Durch lange, kalte Nächte
Bereit sein ist alles: Wie man mit Anfeindungen, existenziellen Ängsten und Phantomen fertig wird
Er ist wirklich eine Oase, eine Art Paradiesgärtlein in bewegten Zeiten. Der Kirschgarten ist ein Relikt aus alter Zeit. Einer Ära, in der die Selbstvergewisserung noch funktioniert, in der aber auch die Kirschen eine einträgliche Devise waren. Immerhin sicherten sie der Familie um die Gutsbesitzerin ihr Auskommen. Nun ziehen Getriebene über das Land. An allen Ecken und Enden wittern Geschäftemacher das große Geld. Allen voran der Emporkömmling Lopachin. Ein Miteinander scheint nicht mehr möglich. Und jeder hat eine ganz eigene Vision davon, was aus dem Kirschgarten werden soll. Nach „Der Kaufmann von Venedig“und „Wut“nach Elfriede Jelinek hat sich der Kammerspiele-Hausregisseur Nicolas Stemann nun Anton Tschechow vorgeknöpft – und die Axt gezückt. Persönlich rundet sich für ihn damit ein eigener Weg: Er schloss einst die Theaterakademie Hamburg mit „TerrorSpiel“nach Tschechows „Die Möwe“ab. (Kammerspiele, ab 27.1.)
Ebenfalls eine ziemlich finstere Familiengeschichte erzählt natürlich auch Eugene O’Neills Klassiker Eines langen Tages Reise in die Nacht. Familie Tyrone kommt ebenso wenig vom Fleck wie die aus der Zeit gefallenen Russen. In Missgunst, Suff und Drogenrausch zerbröselt hier allerdings ein Mythos: der amerikanische Traum. „Ich gehe aus von der Theorie, dass die Vereinigten Staaten anstatt das erfolgreichste Land der Erde zu sein, der größte Fehlschlag sind“, schrieb der Nihilist O’Neill. „Wir hatten so viele Möglichkeiten und haben den falschen Weg gewählt. Da es aber so ist, wäre es wohl an der Zeit, die Menschheit bei der nächsten Sintflut untergehen und die Ameisen einmal ihr Glück versuchen zu lassen ...“Premiere ist eine Woche nach der Vereidigung von Präsident Donald „Weltuntergang“Trump! (Cuvillièstheater, ab 28.1.)
Niemand twittert in der tief eingeschneiten, abweisenden Trutzburg, in die es den Landvermesser K. zieht. Ganz im Gegenteil: Man spricht so gut wie gar nicht mit ihm, schneidet ihn, lässt ihn warten und verzweifeln. Der große Kafka-Roman Das Schloss ist immer noch ein beklemmendes Rätsel. Nicolas Charaux holt es auf die Bühne. (Volkstheater, ab 26.1.)
Dazu passt natürlich bestens das Puppentheater Der Prozess oder Die traurige Geschichte von Joseph K. – ebenfalls von Franz Kafka. Die mehrfach preisgekrönte Produktion mit Handpuppen spitzt die existenzielle Notlage noch einmal drastisch zu: Das Publikum selbst findet sich in der Joseph K.-Titelrolle wieder und sieht sich ungeheuerlichen Verdächtigungen ausgesetzt. (Münchner Stadtmuseum, 28.1.)
Etwas sensiblere Naturen gruseln sich natürlich auch, wenn es in den dunklen Gewölben tieftraurig stöhnt und rumort. Doch keine Sorge, eigentlich ist Das Phantom der Oper bei Licht betrachtet ja ein zugänglicher Typ – und nicht das mordlüsterne Scheusal, für das man es hält. Die Central Musical Company hat sich für die Wiederbegegnung mit dem wohl beliebtesten Musical aller Zeiten – hier in der Originalproduktion von Librettist Paul Wilhelm und Komponist Arndt Gerber – einen kongenialen Spielort gewählt. (Residenz, 22.1.)
Dezidiert heiter – als Champagner-seliges Feuerwerk von Ironie und Übermut – ist bekanntlich die Johann-Strauss-Operette Die Fledermaus angelegt. Nach der Jacques-Offenbach-Produktion „Herr Blumenkohl gibt sich die Ehre“flattert sie nun durch eine kleine, wirklich liebevoll intime Kellerbühne. (Hofspielhaus, ab 2.2.)
Als Revue im Stil der sogenannt „Goldenen“20er Jahre ist der Abend Jetzt geh ich da so hin und her mit Schauspiel, Gesang, Tanz und Zauberkunst angelegt. Aber man sollte sich nicht täuschen: Die Texte stammen von Ödön von Horvath. Und der ahnte, auf welche Katastrophen der alte Kontinent weinselig zusteuerte. Die „Demaskierung des Bewusstseins“war sein Ziel. Hinterlassen hat er bedrückende Miniaturen über perspektivlose Kleinbürger und unterdrückte Frauenfiguren. (Münchner Künstlerhaus, 28.1.)
Ungemütlich auch die Welt, in die das Ein-Mann-Stück Loco Afán („Wildes Verlangen“) von Pedro Lemebel sein aufgeschlossenes entführt. Der Schauspieler Alexander Vivas erzählt hier Geschichten von chilenischen Homosexuellen von der Pinchot-Zeit bis heute. Gegen die Anfeindungen hilft allerdings Solidarität und ein bitter Humor – als schärfste Waffe des Widerstands. (Heppel & Ettlich, 30./31.1.)
In die Zukunft des Jahres 2036, in dem ganz Mitteleuropa befriedet, ja sogar merkwürdig sediert sein soll, schleppt uns der Anthony-BurgessAbend, den Andreas Wiedermann inszeniert, mit. Der aggressionslose Bürger ist Realität. Und doch regt sich Widerstand: Alex prügelt sich mit seiner Droogs-Bande durch die Straßen. Clockwork Orange, der britische Kultroman und Aufregerfilm – jetzt auf der kleinen Bühne. (Teamtheater Tankstelle, ab 26.1.)
Nicht wirklich ein locker-flockiger Date-Abend dürfte auch das Bühnenprojekt Don’t Forget to Die werden, für das Karen Breece fünf Menschen im Alter von 73 bis 93 Jahren zusammengetrommelt hat, die sich auf offener Bühne mit dem Unausweichlichen und den mehr oder weniger selbstbewussten Vorbereitungen auf das Sterben auseinandersetzen. Wie kann man den eigenen Tod proben, so wie man den Ablauf einer Beerdigung plant? Spannende Frage. (HochX, ab 26.1.)
Thematisch verwandt ist da die Der gute Tod-Inszenierung, die Hausherr Jochen Schölch selbst vorbereitet hat: Hier versammeln sich Akteure und Zuschauer im Haus des schwer kranken Bernhard, der zu sterben beschlossen hat. Und zwar ganz konkret: Morgen um 9 Uhr, selbstbestimmt und assistiert vom Arzt seines Vertrauens. Freunde und Familienangehörige kommen herbei. Und dann bricht unausweichlich der nächste Morgen an ... (Metropoltheater, ab 26.1.)
Und weil’s so schön düster ist, auch noch dieser Hinweis: Lara ist gerade mal 25 Jahre alt. Und auch sie muss sterben. Vorher geht sie allerdings noch Die fünf Schritte durch. Sie stellt sich schonungslos harte Fragen: Was ist aus mir geworden? Was habe ich aus meinem Leben gemacht? Was muss ich bereuen? Gibt es ein Licht am Ende des Tunnels? Das alles und noch viel mehr wird im Soloabend mit Michela Beer geklärt. (Theater Und so fort, 31.1.)
Doch so aufgewühlt wollen wir dann doch nicht auseinander gehen. Deswegen sollte man dem Jubiläumsjahr mit dem kantigen Reformator auch mal etwas Sinnliches abgewinnen: Luthers Lust und Liebe rekonstruierte eine ungewöhnliche Love Story – die von Martin Luther und Katharina von Bora. Dafür collagiert Cornelia Bernoulli kraftvoll deftige Originalzitate mit nachempfundenem Flirt-Geflüster. (Hofspielhaus, 19.1.)