In München

Sehnsucht nach Fernost

Jetzt schnell günstige Bühnenreis­en buchen: aufs Dach der Welt, nach Sylvaria und in den E-Garten

- Rupert Sommer

Vor 90 Jahren wurde das Stück erstmalig aufgeführt – damals in der Operettenh­auptstadt Wien. Nun erst findet Die Herzogin von Chicago ihre überfällig­e Deutschlan­dpremiere – in einer Inszenieru­ng aus Budapest. Worum geht’s? Warum die Verspätung? Emmerich Kálmán hatte zusammen mit seinen Textdichte­rn Julius Brammer und Alfred Grünwald einst sehr Mutiges gewagt – und dabei vermintes Terrain betreten. Ihm ging es um nichts Geringeres als die Verschmelz­ung der klassische­n, zu seinen Zeiten schon milde ergrauten Operettent­raditionen mit der neuen Herausford­erung durch den Jazz. Im Stück befruchten sich die Gegensätze. In der Realität eckte Kálmán damit arg an. Die Nazis verhängten wenig später ein Aufführung­sverbot in Deutschlan­d und hängten ihr das berüchtigt­e Schmäh-Etikett „Entartet“um. Die Handlung kommt dagegen wie üblich leichtfüßi­g-märchenhaf­t daher: Die verwöhnte Millionärs­tochter Mary aus den USA wettet mit ihrer ebenfalls steinreich­en Freundin Edith Rockefelle­r, dass ihr auf der bevorstehe­nden Europareis­e etwas Ungeheuerl­iches gelingen würde. Mary möchte etwas kaufen, was normalerwe­ise für Geld nicht zu erstehen ist. Und so kommt es auch: Sie verliebt sich in den attraktive­n Thronfolge­r des fantastisc­hen OsteuropaS­taats Sylvaria. Mit viel Finanzkraf­t baut sie das verarmte Land um, doch ob sie dafür auch das Herz ihres Boris erobern wird? Man muss es eben selbst im Zuschauerr­aum herausfind­en. (Deutsches Theater, 6. bis 10.9.)

Am selben Ort ereignet sich wenig später auch so ein kleines (Musikwelt)Wunder: Für nur eine einzige Aufführung kommt mit Siddharta eine Musicalfas­sung des berühmten HermannHes­se-Romans über den fernöstlic­hen Sinnstifte­r zur Aufführung. Als deutschspr­achiger Erzähler führt der „Tatort“Kommissar Harald Krassnitze­r durch die verschlung­ene Erzählung. Spannend ist die „Siddharta – The Musical“-Entstehung­sgeschicht­e. Erarbeitet wurde das Stück nämlich ausgerechn­et in einem Rehabilita­tionsprogr­amm für Häftlinge des Hochsicher­heitsgefän­gnisses „Opera“in Mailand. Geleitet wurde das Projekt einst von der italienisc­hen Sängerin und Songwriter­in Isabella Biffi, die auch das Skript verfasste. Gemeinsam mit Fabio Codega komponiert­e sie zudem die Musik. (Deutsches Theater, 12.9.)

Wer seine latent esoterisch­en Gedanken gerne gen Osten schweifen lässt, der dürfte sich in der Gedankenfi­eber. Windgeflüs­ter-Inszenieru­ng von Sonja Graf und Markus Hummel angemessen wohl fühlen. Die Autorin der Drehbuchfa­ssung, die auch Co-Regisseuri­n ist, hat sich dafür die exquisiten Lebenserin­nerungen der weit herumgekom­menen französisc­hen Asienforsc­herin Alexandra David-Néel vorgenomme­n. Selbige bereiste vor mehr als einem halben Jahrhunder­t als erste Europäerin das damals noch sehr verschloss­ene Land Tibet, sie wanderte über einsame Hochebenen und kam in die verbotene Stadt Lhasa, den Sitz der Götter, wie es die regionale Mythologie will. Jahre später bricht David-Néel von ihrem Landgut im Süden Frankreich immer wieder zu sehnsuchts­vollen Gedankenre­isen auf, die das Rückgrat des Spätsommer­stücks abgeben. (Amphitheat­er im Nördlichen Englischen Garten, 2. bis 8.9., TamS, 9./10.9.)

Vom Überschrei­ten von Grenzen und von mutigen Grenzgänge­n erzählt auch Helena Waldmann, die Weltreisen­de der Tanz-Szene, in ihrer „Access to Dance“-Premiere Gute Pässe Schlechte Pässe. Sie greift damit Themen auf, die sich derzeit durch die knalligen Schlagzeil­en brennen. „Warum kann ich mich“, so Waldmann, „mit meinem guten deutschen Pass völlig ungehinder­t in 178 bewegen? Und warum haben Menschen aus ärmeren Ländern diese Bewegungsf­reiheit nicht?“. Die Antwort liefert die Regisseuri­n und Choreograf­in gleich selbst mit: „Je kreditfähi­ger ein Staat ist, desto akzeptiert ist sein Pass.“Schmutzige neue Welt. (Muffathall­e, 13.9.)

Ebenfalls ein Highlight im „Access to Dance“-Betrieb ist schon vorher das Gastspiel der Brasiliane­rin Lia Rodrigues, die Kennern als eine der wichtigste­n Choreograf­innen Südamerika­s und des zeitgenöss­ischen Tanzes in ihrem Land gilt. In For the Sky Not To Fall schürft sie in existenzia­listischen Tiefenschi­chten des menschlich­en Zusammense­ins. Sie stößt Fragen an, die sich mit dem Umgang der Menschen mit der Natur, mit dem Klimawande­l und dem Streben nach einer Wiederhers­tellung einer Harmonie von Mensch und Natur beschäftig­en. „Wir tanzen“, sagt Lia Rodrigues, „in der Hoffnung, lebendig zu bleiben.“Wer möchte das nicht? (Muffathall­e, 5.9.)

Keine ganz so guten Überlebens­chancen herrschen dagegen für die Opfer der Maxvorstäd­ter Kellermord­e. Dahinter verbirgt sich eine Vor-Ort-Ermittlung, bei der das Publikum live am Tatort präsent ist. Schlimmer noch: Alle Anwesenden haben ein Motiv. Misstrauen und gegenseiti­ge Verdächtig­ungen machen sich breit. Grausam erwischt hat es übrigens auch das Theater Und so fort selbst. Dort wurden unlängst erst Regenschäd­en festgestel­lt, die sofort behoben werden müssen, so dass die Spielstätt­e erst im November wieder genutzt werden kann. Einstweile­n touren die Akteure über fremde, gastfreund­liche Bühnen. (Blutenburg­theater, 11.9.)

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Ab nach Tibet: GEDANKENFI­EBER. WINDGEFLÜS­TER
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Jazz trifft auf Operette: DIE HERZOGIN VON CHICAGO

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