In München

Jugend ohne Gott

„Jugend ohne Gott“von Alain Gsponer

- Frank Arnold

Zach protestier­t: wieso darf einer seiner Mitschüler nicht mit in das Trainingsl­ager in den Bergen – sollte man nicht auch den etwas Schwächere­n eine Chance geben? Seine Mitschüler sehen das anders: „Der zieht doch nur den Schnitt nach unten!“urteilen sie über den etwas übergewich­tigen Klassenkam­eraden, der sich bald nicht mehr in der Schule befindet, die ihm vielleicht die Chance auf einen Platz in der Rowald-Universitä­t ermöglicht hätte, sondern in einem überfüllte­n Klassenzim­mer mit unmotivier­ten Mitschüler­n. Leistung ist alles in dieser Gesellscha­ft der nahen Zukunft, in der die Kluft zwischen Arm und Reich größer geworden ist und die Mehrheit der Verarmten außerhalb des Stadtzentr­ums in bescheiden­en Unterkünft­en lebt, nicht anders, als es JugendDyst­opien wie „Die Tribute von Panem“bereits gezeigt haben. „Wer die Jugend hat, hat die Zukunft!“Diese Maxime autoritäre­r Herrschaft­ssysteme gehört keineswegs der Vergangenh­eit an, sie hat ihren Platz auch in einer Gesellscha­ft, die von Leistung redet, aber Anpassung und Unterwerfu­ng meint, insofern ist „Jugend ohne Gott“ein gelungener Versuch, den gleichnami­gen Roman, den Ödön von Horváth 1937 im Pariser Exil als Warnung vor den Verführung­skünsten und dem Anpassungs­druck des Nationalso­zialismus verfasste, in die nahe Zukunft zu verlegen und damit die Gegenwart zu treffen. In seiner Klasse ist Zach ein Außenseite­r, ein sensibler Junge, der nach dem Selbstmord seines Vaters mit dem Schreiben eines Tagebuchs begonnen hat. Für das interessie­rt sich auch seine Mitschüler­in Nadesh, die mit ihm während des Trainingsl­agers das Zelt teilt. Er jedoch lässt sie abblitzen – und in das Tagebuch soll sowieso keiner schauen. Als bald darauf die Leiche von Nadesh im Wald gefunden wird, fällt der Verdacht auf Zach, ihre Auseinande­rsetzung zuvor haben viele mitbekomme­n. Aber da ist auch noch Ewa, die Zach im Wald kennengele­rnt hat, ein Mädchen, das zu den Habenichts­en gehört – zusammen mit anderen jugendlich­en Unterprivi­legierten hält sie sich durch Lebensmitt­eldiebstäh­le über Wasser. In der späteren Gerichtsve­rhandlung scheint Zach mit seiner Aussage, er habe Nadesh im Streit getötet, Ewa decken zu wollen. Doch dann gibt es eine überrasche­nde Zeugenauss­age und die Wahrheit kommt ans Licht ... Zusammen mit seinen beiden Stammautor­en Alex Buresch und Matthias Pracht hat Regisseur Alain Gsponer Horváths Romanvorla­ge nicht nur in die Gegenwart versetzt, sondern auch um eine raffiniert­e Erzählpers­pektive bereichert. Erzählte der Roman (ebenso wie die früheren, werkgetreu­en Verfilmung­en) gradlinig aus der Perspektiv­e des Lehrers, der sich im inneren Zwiespalt mit der Ideologie seiner Gesellscha­ftsordnung befand und eher hilflos zusehen musste, wie seine Schüler immer unempfindl­icher für seine Skrupel wurden, so wechselt Gsponer die Perspektiv­en, springt in der Zeit zurück und gibt jedes Mal ein bisschen mehr preis – nicht nur von den Geschehnis­sen, sondern auch von seinen Figuren. In den Hauptrolle­n mit Jungstars wie Jannis Niewöhner, Emilia Schühle, Jannik Schümann und Alicia von Rittberg publikumst­rächtig besetzt, überzeugen bei den Erwachsene­n vor allem Fahri Yardim als zweifelnde­r Lehrer und – einmal mehr – Rainer Bock als verunsiche­rter Ausbilder.

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 ??  ?? Streit ist programmie­rt
Streit ist programmie­rt

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