Ran an die Realität
Begegnungen mit Haushaltsgeräten und Heimkehrern
Ein schönes Wiedersehen: Julia Zange sorgte 2008 mit ihrem Erstling, dem Berliner Künstlerroman „Anstalt der besseren Mädchen“, für eine kleine Sensation. An den Kammerspielen war der Text Vorlage für eine Bühnenfassung. Nun kehrt die junge Schriftstellerin und Schauspielerin wieder zurück. Diesmal allerdings für eine Lesung und ein Gespräch. Im Gepäck hat sie ihren aktuell erschienen zweiten Roman „Realitätsgewitter“. Darin ist von einer jungen Marla die Rede, die es schafft, immer die perfekte Maske zu tragen – aber doch nicht mehr so recht mit der sogenannten rauen Wirklichkeit zurecht zu kommen. Ihren Alltag prägen wenig Sex, viel Smartphone. Viel Bewegung, wenig Sicherheit. Passt! Das schönste Lob vorab bekam sie von Maxim Biller, der sonst selten schmachtet: „Das kann nur Julia Zange: Alle zehn Jahre ein Buch schreiben, das man nicht mehr vergisst.“(Kammerspiele, 26.1.)
Vielleicht ist ja mindestens eine (oder besser noch: ganz viele) Ebenbürtige beim zweiten Großen Tag der jungen Münchner Literatur dabei. Hierfür kommen 60 Autoren aus der Stadt zusammen, die es in der Öffentlichkeit drängt. Auf Lesebühnen, bei Slams, in Schreibwerkstätten oder in Zeitschriften hat man sie schon mal gehört, nun stützen sie sich gegenseitig – und zwar in geballter Form von Janine Adomeit bis Nora Zapf. Vier Hallen werden sie füllen, natürlich ist da auch Platz für eine Bar mit Essen, Trinken und viel Raum für den Austausch. (Einstein Kultur, 28.1.)
Eigentlich schon ein bisschen zu reif für einen Nachwuchsabend ist Erfolgsschlitzohr Wladimir Kaminer. Allerdings fühlt sich der Lieblingsrusse aller Deutschen derzeit wieder sehr jung. Was an seiner umtriebigen Mama liegt. Die nämlich legt eine schier unersättliche Neugierde an den Tag – beim Englisch-Lernen, beim Verreisen oder beim Einsatz hypermoderner Haushaltsgeräte. Und weil sie ein Herz hat für die nachwachsende Generation – darunter vor allem den lieben Wladimir hat, der ihrer Ansicht nach gerade im besten Lern-Alter steckt –, muss sie ihre Erkenntnisse natürlich brühwarm weitergeben. Heraus kommt: „Meine Mutter, ihre Katze & der Staubsauger“. Ein großer Spaß! (Volkstheater, 28.1.)
Sicher nicht fad wird’s auch bei der Lesung mit der sympathisch kratzbürstigen Wiener „Tatort“-Kommissarin Adele Neuhauser. Sie führt das Publikum durch die von Kultautor Douglas Adams („Per Anhalter durch die Galaxis“) verfassten, durchaus nachdenklichen Reportagen über bedrohte Tierarten. „Die letzten ihrer Art“verneigt sich vor neuseeländischen Kakapos oder den Yangtse-Delfinen aus China. Der Clou dabei: Das Kammer-PunkJazz-Trio Edi Nulz spielt dazu auf. Auch schön skurril. (Technikum, 21.1.)
Ebenfalls aus dem Schauspielfach stammt Johann von Bülow, der gefühlt durch jeden zweiten deutschen Fernsehfilm spaziert. Er hat sich die legendäre „Quick“-Kolumne „Der ganz offene Brief“von Loriot (entfernter Verwandter des Schauspielers!) noch einmal vorgenommen. Darin zeichnete der damals noch gar nicht so große Künstler ein gestochen scharfes Sittengemälde der Adenauer-Republik. Eine Wiederentdeckung. (Backstage, 21.1.)
Ähnlich beeindruckend dürfte die Lesung von Georg Stefan Troller werden, der als junger Mann seine Heimatstadt Wien der Nazis wegen verlassen musste und der sich über den Umweg USA ab 1949 in Paris niederließ. Von dort öffnete er den Nachkriegsdeutschen als Fernsehjournalist in seiner einst berühmten Sendung „Pariser Journal“ein Fenster zur Welt und brachte ihnen Autoren von Villon über Proust, Baudelaire, Rimbaud bis James Joyce näher. Nun kramt er für „Unterwegs auf vielen Straßen – Erlebtes und Erinnertes“noch einmal in seinem Emigrantenkoffer, der lange ungeöffnet im Keller lag. (Literatur Moths, 21.1.)