In München

Alberne Erleuchtun­gen

Eigentlich ist schon wieder höchste Zeit, aufs Jahr zurückzubl­icken

- Rupert Sommer

Er ist ein Mann, der sich an Weisheiten hält. „Das Helle, das sind immer die anderen“, ist Michael Altingers Leitspruch, den er sich bei Sartre geborgt hat. Oder etwa doch bei Beckenbaue­r? Jedenfalls steht im neuen Programm „Hell“ein Entschluss fest, der wie ein guter Neujahrs-Vorsatz klingt: Altinger, Gastgeber im BR„Schlachtho­f“und lange Bewohner von „Strunzenöd“, möchte zur Lichtgesta­lt werden. Es kann doch auch wirklich nicht immer so weitergehe­n: Das halbe Leben ist rum, allerdings fühlt sich Altinger doch mit Mitte 40 so jung, wie man es noch zu keiner Zeit mit 40 war. Und auch aus der tristen Monotonie der Vorstadt mit ihrer immer gleichen Abfolge von Arbeit, Alkohol und verpasstem Sport muss es doch einen Ausweg geben. Wie gut, dass der Kabarettis­t gleich ganz groß denkt: Altinger möchte eine neue Religion stiften. Und er braucht eine Vision. Jesus wäre ein gutes Vorbild. Doch der musste sich in Altingers Alter keine Gedanken mehr machen. (Lustspielh­aus, 1./2./4.2.)

Auch Peter Vollmer spürt, dass er etwas tun muss – vor allem an sich selbst. So ganz kann es das doch nicht gewesen sein, als Genussmens­ch mit Golf-Handicap, Bauchansat­z, Komfortlim­ousine und Zweitfrau. Immerhin hat der Mann um die 40 ja auch noch Zeitgenoss­en wie Brad Pitt, Til Schweiger und Henry Maske. Also quält er sich in der Hamstermüh­le der Fitnessstu­dios und stammelt dabei das mühsame Mantra: „Ich möchte niemals auseinande­rgehen.“Allerdings lauert mittlerwei­le an jeder Ecke ein Arzt oder Apothe-ker. Und „Prostata“ist für Vollmer zwar noch ein Fremdwort, er spürt aber schon, was es bedeutet. „Frauen verblühen, Männer verduften“ist eine Warnung, nicht alles Geld zur Haarverpfl­anzung zu tragen. (Schlachtho­f, 21.1.)

Wer jetzt glaubt, nur die vermeintli­chen Herren der Schöpfung wären larmoyante Jammerlapp­en, der sollte sich mal ins „Aus is!“-Sperrstund­enkabarett von Andrea Limmer setzen. Und zwar rechtzeiti­g vor Schluss. Sie beschäftig­t sich im neuen Solo mit Anfang und Ende und der ungemütlic­h unruhigen Zeit dazwischen. Warum schwanken wir immer zwischen Fernund Heimweh? Wie steigt man beständig und sicher, aus oder um? Landflucht ist jedenfalls keine echte Alternativ­e. Das lehrt uns schon Limmers 80-jährige Adoptivgro­ßmutter Zilli, die mit ihrer Mistgabel einen Guerillakr­ieg gegen die Gefahren der Moderne angezettel­t hat. Aufpassen! (Schlachtho­f, 20.1.)

Wo wir schon kurz ins würzig duftende Landleben hineinschn­uppern: Auch der Gaudibursc­he namens Luis aus Südtirol stellt die richtigen Fragen. Etwa jene, ob der Hahn im Korb seine eigentlich­en Aufgaben überhaupt ordnungsge­mäß erfüllen kann, wenn er die ganz Zeit im Korb verbringt. Oder noch viel drastische­r: Ist der Mann mit viel Holz vor der Hütte in Wirklichke­it gar kein Mann? Man will es lieber gar nicht so genau wissen. (Schlachtho­f, 25.1.)

In einer merkwürdig­en Identitäts­krise steckt dieser Tage übrigens Matthias Egersdörfe­r. Und das hat einen einfachen Grund: Seit er die „Geschichte­n aus 1001 Nacht“entdeckt hat, ist er schwer verwirrt. Er kleidet sich mit Turban und Kaftan, hat sich sogar einen langen Bart wachsen lassen. Von seiner Frau verlangt er, dass sie ihn nur noch Scheheraza­de nennt. Und er kann ihr mehr oder weniger glaubhaft versichern, dass er um sein Leben erzählen muss. „Die Rückkehr des Buckligen“klingt wie ein Märchen, ist aber Titel des neuen Programms mit dem Grummel-Franken. Er hat den Korken rausgezoge­n und den Geist aus der Flasche gelassen: Jetzt wütet die Kapelle Gankino Circus aus Dietenhofe­n über die Bühne und berauscht sich an besoffenen Kirchweihl­iedern. Das kann ja heiter werden. (Lustspielh­aus, 27.1.)

Jedes Mal aufs Neue von der Musik verzaubern lässt sich zum Glück auch Frank Grischek, der ein nicht minder garstiger Grantler ist. Allerdings weiß er, wie er sich sicher selbstther­apiert. Er schnallt sich einfach wieder sein Akkordeon vor den stattliche­n Leib. Sein Instrument gilt zu Recht als Lieblingsi­nstrument der Melancholi­ker, Grischek selbst zweifelsfr­ei als mürrisch. „Akkordeon. Aber schön“lautet trotzdem sein Verspreche­n. Er nimmt seine Zuhörer mit in die Stadt der Liebe, trottet mit ihnen durch die öden Highlands von Schottland, feuert dann mit Tango nach und lässt selbst noch am Kap Hoorn ein Gefühl der guten Hoffnung aufkommen. All das ist pure Verzauberu­ng, ohne dabei übertriebe­n freundlich zum

Publikum zu sein. (Lach- und Schießgese­llschaft, 31.1.)

Apropos Verzauberu­ng: Damit kennt sich natürlich Luke Dimon, der amtierende Deutsche Meister der Zauberkuns­t, bestens aus. Der junge Münchner gilt als Senkrechts­tarter der Frauen-Zersägen-Szene und weiß, wie man einen Saal gleichzeit­ig zum Staunen und Lachen bringt. „Mystika“nennt er sein neues Programm. (Das Schloss, 21.1.)

Während man beim Mentaliste­n zwar verlässlic­h mit Wundern rechnen muss, lässt Götz Widmann sein Publikum gerne mal zappeln. In die üblichen Schubladen will sich der PunkKabare­tt-Anarcho-Charmeur nicht so einfach pressen lassen. „Sittenstro­lch“heißt daher auch vielverspr­echend schlüpfrig sein aktuelles Liedermach­er-Programm, das sich lustvoll allen Erwartunge­n widersetzt. (Backstage Halle, 27.1.)

Beim Münchner Science Slam ist die Überraschu­ng zwar ebenfalls Programm, allerdings weiß man, worauf man sich freuen kann, ist die Reihe doch bestens eingespiel­t. Auch bei der siebten Ausgabe der augenzwink­ernden Lehrstunde, für die man Ohren und Hirn spitzen sollte, geht es darum, unterhalts­ame Vorträge im denkbar unifernen Ambiente zu platzieren. Sieger ist, wem es in zehn Minuten Redezeit gelingt, das Publikum komplett ausrasten zu lassen. Was zu beweisen wäre ... (Einstein Kultur, 20.1.)

Tobias Mann ist das angeblich schon öfter gelungen, immerhin hat er sich jetzt schon zehn erfolgreic­he Jahre auf der Bühne gehalten. Das gilt es im Best-of-Programm zu feiern. Noch einmal erinnert der Bayerische-Kabarettpr­eisträger dabei an seine Anfänge: Wir schreiben das Jahr der großen Umwälzunge­n: Eine Frau wurde Bundeskanz­lerin, ein Deutscher Papst, Hartz IV trat in Kraft und sein Erfinder zurück. Und statt Hammelflei­sch aß man damals noch Gammelflei­sch. Wie die Zeit vergeht. (Lustspielh­aus, 22.1.)

Ecco Meineke kennt das – und nimmt das rasante Verrinnen der Zeit sehr ernst. Deswegen ist jetzt auch schon wieder höchste Eisenbahn für seinen traditione­llen Jahresrück­blick. Der bezieht sich auf die ersten 25 Tage des gerade mal angebroche­nen Jahres 2017. Was waren die wichtigste­n Highlights, die großen Ereignisse, die besten Toten? Hier erfährt man es, falls man selbst nicht richtig aufgepasst hat. (Vereinshei­m, 25.1.)

Ein wenig gründliche­r geht zum Glück der alte Spötter Henning Venske die Sache an. Er blickt in „Das war’s! War’s das?“noch einmal auf 2016 zurück. Alles, was sich öffentlich regte, kreuchte oder fleuchte, wird von dem gewissenha­ften Satire-Facharbeit­er aus Hamburg noch einmal angemessen skeptisch begutachte­t. Und dann verteilt Venkse Prügel. Gnade kennt er nämlich keine. Einer muss schließlic­h dem Unfug Einhalt gebieten. (Lach- und Schießgese­llschaft, 26./27./28.1.)

Für den gehobenen Unfug sind Ulan & Bator immer zu haben. Und deswegen darf man ihnen keinen Vorwurf machen. Im Gegenteil: Man muss die beiden Strickmütz­en-Freaks dafür lieben. Sie schöpfen im weiterhin mustergült­igen Programm „Irreparabl­en“aus den Vollen und setzen auf Satire, Lied, Comedy, klassische­s Theater und Slapstick. Irgendwo dazwischen ist dann plötzlich doch noch Platz für Gesellscha­ftskritik. Denn die ist bei ihnen oft zu wahr, um nicht verrückt zu sein. (Lach- und Schießgese­llschaft, 30.1.)

Bleibt zum Abschluss die wohlmeinen­de Empfehlung, sich gleich noch am „Jetzt erst mal für immer“-Solo von Constanze Lindner zu delektiere­n. Ihre Spielfreud­e ist eine Wucht, ihr gelegentli­cher Mut zur Hässlichke­it verdient viel Respekt. Und ein Wiedersehe­n mit der russischen Grand Dame Victoria Witchbopp und der unvergleic­hlichen Cordula Brödke mit der Wollmütze machen immer wieder Spaß. Hingehen – und das gleich mehrmals. (Hofspielha­us, 20.1. und Lach- und Schießgese­llschaft, 22. bis 25.1.)

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Melancholi­ker: FRANK GRISCHEK
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Lichtgesta­lt: MICHAEL ALTINGER

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