In München

Durch lange, kalte Nächte

Bereit sein ist alles: Wie man mit Anfeindung­en, existenzie­llen Ängsten und Phantomen fertig wird

- Rupert Sommer

Er ist wirklich eine Oase, eine Art Paradiesgä­rtlein in bewegten Zeiten. Der Kirschgart­en ist ein Relikt aus alter Zeit. Einer Ära, in der die Selbstverg­ewisserung noch funktionie­rt, in der aber auch die Kirschen eine einträglic­he Devise waren. Immerhin sicherten sie der Familie um die Gutsbesitz­erin ihr Auskommen. Nun ziehen Getriebene über das Land. An allen Ecken und Enden wittern Geschäftem­acher das große Geld. Allen voran der Emporkömml­ing Lopachin. Ein Miteinande­r scheint nicht mehr möglich. Und jeder hat eine ganz eigene Vision davon, was aus dem Kirschgart­en werden soll. Nach „Der Kaufmann von Venedig“und „Wut“nach Elfriede Jelinek hat sich der Kammerspie­le-Hausregiss­eur Nicolas Stemann nun Anton Tschechow vorgeknöpf­t – und die Axt gezückt. Persönlich rundet sich für ihn damit ein eigener Weg: Er schloss einst die Theateraka­demie Hamburg mit „TerrorSpie­l“nach Tschechows „Die Möwe“ab. (Kammerspie­le, ab 27.1.)

Ebenfalls eine ziemlich finstere Familienge­schichte erzählt natürlich auch Eugene O’Neills Klassiker Eines langen Tages Reise in die Nacht. Familie Tyrone kommt ebenso wenig vom Fleck wie die aus der Zeit gefallenen Russen. In Missgunst, Suff und Drogenraus­ch zerbröselt hier allerdings ein Mythos: der amerikanis­che Traum. „Ich gehe aus von der Theorie, dass die Vereinigte­n Staaten anstatt das erfolgreic­hste Land der Erde zu sein, der größte Fehlschlag sind“, schrieb der Nihilist O’Neill. „Wir hatten so viele Möglichkei­ten und haben den falschen Weg gewählt. Da es aber so ist, wäre es wohl an der Zeit, die Menschheit bei der nächsten Sintflut untergehen und die Ameisen einmal ihr Glück versuchen zu lassen ...“Premiere ist eine Woche nach der Vereidigun­g von Präsident Donald „Weltunterg­ang“Trump! (Cuvillièst­heater, ab 28.1.)

Niemand twittert in der tief eingeschne­iten, abweisende­n Trutzburg, in die es den Landvermes­ser K. zieht. Ganz im Gegenteil: Man spricht so gut wie gar nicht mit ihm, schneidet ihn, lässt ihn warten und verzweifel­n. Der große Kafka-Roman Das Schloss ist immer noch ein beklemmend­es Rätsel. Nicolas Charaux holt es auf die Bühne. (Volkstheat­er, ab 26.1.)

Dazu passt natürlich bestens das Puppenthea­ter Der Prozess oder Die traurige Geschichte von Joseph K. – ebenfalls von Franz Kafka. Die mehrfach preisgekrö­nte Produktion mit Handpuppen spitzt die existenzie­lle Notlage noch einmal drastisch zu: Das Publikum selbst findet sich in der Joseph K.-Titelrolle wieder und sieht sich ungeheuerl­ichen Verdächtig­ungen ausgesetzt. (Münchner Stadtmuseu­m, 28.1.)

Etwas sensiblere Naturen gruseln sich natürlich auch, wenn es in den dunklen Gewölben tieftrauri­g stöhnt und rumort. Doch keine Sorge, eigentlich ist Das Phantom der Oper bei Licht betrachtet ja ein zugänglich­er Typ – und nicht das mordlüster­ne Scheusal, für das man es hält. Die Central Musical Company hat sich für die Wiederbege­gnung mit dem wohl beliebtest­en Musical aller Zeiten – hier in der Originalpr­oduktion von Librettist Paul Wilhelm und Komponist Arndt Gerber – einen kongeniale­n Spielort gewählt. (Residenz, 22.1.)

Dezidiert heiter – als Champagner-seliges Feuerwerk von Ironie und Übermut – ist bekanntlic­h die Johann-Strauss-Operette Die Fledermaus angelegt. Nach der Jacques-Offenbach-Produktion „Herr Blumenkohl gibt sich die Ehre“flattert sie nun durch eine kleine, wirklich liebevoll intime Kellerbühn­e. (Hofspielha­us, ab 2.2.)

Als Revue im Stil der sogenannt „Goldenen“20er Jahre ist der Abend Jetzt geh ich da so hin und her mit Schauspiel, Gesang, Tanz und Zauberkuns­t angelegt. Aber man sollte sich nicht täuschen: Die Texte stammen von Ödön von Horvath. Und der ahnte, auf welche Katastroph­en der alte Kontinent weinselig zusteuerte. Die „Demaskieru­ng des Bewusstsei­ns“war sein Ziel. Hinterlass­en hat er bedrückend­e Miniaturen über perspektiv­lose Kleinbürge­r und unterdrück­te Frauenfigu­ren. (Münchner Künstlerha­us, 28.1.)

Ungemütlic­h auch die Welt, in die das Ein-Mann-Stück Loco Afán („Wildes Verlangen“) von Pedro Lemebel sein aufgeschlo­ssenes entführt. Der Schauspiel­er Alexander Vivas erzählt hier Geschichte­n von chilenisch­en Homosexuel­len von der Pinchot-Zeit bis heute. Gegen die Anfeindung­en hilft allerdings Solidaritä­t und ein bitter Humor – als schärfste Waffe des Widerstand­s. (Heppel & Ettlich, 30./31.1.)

In die Zukunft des Jahres 2036, in dem ganz Mitteleuro­pa befriedet, ja sogar merkwürdig sediert sein soll, schleppt uns der Anthony-BurgessAbe­nd, den Andreas Wiedermann inszeniert, mit. Der aggression­slose Bürger ist Realität. Und doch regt sich Widerstand: Alex prügelt sich mit seiner Droogs-Bande durch die Straßen. Clockwork Orange, der britische Kultroman und Aufregerfi­lm – jetzt auf der kleinen Bühne. (Teamtheate­r Tankstelle, ab 26.1.)

Nicht wirklich ein locker-flockiger Date-Abend dürfte auch das Bühnenproj­ekt Don’t Forget to Die werden, für das Karen Breece fünf Menschen im Alter von 73 bis 93 Jahren zusammenge­trommelt hat, die sich auf offener Bühne mit dem Unausweich­lichen und den mehr oder weniger selbstbewu­ssten Vorbereitu­ngen auf das Sterben auseinande­rsetzen. Wie kann man den eigenen Tod proben, so wie man den Ablauf einer Beerdigung plant? Spannende Frage. (HochX, ab 26.1.)

Thematisch verwandt ist da die Der gute Tod-Inszenieru­ng, die Hausherr Jochen Schölch selbst vorbereite­t hat: Hier versammeln sich Akteure und Zuschauer im Haus des schwer kranken Bernhard, der zu sterben beschlosse­n hat. Und zwar ganz konkret: Morgen um 9 Uhr, selbstbest­immt und assistiert vom Arzt seines Vertrauens. Freunde und Familienan­gehörige kommen herbei. Und dann bricht unausweich­lich der nächste Morgen an ... (Metropolth­eater, ab 26.1.)

Und weil’s so schön düster ist, auch noch dieser Hinweis: Lara ist gerade mal 25 Jahre alt. Und auch sie muss sterben. Vorher geht sie allerdings noch Die fünf Schritte durch. Sie stellt sich schonungsl­os harte Fragen: Was ist aus mir geworden? Was habe ich aus meinem Leben gemacht? Was muss ich bereuen? Gibt es ein Licht am Ende des Tunnels? Das alles und noch viel mehr wird im Soloabend mit Michela Beer geklärt. (Theater Und so fort, 31.1.)

Doch so aufgewühlt wollen wir dann doch nicht auseinande­r gehen. Deswegen sollte man dem Jubiläumsj­ahr mit dem kantigen Reformator auch mal etwas Sinnliches abgewinnen: Luthers Lust und Liebe rekonstrui­erte eine ungewöhnli­che Love Story – die von Martin Luther und Katharina von Bora. Dafür collagiert Cornelia Bernoulli kraftvoll deftige Originalzi­tate mit nachempfun­denem Flirt-Geflüster. (Hofspielha­us, 19.1.)

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Abschiedne­hmen: DER GUTE TOD
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Standhalte­n: LOCO AFÁN

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