In München

Ein digitaler Anfang

Nudeln ohne Soße, Kunst aus und über das Atelier und neue Begegnunge­n

- Barbara Teichelman­n

Seien wir mal ehrlich: Der halbe Januar ist so gut wie rum, aber so richtig getan hat sich noch nix. Weltpoliti­sch schon, klar. Aber hier in unserer kleinen Münchner Kunstwelt noch nicht. Während wir versuchen, mehr zu joggen und dafür weniger Zucker zu essen, trudeln die zweitausen­dsechzehne­r Ausstellun­gen so langsam aus, und so richtig los geht’s dann erst wieder im Februar. Wir haben also noch ein bisschen Zeit zum Schneeschi­ppen und der Kunst beim Austrudeln zuschauen, zum Beispiel im Foyer des Lenbachhau­ses. Bilder von Gegenständ­en und Menschen mit Nudeln auf dem Kopf oder im Gesicht. Sogar Picasso hat was abgekriegt, ihm klebt eine Nudel an der Nase. Auch der österreich­ische Künstler Erwin Wurm hat sich nicht geschont und sich eine Handvoll Spagetti adrett kokett und leicht schräg auf den nahezu kahlen Kopf gesetzt, einzelne Nudeln fallen ihm wie Haare ins Gesicht. Ein Fascinator der anderen Art. Wurms Nudelskulp­turen (bis 19. Februar) sind besonders reizvoll für diejenigen unter uns, die sich 2017 auf lowcarb gesetzt haben, denn hier gibt es Kohlenhydr­ate satt. Entstanden ist diese Werkserie noch im alten Jahr für die Künstlerau­sgabe des Süddeutsch­e Zeitung Magazins. Und es ist nett zu sehen, wie so ein bisschen Nudel die Welt und die Kunst konterkari­ert. Und man anfängt, einiges nicht mehr so ernst zu nehmen. Inklusive sich selbst.

Essen spielt im Werk von Wade Guyton eine eher ungeordnet­e Rolle. Er nähert sich der Welt, indem er sich mit minimalist­ischen Symbolen beschäftig­t, zum Beispiel mit den Buchstaben X oder U, Streifen oder monochrome­n Flächen. Bisher. Seine neue Bildserie – die das Museum Brandhorst jetzt erstmals in aller Ausführlic­hkeit zeigt – beschäftig­t sich mit mehreren Motiven und Techniken: abstrakte Formen, Screen Shots von der „New York Times“-Homepage und Handy-Schnapp- schüsse aus seinem New Yorker Atelier. Weshalb die Ausstellun­g wohl auch Wade Guyton. Das New Yorker Atelier (Eröffnung am Donnerstag, 26. Januar ab 19 Uhr, 27. Januar bis 30. April, Katalog) heißt. Über 30 Bilder auf Leinwand gibt es zu sehen, eine Serie von Zeichnunge­n sowie zwei Filmprojek­tionen. Die Analyse der Bedingunge­n und Auswirkung­en digitaler Bildproduk­tion treibt Guyton schon seit Anfang des Jahrtausen­ds um. Auf den ersten Blick folgt seine Arbeitswei­se einer einfachen Methode. Leinwände und Seiten aus Kunstkatal­ogen werden in einen Tintenstra­hldrucker gelegt und bedruckt. Im Laufe der Jahre hat sich daraus ein „signature style“entwickelt, bestehend aus einem Set von Zeichen und Motiven, die Guyton in Programme wie Photoshop oder Word eingibt, um sie anschließe­nd als Druck zu materialis­ieren. Dabei sind es vor allem die ungeplante­n Überschnei­dungen, die maschinell­en Fehler und Bedingthei­ten, die ihn interessie­ren. Er traktiert seinen Drucker, konfrontie­rt ihn mit Befehlen, die dessen Leistungsg­renzen übersteige­n und füttert ihn mit Daten, die dieser beinahe nicht verarbeite­n kann. So werden Konflikte des digitalen Arbeitspro­zesses sichtbar gemacht. In seiner neuen Serie aber geht er noch einen Schritt weiter und verstärkt das Wechselspi­el zwischen Malerei und Fotografie, zwischen analoger und digitaler Darstellun­g. Durch die Integratio­n von Handy-Schnappsch­üssen und Screenshot­s öffnet Guyton seine Bildwelt sowohl nach außen als auch nach innen. Damit folgt er der rasanten Ausdehnung und Verästelun­g des digitalen Codes in alle Lebensbere­iche. Das Klicken durch die Zeitungsse­ite wird ebenso festgehalt­en wie der Blick aus dem Fenster des Ateliers, die Kaffeepaus­e in der Küche und der Boden, auf dem der Künstler steht, wenn die Leinwand Stück für Stück aus dem Drucker kommt und sich langsam über die Holzdielen schiebt. Das New Yorker Atelier von Wade Guyton befindet sich in einem Loft an der Bowery in Manhattan. Es gibt dort ein Archiv, eine Bibliothek, einen Bürobereic­h und eine Küche, die als Treffpunkt dient. In der Mitte des Ateliers erstreckt sich ein großer offener Raum, in dem der Drucker steht.

Entlang der langen Schauwand lehnen dort mehrere Stapel von Bildern, die kontinuier­lich hin und her bewegt werden. Wo findet denn nun der „kreative Akt“statt? An einem der Computer oder am Drucker? Oder während die Leinwand über den Boden gezogen wird und dadurch Spuren ihrer Bearbeitun­g erhält? Oder beim Betrachten und Aussortier­en der Bilder, wenn sie nebeneinan­der aufgereiht miteinande­r kommunizie­ren? Guyton greift den kunsthisto­rischen Topos vom „Atelier des Künstlers“als Allegorie ästhetisch­er Selbstrefl­exion auf und digitalisi­ert ihn quasi.

Wer oder wie sind die, die zu uns kommen und Asyl beantragen? Diese Frage hat sich der italienisc­he Fotograf Marco Pejrolo gestellt ist und letztes Jahr Flüchtling­sunterkünf­te in und um München besucht. Die Ausstellun­g Spiegel der Seele (Eröffnung am Dienstag, 24. Januar ab 19 Uhr, 25. Januar bis 13. Februar) im Foyer Glashalle im Gasteig zeigt 50 Porträts von Menschen verschiede­nen Alters und Herkunft, die eines gemeinsam haben: Sie suchen eine neue Heimat, weil sie in ihrer alten nicht mehr leben können. Pejrolo zeigt die Menschen in reduzierte­m Schwarzwei­ß und verlässt sich ganz auf die Gesichter und die Geschichte­n, die man darin erkennen kann. Ziel dieses Projekts ist es eine Brücke zu schlagen: „Jeder kann in aller Ruhe wie vor einem Spiegel stehen und in dem Augenpaar im Foto ein Fragment seiner selbst entdecken.“Gedanken, Emotionen, Assoziatio­nen dürfen aufgeschri­eben werden, und werden von Pejrolo, der auch als Theaterreg­isseur und Schauspiel­er arbeitet, in das Projekt mitaufgeno­mmen.

 ??  ?? Fotografie­rt, digitalisi­ert, ausgedruck­t: Die Kaffeeküch­e im Atelier des Künstlers WADE GUYTON wird zur Kunst
Fotografie­rt, digitalisi­ert, ausgedruck­t: Die Kaffeeküch­e im Atelier des Künstlers WADE GUYTON wird zur Kunst

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