Sehnsucht nach Fernost
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Vor 90 Jahren wurde das Stück erstmalig aufgeführt – damals in der Operettenhauptstadt Wien. Nun erst findet Die Herzogin von Chicago ihre überfällige Deutschlandpremiere – in einer Inszenierung aus Budapest. Worum geht’s? Warum die Verspätung? Emmerich Kálmán hatte zusammen mit seinen Textdichtern Julius Brammer und Alfred Grünwald einst sehr Mutiges gewagt – und dabei vermintes Terrain betreten. Ihm ging es um nichts Geringeres als die Verschmelzung der klassischen, zu seinen Zeiten schon milde ergrauten Operettentraditionen mit der neuen Herausforderung durch den Jazz. Im Stück befruchten sich die Gegensätze. In der Realität eckte Kálmán damit arg an. Die Nazis verhängten wenig später ein Aufführungsverbot in Deutschland und hängten ihr das berüchtigte Schmäh-Etikett „Entartet“um. Die Handlung kommt dagegen wie üblich leichtfüßig-märchenhaft daher: Die verwöhnte Millionärstochter Mary aus den USA wettet mit ihrer ebenfalls steinreichen Freundin Edith Rockefeller, dass ihr auf der bevorstehenden Europareise etwas Ungeheuerliches gelingen würde. Mary möchte etwas kaufen, was normalerweise für Geld nicht zu erstehen ist. Und so kommt es auch: Sie verliebt sich in den attraktiven Thronfolger des fantastischen OsteuropaStaats Sylvaria. Mit viel Finanzkraft baut sie das verarmte Land um, doch ob sie dafür auch das Herz ihres Boris erobern wird? Man muss es eben selbst im Zuschauerraum herausfinden. (Deutsches Theater, 6. bis 10.9.)
Am selben Ort ereignet sich wenig später auch so ein kleines (Musikwelt)Wunder: Für nur eine einzige Aufführung kommt mit Siddharta eine Musicalfassung des berühmten HermannHesse-Romans über den fernöstlichen Sinnstifter zur Aufführung. Als deutschsprachiger Erzähler führt der „Tatort“Kommissar Harald Krassnitzer durch die verschlungene Erzählung. Spannend ist die „Siddharta – The Musical“-Entstehungsgeschichte. Erarbeitet wurde das Stück nämlich ausgerechnet in einem Rehabilitationsprogramm für Häftlinge des Hochsicherheitsgefängnisses „Opera“in Mailand. Geleitet wurde das Projekt einst von der italienischen Sängerin und Songwriterin Isabella Biffi, die auch das Skript verfasste. Gemeinsam mit Fabio Codega komponierte sie zudem die Musik. (Deutsches Theater, 12.9.)
Wer seine latent esoterischen Gedanken gerne gen Osten schweifen lässt, der dürfte sich in der Gedankenfieber. Windgeflüster-Inszenierung von Sonja Graf und Markus Hummel angemessen wohl fühlen. Die Autorin der Drehbuchfassung, die auch Co-Regisseurin ist, hat sich dafür die exquisiten Lebenserinnerungen der weit herumgekommenen französischen Asienforscherin Alexandra David-Néel vorgenommen. Selbige bereiste vor mehr als einem halben Jahrhundert als erste Europäerin das damals noch sehr verschlossene Land Tibet, sie wanderte über einsame Hochebenen und kam in die verbotene Stadt Lhasa, den Sitz der Götter, wie es die regionale Mythologie will. Jahre später bricht David-Néel von ihrem Landgut im Süden Frankreich immer wieder zu sehnsuchtsvollen Gedankenreisen auf, die das Rückgrat des Spätsommerstücks abgeben. (Amphitheater im Nördlichen Englischen Garten, 2. bis 8.9., TamS, 9./10.9.)
Vom Überschreiten von Grenzen und von mutigen Grenzgängen erzählt auch Helena Waldmann, die Weltreisende der Tanz-Szene, in ihrer „Access to Dance“-Premiere Gute Pässe Schlechte Pässe. Sie greift damit Themen auf, die sich derzeit durch die knalligen Schlagzeilen brennen. „Warum kann ich mich“, so Waldmann, „mit meinem guten deutschen Pass völlig ungehindert in 178 bewegen? Und warum haben Menschen aus ärmeren Ländern diese Bewegungsfreiheit nicht?“. Die Antwort liefert die Regisseurin und Choreografin gleich selbst mit: „Je kreditfähiger ein Staat ist, desto akzeptiert ist sein Pass.“Schmutzige neue Welt. (Muffathalle, 13.9.)
Ebenfalls ein Highlight im „Access to Dance“-Betrieb ist schon vorher das Gastspiel der Brasilianerin Lia Rodrigues, die Kennern als eine der wichtigsten Choreografinnen Südamerikas und des zeitgenössischen Tanzes in ihrem Land gilt. In For the Sky Not To Fall schürft sie in existenzialistischen Tiefenschichten des menschlichen Zusammenseins. Sie stößt Fragen an, die sich mit dem Umgang der Menschen mit der Natur, mit dem Klimawandel und dem Streben nach einer Wiederherstellung einer Harmonie von Mensch und Natur beschäftigen. „Wir tanzen“, sagt Lia Rodrigues, „in der Hoffnung, lebendig zu bleiben.“Wer möchte das nicht? (Muffathalle, 5.9.)
Keine ganz so guten Überlebenschancen herrschen dagegen für die Opfer der Maxvorstädter Kellermorde. Dahinter verbirgt sich eine Vor-Ort-Ermittlung, bei der das Publikum live am Tatort präsent ist. Schlimmer noch: Alle Anwesenden haben ein Motiv. Misstrauen und gegenseitige Verdächtigungen machen sich breit. Grausam erwischt hat es übrigens auch das Theater Und so fort selbst. Dort wurden unlängst erst Regenschäden festgestellt, die sofort behoben werden müssen, so dass die Spielstätte erst im November wieder genutzt werden kann. Einstweilen touren die Akteure über fremde, gastfreundliche Bühnen. (Blutenburgtheater, 11.9.)