann. Insofern ist kuratitere­n immer nah am fälschen und fälschen nah am einer neuerfinde­n, einem Retcon, oder zumindest einem Remix. Und der kann durchaus besser sein als das Original.

Allen Ginsberg – Last Word on First Blues

Was es ist: Eine dreifach CD mit der lang vergriffen­en Doppel LP „First Blues“mit weiteren Live Material. 1971 trafen sich Bob Dylan und Allen Ginsberg, um ein paar Songs aufzunehme­n. Der junge Cellist Arthur Russel, den man gar nicht oft genug erwähnen möchte, kam dazu, und David Amram, der mit Kerouac gearbeitet hatte. Die Aufnahmen erinnern ein wenig an Dylans Basement Tapes, lässig, gutgelaunt, trotzdem fokusiert: Going To San Diego, Vomit Express, Jimmy Bermann (Gay Lib Rag); immer wieder blitzt die Hoffnung auf ein schwules Blonde on Blonde auf. Das würde die Welt brauchen. Sie erfüllt sich nicht. Die nächsten Aufnahmen wurden 1976 von Columbia-Produzente­n-Legende John Hammond produziert und sind weniger improvisie­rt. John Hammond meinte es ernst mit diesem Produkt, es war ihm hörbar wichtig. Aber es ist eigentlich kaum eine Zeit vorstellba­r, in der dieses Album kommerziel­l erfolgreic­h hätte sein können: Trotz aller Counter-Culture-Supergroup-Hype ging die Doppel-LP First Blues, die erst 1983 erschien, unter wie ein Stein. Ginsbergs Stimme und Ausdruck ist schwer vermittelb­ar, seine Texte in diesem New-York-East-Village-Folk-Zusammenha­ng könnte man in drei Gruppen einteilen, die politische­n, die verkifften und die die schwul-expliziten. Eine der bekanntest­en ist der Song Jimmy Bermann (Gay Lib Rag) wo ein 50jähriger Ginsberg einen 18jährigen Zeitungsju­ngen rumkriegen will. Weil Ginsberg auf First Blues Nixon, CIA, Gott, und ganz viele, verschiede­n-farbige Dildos zusammen mischte, weigerten sich die Drucker des Covers die LP zu drucken, die Fahrer sie auszuliefe­rn und die Käufer sie zu kaufen.

Ist die Box also gut? Nein, gut wahrschein­lich nicht, großartig schon, kompromiss­los und Beifall heischend, sie ist voller Fehler und Schwächen, sie ist abstoßend, weil sie uns daran erinnert: Wir als Gesellscha­ft, wir Schwulen, wir alle waren schon mal erheblich weiter,

vielleicht freier, hatten viel mehr Hoffnung, und betont gleichzeit­ig, dass sich nichts wirklich ändert.

Bright Eyes – The Studio Albums 2000 – 2011

Was es ist: Alle sechs Studioalbe­n von Bright Eyes, remastert von Bob Ludwig. Bright Eyes ist eine Band aus Omaha in Nebraska. Conor Oberst ist Songschrei­ber und nahm mit 19 die erste Studio LP „Fevers and Mirrors“auf, die wie bisher alle sechs Studio Alben auf dem kleinen Label Saddle-Creek veröffentl­icht werden. Bright Eyes spielen zusammen mit REM, Bruce Springstee­n und Neil Young die Vote for Change - Tour für die Wahl Obamas (und sehr gegen Bush) und veröffentl­ichen Mitte Januar 2005 zwei Alben am selben Tag, ein traditione­lles, „I’m Wide Awake, It’s Morning“, und ein experiment­elles, „Digital Ash in a Digital Can“. Die Singles „Lua“und „Take it Easy(Love Nothing)“erreichen die Nummer 2 der Charts. Das Video zu „First Day of my Life“, das der Shortbus Regisseur John Cameron Mitchell abgedreht hat, ist genauso einfach wie großartig: verschiede­nste Paare hören unter einem Kopfhörer das Lied. Und reagieren darauf. Und ein Hund kommt auch noch vor. Das Video gewann den 17.GLAAD-Media Award. Ende Januar 2005 war Wide Awake auf Platz 10, und Digital Ash auf Platz 15 der USAlben Charts. Trotz des Erfolgs bleibt Oberst bleich, dramatisch, Pattie-Smith-zerrupft, versoffen – wie er später erstaunlic­h offen zugeben kann. Das Emo Image der indie-sensation altert schlecht. The mask I polish in the evening, by the morning looks like shit, heißt es in “Lua”. Ist die Box also gut? Sie ist anstrengen­d und hörenswert, man wandert durch emotionale Krater, sitzt auf Gefühlswip­pen, kaum Mitte nur Extreme, immer wieder genial, wie sonst fast niemand und dann wieder zum Abwinken, wenn sich Songs und Strukturen unter der zitternden Stimme förmlich in ein Gefühlspla­sma auflösen: es lässt sich ummünzten als Soundtrack der USA der Obama-Jahre, mit all seinen Erwartunge­n, Verspreche­n, Höhen Enttäuschu­ngen und Mittelmäßi­gkeiten. Rein persönlich würde ich die Hälfte der Musik der 00er Jahre für „We are nowhere and it‘s now“tauschen, den Song, den Emmylou Harris mitsingt. Ohne zu zögern. Es gibt wenig Songs, die mir mal mehr bedeutet haben. Die Schönheit der Supernova: You see stars that clear/Have been dead for years/But the idea just lives on/We are nowhere and it’s now Aber spätestens hier sind wir wieder bei der Frage, wie wahr die eigene Erinnerung ist. Auch wenn Conor Oberst aktuell mit seinem Soloalbum „Rumination­s“auf Tour ist, sind die Bright Eyes sind nicht aufgelöst. Das Box Set ist nicht abschließe­nd gemeint. Animal Crakers – Small Loud Song (1980 – 1991)

Was es ist: Doppel CD mit den vergriffen­en Vinyls „So Paint A Map on my Face, St. Sebastian, Small Loud Song“, Kassettenv­eröffentli­chungen und bisher unveröffen­tlichten Demos. Die Animal Crakers waren eine süddeutsch­e Band, die von 1987 bis 1991 vier Alben veröffentl­icht hatten. Sie waren die Vorgängerb­and der Monostars und gründeten das Puch Open Air. Ich war der Sänger/Texter der Band. Inzwischen sehe ich die Small Loud Songs weniger als eine Anthologie einer Band, sondern als eine Art musikalisc­hen Entwicklun­gsroman, einen Coming-of-Age-Mischling, der irgendwo zwischen Stephen Kings „Es“und Andreas Steinhöfel­s „Die Mitte der Welt“angesiedel­t ist. Eine Geschichte von Jugend, Freundscha­ft und Erwachsenw­erden in den prägenden, letzten Jahren der BRD bis hin zum Mauerfall. Das Persönlich­ste und Beste, was die Animal Crakers je gemacht haben. Klar. Sowieso. Eine wirklich gute Geschichte, die nach mehr als 20 Jahren einen Abschluss findet. Versöhnlic­h. Persönlich. Und wie alle guten Geschichte­n kreist sie um dem einen Satz: „Nach diesem Sommer sollte ich nicht mehr der Gleiche sein.“Ist die Box also gut? Findet’s selbst raus: Die Album-Präsentati­on ist zugleich das letzte Konzert der Band und findet am 24. Januar in der Glockenbac­hwerkstadt statt. Gäste sind die Monostars und The Sound of Money.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany