Jugend ohne Gott
„Jugend ohne Gott“von Alain Gsponer
Zach protestiert: wieso darf einer seiner Mitschüler nicht mit in das Trainingslager in den Bergen – sollte man nicht auch den etwas Schwächeren eine Chance geben? Seine Mitschüler sehen das anders: „Der zieht doch nur den Schnitt nach unten!“urteilen sie über den etwas übergewichtigen Klassenkameraden, der sich bald nicht mehr in der Schule befindet, die ihm vielleicht die Chance auf einen Platz in der Rowald-Universität ermöglicht hätte, sondern in einem überfüllten Klassenzimmer mit unmotivierten Mitschülern. Leistung ist alles in dieser Gesellschaft der nahen Zukunft, in der die Kluft zwischen Arm und Reich größer geworden ist und die Mehrheit der Verarmten außerhalb des Stadtzentrums in bescheidenen Unterkünften lebt, nicht anders, als es JugendDystopien wie „Die Tribute von Panem“bereits gezeigt haben. „Wer die Jugend hat, hat die Zukunft!“Diese Maxime autoritärer Herrschaftssysteme gehört keineswegs der Vergangenheit an, sie hat ihren Platz auch in einer Gesellschaft, die von Leistung redet, aber Anpassung und Unterwerfung meint, insofern ist „Jugend ohne Gott“ein gelungener Versuch, den gleichnamigen Roman, den Ödön von Horváth 1937 im Pariser Exil als Warnung vor den Verführungskünsten und dem Anpassungsdruck des Nationalsozialismus verfasste, in die nahe Zukunft zu verlegen und damit die Gegenwart zu treffen. In seiner Klasse ist Zach ein Außenseiter, ein sensibler Junge, der nach dem Selbstmord seines Vaters mit dem Schreiben eines Tagebuchs begonnen hat. Für das interessiert sich auch seine Mitschülerin Nadesh, die mit ihm während des Trainingslagers das Zelt teilt. Er jedoch lässt sie abblitzen – und in das Tagebuch soll sowieso keiner schauen. Als bald darauf die Leiche von Nadesh im Wald gefunden wird, fällt der Verdacht auf Zach, ihre Auseinandersetzung zuvor haben viele mitbekommen. Aber da ist auch noch Ewa, die Zach im Wald kennengelernt hat, ein Mädchen, das zu den Habenichtsen gehört – zusammen mit anderen jugendlichen Unterprivilegierten hält sie sich durch Lebensmitteldiebstähle über Wasser. In der späteren Gerichtsverhandlung scheint Zach mit seiner Aussage, er habe Nadesh im Streit getötet, Ewa decken zu wollen. Doch dann gibt es eine überraschende Zeugenaussage und die Wahrheit kommt ans Licht ... Zusammen mit seinen beiden Stammautoren Alex Buresch und Matthias Pracht hat Regisseur Alain Gsponer Horváths Romanvorlage nicht nur in die Gegenwart versetzt, sondern auch um eine raffinierte Erzählperspektive bereichert. Erzählte der Roman (ebenso wie die früheren, werkgetreuen Verfilmungen) gradlinig aus der Perspektive des Lehrers, der sich im inneren Zwiespalt mit der Ideologie seiner Gesellschaftsordnung befand und eher hilflos zusehen musste, wie seine Schüler immer unempfindlicher für seine Skrupel wurden, so wechselt Gsponer die Perspektiven, springt in der Zeit zurück und gibt jedes Mal ein bisschen mehr preis – nicht nur von den Geschehnissen, sondern auch von seinen Figuren. In den Hauptrollen mit Jungstars wie Jannis Niewöhner, Emilia Schühle, Jannik Schümann und Alicia von Rittberg publikumsträchtig besetzt, überzeugen bei den Erwachsenen vor allem Fahri Yardim als zweifelnder Lehrer und – einmal mehr – Rainer Bock als verunsicherter Ausbilder.